# taz.de -- Kaiser Otto I. und die Himmelsscheibe: Auf Spurensuche an der Unstr… | |
> Ganz nah beieinander sind die Orte, an denen Weltbewegendes geschah. In | |
> Memleben starb der Kaiser. Und aus Wangen kommt die Himmelsscheibe. | |
Bild: Wie ein Ufo über den Baumwipfeln erscheint das Besucherzentrum Arche Neb… | |
Draußen im Klosterhof erhebt sich eine mächtige, kerngesunde Kastanie, | |
drinnen aber ist dem Kaiser unwohl. Sein Zustand verschlechtert sich | |
während der Vesper so sehr, dass ihm die Fürsten einen Sessel | |
unterschieben. Otto verlangt die Sakramente und stirbt, im Beisein von | |
Frau, Sohn und Schwiegertochter. Es ist Mittwoch, der 7. Mai 973, vier Tage | |
vor Pfingsten, das Otto hier in der Pfalz in Memleben an der Unstrut feiern | |
wollte. Seine Innereien werden an Ort und Stelle beigesetzt, die sterbliche | |
Hülle aber wird über Unstrut, Saale und Elbe nach Magdeburg überführt, wo | |
der [1][erste Kaiser des Heiligen Römischen Reiches] seine letzte Ruhe | |
findet. | |
Andrea Knopik ist vor einem Bildschirm stehen geblieben. Sie lächelt | |
versonnen. Der Scherenschnittfilm über Ottos letzte Stunden erfüllt alle | |
Erwartungen an ein modernes Museum. Er ist nicht zu lang, künstlerisch | |
anspruchsvoll, leicht verständlich und hat hübsche Details – kurzum: ein | |
Blickfang. Außerdem läuft er an authentischem Ort. Hier irgendwo in | |
Sichtweite der Kastanie muss der Kaiser hingesunken sein. Und so stirbt | |
Otto seit 2014 im Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben den Herrschertod | |
in Endlosschleife, als wäre er eine Erfindung von YouTube. | |
Dabei setzt der Film nur fort, wozu das Benediktinerkloster nach Ottos Tod | |
von seinem Sohn und Nachfolger Otto II. und dessen Frau Theophanu, einer | |
Kaisernichte aus Byzanz, gestiftet wurde. Es ging darum, „die | |
Memorialfürsorge für Otto den Großen abzusichern“, sagt Andrea Knopik. Im | |
Klartext: Hier sollte tagein, tagaus für Ottos Seelenheil gebetet werden, | |
wenn möglich bis zum Jüngsten Gericht. | |
Andrea Knopik wirkt mit ihren rötlichen schulterlangen Locken selbst wie | |
eine junge Äbtissin. Als Leiterin des Museums ist sie jetzt für die | |
„Memorialfürsorge“ zuständig – mit Museumspädagogik, Ausstellungen und | |
Marketing. Im Haupteingang bietet der Museumsshop Spirituelles, | |
anspruchsvolle Monografien und Unstrutwein. Ottos Andenken hat sich tausend | |
Jahre nach seinem irdischen Ende gut an die touristischen Erwartungen | |
angepasst. | |
Überdauert haben seit dem Mittelalter die Ruinen, die Spitzbögen aus rotem | |
Sandstein, die Pfeiler, das Langhaus einer stattlichen Basilika aus dem 13. | |
Jahrhundert, darunter eine Krypta. Am Rande des Klostergartens erhebt sich | |
ein Podest. Von dort oben kann man die Umrisse einer zweiten Kirche | |
erkennen. Die Marienkirche mit gut 80 Meter Länge und 40 Meter Breite war | |
ein gigantischer Bau. Der unförmige Quader im Hintergrund ist das | |
„Kaisertor“. Lange Zeit glaubte man, Otto sei durch dieses Tor geritten. | |
Dann war klar – es ist nur das Nordportal der Kirche. | |
## Kartoffeln in der Krypta | |
Allzu wirksam scheinen die Gebete nicht gewesen zu sein. Die Memoria hat | |
bald gelitten. Erst wurde das Kloster herabgestuft, in der Reformation dann | |
aufgelöst. Die Kirchen verfielen, und in der Krypta lagerten Kartoffeln. Zu | |
DDR-Zeiten richtete sich hier ein Staatsgut ein. Über die Fundamente | |
rollten Traktoren, im Klausurgebäude lagerte Pflanzengift. Der Mittelpunkt | |
Europas – das war Memleben, wenn Otto I. hier Hof hielt – war zu einem | |
Krümel in der Provinz getrocknet. | |
Preußens Baumeister Karl Friedrich Schinkel, 1833 auf der Suche nach | |
Memleben, irrte lange umher, eher er das Dörflein fand, die Klosterruine | |
zeichnete und in dem Kartoffelkeller die Krypta erkannte. Schinkel ließ die | |
Unterkirche räumen. Seine Zeichnung, für gewöhnlich im Kupferstichkabinett | |
in Berlin, ist für diesen Sommer nach Memleben heimgekehrt, als | |
Schmuckstück in der Sonderausstellung „Wissen und Macht“. Die Schau | |
beleuchtet das Verhältnis zwischen den Ottonen und den hier in der Region | |
überaus aktiven Benediktinern. | |
Es ist die zweite große Ausstellung, seitdem das Areal wieder Stück für | |
Stück zugänglich gemacht wurde. 1991 kam das Kloster in Gemeindebesitz, die | |
Ruinen wurden gesichert, ein Förderverein gründete sich, das Museum | |
öffnete. 2008 wurde eine Stiftung gegründet. Die derzeitige | |
Sonderausstellung ist noch bis zum 15. Oktober 2018 zu sehen und | |
präsentiert einige Objekte, die einst zur Klosterausstattung gehörten. | |
Die fast lebensgroße alte Frau etwa. Sie trägt ein ziemlich kräftiges | |
Kleinkind im Arm, für eine Mutter aber ist sie zu alt. Solche | |
Andachtsbilder, „Anna selbdritt“ genannt, zeigen drei Generationen: die | |
heilige Anna, ihre Tochter Maria und das Jesuskind. Maria wurde allerdings | |
irgendwann säuberlich abgetrennt, so wirkt die Plastik, die Jahrzehnte in | |
der Memlebener Dorfkirche überdauert hatte, kompakt. Fast glaubt man, ein | |
Werk von Barlach zu erblicken. | |
Für gewöhnlich steht die „Anna“ am Ende des Klausurgebäudes vor der Kryp… | |
ein Tonnengewölbe, runzlig wie die Haut eines Methusalem, mit Säulenpaaren | |
und Fensterchen, die weiß und rot brennen, als würden sie einen Blick in | |
den Himmel erlauben. Die Fenster stammen von Johannes Schreiter, dem wohl | |
renommiertesten Glasmaler der Gegenwart, der für die Dome von Mainz und | |
Augsburg, für das Ulmer Münster mächtige Fenster geschaffen hat. Die in | |
Memleben sind winzig. Man kommt ihnen dafür aber sehr nahe. | |
Wenn man wieder auf der Dorfstraße steht, fällt gleich gegenüber ein | |
Tierpark auf. Interessanter ist es aber, an der Unstrut abwärts zum | |
nächsten Erinnerungsort zu wandern oder zu radeln. Es geht auch per Kanu. | |
Keine 3 Kilometer sind es bis nach Wangen mit seinen 500 EinwohnerInnen. Es | |
wirkt wie eine Laune der Weltgeschichte, dass ausgerechnet hier in der | |
sachsen-anhaltischen Provinz ganz unterschiedliche Epochen derart mit | |
Händen zu greifen sind. Steht Memleben am Beginn des römisch-deutschen | |
Reiches, ist Wangen ein Kultort der frühen Bronzezeit. Im Sommer 1999 | |
beförderten zwei Raubgräber auf dem Mittelberg bei Wangen einen | |
Bronzeschatz ans Licht. Neben Schwertern, Meißeln, Beilen auch eine Art | |
Deckel. Die beiden verkauften den Fund umgehend an einen Kunsthändler. | |
Es ist ein Krimi, wie der Schatz schließlich gesichert werden konnte. Wie | |
sich erwies, war es ein Fundstück von Weltrang, was auf dem Mittelberg etwa | |
3.600 Jahre lang im Boden lag und dort nicht einfach verbuddelt, sondern | |
bestattet wurde, wie Archäologen sagen. Nicht die Meißel und Schwerter, der | |
Deckel war die Sensation: Er ist die weltweit erste konkrete Darstellung | |
von Himmelsereignissen und inzwischen Unesco-Dokumentenerbe. Seit 2006 ist | |
das Artefakt als [2][„Himmelsscheibe von Nebra“ das Glanzstück im | |
Landesmuseum für Vorgeschichte Halle]. | |
## Ein architektonisches Kleinod | |
Und Wangen? Nicht einmal nach dem Dorf ist die Scheibe benannt, sondern | |
nach dem genauso unbedeutenden Städtchen Nebra, zu dem Wangen 2009 | |
eingemeindet wurde. Doch jeder Ort hat seine innere Bestimmung, hatte | |
Andrea Knopik gesagt. Wangens Bestimmung wurde es, die Kultstätte erlebbar | |
zu machen, an der die Himmelsscheibe benutzt wurde. Doch wozu genau? Zu | |
welchen Anlässen? Von wem? Die Antworten finden sich im Besucherzentrum, | |
das gebogen und golden über der Unstrut hängt, als wäre ein Teil der | |
Himmelsscheibe herausgefallen. Es ist ein architektonisches Kleinod und | |
eine museumspädagogische Fundgrube samt Café, Planetarium und | |
Bahnanschluss. | |
Wobei die „Arche Nebra“, wie sie hier betonen, kein Museum ist. Von einem | |
Panoramafenster öffnet sich der Blick zum Mittelberg und dem Turm, der wie | |
ein Stab den Fundort markiert. 3 Kilometer Wanderweg durch Wiesen und | |
Mischwald, dann steht man vor dem „Himmelsauge“, einer gewölbten | |
Edelstahlscheibe, in der sich der Himmel spiegelt. Sie markiert den genauen | |
Fundort. Wer den 30 Meter hohen Turm gleich daneben besteigt, hat einen | |
Blick auf die Sichtachsen, wie sie sich den Priestern der Bronzezeit | |
darboten, als die Bergkuppe noch unbewaldet war. | |
Kein Fahrstuhl und kein Licht, dafür aber steht der Turm Tag und Nacht | |
offen. Der Turm ist um 10 Grad geneigt und fungiert als Schattenstab einer | |
gewaltigen Sonnenuhr. Manche übernachten hier oben, wo immer eine leichte | |
Brise weht. Man kann sich den Menschen der Bronzezeit nahe fühlen, wenn die | |
Sonne hinter dem Brocken versinkt. | |
Jetzt müsste man nur noch wie ein Priester die Bronzescheibe in den Himmel | |
recken, die Plejaden suchen, den Sternhaufen, der auf der Scheibe | |
abgebildet ist, und die Erntezeit ausrufen. Doch das war harte Arbeit. Die | |
Scheibe wiegt 2,3 Kilogramm. Besser ist es, den Blick schweifen zu lassen, | |
auf Harz, Kyffhäuser und Goldene Arche. Schließlich ist so ein Turm nichts | |
anderes als eine Krypta. Man ist irgendwie entrückt. Nur eben umgekehrt. | |
11 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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