# taz.de -- Archäologie: Wenn am Brocken die Sonne sinkt | |
> Das Helms-Museum in Hamburg dokumentiert Bedeutung, Auffindung und | |
> Datierung der wertvollen "Himmelsscheibe von Nebra". Das aus der | |
> Bronzezeit stammende Original hat das Hallenser Landesmuseum für | |
> Vorgeschichte dafür allerdings nicht hergegeben. | |
Bild: Prähistorische Astronomie, Originalansicht: Die Himmelsscheibe von Nebra. | |
Gäbe es sie nicht, müsste man sie erfinden - schon, um das Renommee des | |
Hallenser Landesmuseum für Vorgeschichte zu unterstreichen. "Die | |
prähistorische Himmelsscheibe von Nebra ist unsere Mona Lisa", sagte Alfred | |
Reichenberger, Sprecher des Museums. "Sie ist ein Türöffner." Dabei habe | |
man durchaus andere bedeutende Stücke, "aber es ist ja immer so: Die Leute | |
kommen, um das Original zu sehen und merken dann, dass wir auch den | |
ältesten Fingerabdruck der Menschheit haben, das Fürstengrab von Gommern et | |
cetera." | |
Eigentlich spricht er damit der von seinem Team konzipierte | |
Wanderausstellung, die jetzt Hamburg erreicht, Hohn. Denn die zeigt | |
keineswegs die originale "Himmelsscheibe von Nebra", die um 1600 v. Chr. | |
vergraben und 1999 gefunden wurde. Sondern sie präsentiert Kopien der | |
Scheibe und ihrer Beifunde - zwei Schwerter und Äxte sowie bronzene | |
Armspiralen. Das Original reist - nach Stationen in Kopenhagen, Wien, | |
Mannheim und Basel - seit 2007 nicht mehr. Irgendwie also ein Fake, das | |
Ganze. Aber das macht nichts, sagt Rainer-Maria Weiss, Leiter der Hamburger | |
Helms-Museums, das jetzt Archäologisches Museum heißt und sich aus der | |
Debatte um Museumsschließungen auffallend heraushielt. Es ist bislang - | |
anders als die Hamburger Kunsthalle - auch nicht durch Defizite | |
aufgefallen. Durch herausragende Ausstellungen allerdings auch nicht, das | |
gibt der Direktor zu. Dafür fehle das Geld. | |
So muss er also mit Wanderausstellungen wie dieser vorlieb nehmen, und er | |
trägt es mit Fassung. "Unser Ziel ist ja nicht, Originale zu zeigen. | |
Sondern wir wollen Auffindung, Dekodierung und Datierung der Scheibe | |
dokumentieren." Dann sagt er noch etwas Irritierendes: "Am Ende unseres | |
Parcours wird kein Besucher an der Echtheit der Scheibe zweifeln." An der | |
Echtheit? Nun ja, der des Hallenser Originals, dem man in Hamburg mit | |
Vitrinen voller Patina-Proben, Bronze-Applikationen und Echtheitsanalysen | |
beizukommen versucht. | |
Außerdem hat er sich einen Himmelsscheiben-Pfad durch das Helms-Museum | |
ausgedacht, der zu eigenen Exponaten der Bronzezeit führen und den | |
inhaltlichen und chronologischen Kontext vermitteln soll. Er soll unter | |
anderem zu Rasiermessern und dem berühmten Klapphocker aus Daensen bei | |
Hamburg-Harburg führen, der um 1600 v. Chr. entstand. In jenen Jahren wurde | |
auch die Himmelsscheibe bei Nebra vergraben. "Dieser Link ist nicht so | |
fern, wie er klingt", sagt Weiss. "Denn auf Hockern sitzen durften damals | |
nur Fürsten und Priester - und genau die werden auch die Himmelsscheibe | |
benutzt haben." | |
Die indes ist Kalendarium und Glaubensbekenntnis zugleich. "Es ist die | |
älteste Himmelsdarstellung, die man je fand", sagt Reichenberger. "Das | |
erste manifeste Piktogramm sozusagen." Und sie zeige mehr, "als man dem | |
bronzezeitlichen Menschen zugetraut hätte", sagt Weiss. | |
Die Deutungen der Scheibe, die Sonne, Mond und Sterne zeigt, sind zahlreich | |
- zumal die Scheibe mehrfach verändert wurde. Deren ursprüngliche Fassung | |
enthielt lediglich Sonne, Mondsichel und Sterne. Sternenzahl und Mondform | |
gelten als Hinweis auf Schaltjahr-Berechnungen. Später kamen zwei | |
Horizont-Bögen an den Rändern hinzu. Deren 82-Grad-Winkel entspricht dem | |
Halbjahres-Lauf der Sonne auf der geographischen Breite Sachsen-Anhalts. | |
"Zu dieser Zeit muss die Scheibe also hier vor Ort genutzt worden sein", | |
sagt Reichenberger. Legt man sie am Sonnenwend-Tag, dem 21. Juni, so auf | |
den Mittelberg, dass die Bogenkante den Sonnenuntergang am nahen Brocken | |
trifft, lässt sie sich auch als Kalender nutzen. Noch später kam eine Barke | |
hinzu, die - so der damalige Glaube - die Sonne über den Himmel zog. | |
Irgendwann um 1600 v. Chr. muss dann irgendwer die Scheibe vergraben haben. | |
Warum? "Vermutlich, weil man sie nicht mehr für rituelle Zwecke, aber auch | |
nicht als profanen Gegenstand nutzen wollte", sagt Reichenberger. Da habe | |
man sie wohl entprofanisieren wollen, indem man einen der Horizontbögen | |
abmontierte und das Ganze vergrub, bevor es in die falschen Hände fiel. | |
"Man gab sie sozusagen den Göttern zurück", sagt Reichenberger. | |
Weniger göttlich, aber mindestens so spannend verlief die Auffindung der | |
Scheibe: 1999 stromerten zwei Raubgräber über den Mittelberg, bewaffnet mit | |
einer Sonde. Auf dem Hügel schlug sie an: Sie hatte das Gold der Scheibe | |
erkannt, ortete auch die Beifunde. Die Räuber konnten mit der Scheibe | |
zunächst nichts anfangen, nahmen sie aber mit - und verkauften das Ganze | |
schon am nächsten Tag an einen Hehler, dieser an den nächsten. Inzwischen | |
hatte sich herumgesprochen, dass die Scheibe, deren Besitzer ja nicht mehr | |
zu ermitteln war, dem Land Sachsen-Anhalt gehörte; legal war sie also nicht | |
mehr zu verkaufen. 2002 bot ein Hehler sie daher als Exklusiv-Story dem | |
Focus an. Der recherchierte. Danach war es eine Frage von Tagen, bis | |
sächsische Landesarchäologen, als Kauf-Interessenten getarnt, die Hehler | |
trafen und verhaften ließen. | |
Seither zählt die Himmelsscheibe, deren Wert niemand beziffern mag, zum | |
Bestand des Hallenser Landesmuseums. Die Raubgräber seien vor Gericht sehr | |
auskunftsfreudig gewesen, was das Strafmaß wohl günstig beeinflusst habe, | |
sagt Reichenberger. In der Tat: Beide Männer kamen mit mehrmonatigen | |
Bewährungsstrafen davon. | |
bis 10. November, Archäologisches Museum Hamburg/Helms-Museum | |
21 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Sachsen-Anhalt | |
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