| # taz.de -- Mesut Özil rechnet ab: Der Fall Özil ist ein Fall Grindel | |
| > Einer der wichtigsten DFB-Nationalspieler tritt zurück: Mesut Özil will | |
| > den deutschen Rassismus nicht mehr ertragen. | |
| Bild: Sein letztes Spiel für die Nationalmannschaft – Mesut Özil Ende Juni … | |
| Nie zuvor ist es passiert, dass ein deutscher Fußball-Nationalspieler in | |
| dieser Weise Klartext redet. Mesut Özil hat es getan, und was er zu sagen | |
| hat, ist das beste, was der deutschen Multikultidebatte passieren konnte. | |
| Der 29-jährige, der kürzlich bei der WM in Russland sein 92. Länderspiel | |
| für den DFB absolvierte, [1][erklärte gestern seinen Rücktritt aus dem | |
| Kader von Joachim Löw]. Im [2][dritten Teil seiner per Twitter auf Englisch | |
| verbreiteten Stellungnahme] zur Debatte um ihn als Spieler schreibt er: | |
| „Ich fühle mich ungewollt und denke, dass das, was ich seit meinem | |
| Länderspiel-Debüt 2009 erreicht habe, vergessen ist.“ | |
| Aber er hat noch viel mehr zu sagen. Der Mann aus dem Ruhrpott schließt | |
| sein beißend-klares Statement mit Sätzen, die faktisch den echten, nicht | |
| nur gutherzig-gefühlten Stand der Debatte ums Zusammenleben mit migrantisch | |
| geprägten Bürger*innen zusammenfassen: „Mit schwerem Herzen und nach langer | |
| Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für | |
| Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl | |
| von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre.“ | |
| Weiter: „Ich habe das deutsche Trikot mit solchem Stolz und solcher | |
| Begeisterung getragen, aber jetzt nicht mehr. Diese Entscheidung war sehr | |
| schwer, weil ich immer alles für meine Teamkollegen, den Trainerstab und | |
| die guten Leute in Deutschland gegeben habe. Aber wenn hochrangige | |
| DFB-Funktionäre mich so behandeln, meine türkischen Wurzeln missachten und | |
| mich egoistisch als politisches Propagandamittel nutzen, dann ist es genug. | |
| Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht zurücklehnen und | |
| nichts dagegen tun. Rassismus darf nie und nimmer hingenommen werden.“ | |
| Özil stand fast neun Jahre im Kader von Joachim Löw, 2009 in Baku feierte | |
| der fußballerisch hochbegabt-feingliedrige Mittelfeldspieler sein Debüt als | |
| DFB-Spieler in einem Qualifikationsmatch für die nahende WM in Südafrika. | |
| Seit der WM in Russland, bei der das deutsche Team mit überwiegend zähen | |
| Performances schon nach der Vorrunde nach Hause fahren musste, ist der | |
| gebürtige Gelsenkirchener der [3][Sündenbock für die sportliche Havarie] | |
| der DFB-Auswahl. | |
| ## Kein Raum für eigene Befindlichkeiten | |
| Dass Özil, einer der Wichtigsten beim deutschen WM-Sieg in Brasilien 2014, | |
| zum einzigen Spieler wurde, an dem sich die giftige Diskussion um den | |
| schlechten deutschen DFB-Fußball entzündete, liegt allerdings auch an ihm | |
| selbst. [4][Mitte Mai hatte er sich in England], zusammen mit dem ebenfalls | |
| aus einer türkischstämmigen Familie erwachsenen Ilkay Gündogan, [5][mit dem | |
| türkischen Staatspräsidenten Recec Tayyip Erdoğan nicht nur getroffen], | |
| sondern diesem auch ein Fußballshirt mit seinem Namenszug darauf geschenkt. | |
| [6][Die Geste provozierte starke Kritik] – vor allem, weil Erdoğan ein | |
| autokratischer Präsident mit beinah diktatorischen Befugnissen ist, in der | |
| Türkei alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens säubert und die | |
| Staatsapparate nach eigenem politischem Geschmack „islamisiert“. | |
| In Wahrheit wurde dieses Özil-Rendezvous in seiner neuen, englischen Heimat | |
| – der Ex-Schalker spielt seit gut fünf Jahren beim FC Arsenal – mit Erdoğ… | |
| als selbst angezeigte Ambivalenz im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zu | |
| Deutschland gewertet. Anders als sein DFB-Mannschaftskollege Gündogan aber | |
| erklärte sich Özil öffentlich bis Sonntag nicht: Zwar reagierte er auf die | |
| Einbestellung zum Gespräch bei DFB-Präsident Reinhard Grindel. Doch der | |
| CDU-Politiker, seit 2016 als Präsident des DFB amtierend, bot dem Fußballer | |
| keinen Raum, die eigene Befindlichkeit mitzuteilen. | |
| Vielmehr, so Özil in seinem aktuellen Statement, stelle es sich für ihn so | |
| dar: „Die Sache, die mich wahrscheinlich am meisten in den vergangenen | |
| Monaten frustiert hat, war die schlechte Behandlung durch den DFB, und vor | |
| allem durch den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel. Nach meinem Bild mit | |
| Präsident Erdoğan wurde ich von Joachim Löw gebeten, meinen Urlaub zu | |
| verkürzen, nach Berlin zu reisen und ein gemeinsames Statement abzugeben, | |
| um alle Diskussionen zu beenden und die Sache richtig zu stellen. Als ich | |
| Grindel mein Erbe, meine Vorfahren und die daraus entstandenen Gründe für | |
| das Foto zu erklären versuchte, war er viel mehr daran interessiert, über | |
| seine eigenen politischen Ansichten zu sprechen und meine Meinung | |
| herabzusetzen.“ | |
| ## „Gegen die Wand gefahren?“ | |
| Grindel also qualmte den Mann, der ihm den sonnigen Posten an der Spitze | |
| des mächtigsten deutschen Sportverbands überhaupt erst mit verschafft hat, | |
| zu – und wollte nichts davon hören, dass die psychologischen Verhältnisse | |
| im wahren Leben eines Mannes wie Özil komplizierter sind als es eine | |
| deutsche Person von hartleibigem Charakter sich auszumalen wünscht. | |
| Özil wollte nämlich erzählen, dass er sich nichts Politisches dabei gedacht | |
| habe, Erdoğan – und dies nicht zum ersten Mal – zu treffen, eher sei es | |
| eine selbstverständliche Sache gewesen, den türkischen Präsidenten zu | |
| treffen. Der sei immerhin der Staatschef des Landes seiner Eltern. | |
| Immer klarer schält sich heraus, dass der Fall Özil tatsächlich ein Fall | |
| Reinhard Grindel ist. Ende voriger Woche kritisierte bereits Karl-Heinz | |
| Rummenigge, Bayern-München-AG-Vorstandsvorsitzender, das Management der | |
| DFB-Spitze mit dem sogenannten Fall Özil: „Amateure haben Geschehen im DFB | |
| übernommen“ – und das zielte auf den DFB-Vorstand mit Reinhard Grindel an | |
| der Spitze. | |
| Der notorisch am rechtskonservativen Rand der Union segelnde, eher Horst | |
| Seehofer als Angela Merkel politisch zungeneigte, hat aus seiner | |
| ablehnenden Haltung eines multikulturellen Deutschland nie ein Geheimnis | |
| macht. Die Integration von neudeutschen Bürger*innen ist für ihn | |
| „Ausländerpolitik“, Multikulti überhaupt ein unzumutbarer | |
| „[7][Kuddelmuddel]“. „Gegen die Wand (gefahren)“, Grindels Mahnung vor … | |
| Jahren im Bundestag mal ernst genommen, ist jetzt die Integrationsarbeit | |
| des DFB: In den Nachwuchsligen seines Verbands sind alle Spieler aktiv, die | |
| dereinst Deutschland auch international repräsentieren können. Besser: | |
| könnten. | |
| Es spricht viel dafür, dass Özils bittere Abrechnung mit dem undankbaren | |
| DFB zu einem Verzicht türkischstämmiger deutscher Spieler auf die Dienste | |
| für den DFB führt. Sie könnten schließlich auch für die türkische | |
| Nationalmannschaft spielen. Man darf insofern formulieren: Reinhard Grindel | |
| hat, aus intellektueller Unterkomplexität oder politischer Dummheit, | |
| Deutschlands Fußballzukunft zu einer offenen Frage gemacht. | |
| ## Die Angst deutschtürkischen Community | |
| Und als dürfe einer wie der DFB-Präsident in Sachen Respektlosigkeit nicht | |
| allein in der kleinen deutschen Welt bleiben, kartete jetzt | |
| Bayern-München-Mogul Uli Hoeneß nach. [8][Bild.de gegenüber formulierte | |
| er]: „Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist. Der hat seit Jahren einen | |
| Dreck gespielt. Den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen. Und | |
| jetzt versteckt er sich und seine Mist-Leistung hinter diesem Foto.“ | |
| Dass in der deutschtürkischen Community spätestens seit 1990, mit dem Fall | |
| der Mauer, kollektive Ängste vor Rassismus und Abwertung stärker denn je | |
| geworden sind, dass es eine Wahrnehmung als neudeutsche Bürger*innen gibt, | |
| die Herzenskälte und Desinteresse an ihnen signalisieren, hat der DFB nie | |
| merken wollen: Die Brandanschläge auf ein türkisches Wohnhaus in Solingen, | |
| die fehlende Trauer um deren Opfer, die Serie der NSU-Morde an Menschen | |
| meist türkischer Herkunft, die zunächst nicht für neonazistisch inspiriert | |
| eingeschätzt werden sollte, sprechen eine Sprache, auf die Menschen wie | |
| Mesut Özil verstört reagieren mussten und müssen. | |
| Mesut Özils Abrechnung mit seinem Verband, der Rücktritt als | |
| Nationalspieler, die Kritik an Rassismus an der DFB-Spitze und andernorts, | |
| wurde [9][von SPD-Justizministerin Katarina Barley zurecht als | |
| „Alarmzeichen“ charakterisiert]. Es ist mehr als das: Özils wütender | |
| Hilferuf ist auch ein Symbol für die Wünsche im DFB (und Deutschland), aus | |
| der Fußballnationalmannschaft wieder die kernige Truppe früherer Tage zu | |
| gestalten – ohne „Multikulti-Kuddelmuddel“. | |
| 23 Jul 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-Debatte-um-Foto-mit-Erdoan/!5523134 | |
| [2] https://twitter.com/MesutOzil1088/status/1021093637411700741 | |
| [3] /Kommentar-Bierhoffs-Oezil-Kritik/!5519256 | |
| [4] /Oezil-Guendoan-und-Erdoan/!5512841 | |
| [5] /Oezil-und-Guendoan-posieren-mit-Erdoan/!5506264 | |
| [6] /Oezil-und-Guendoan-posieren-mit-Erdoan/!5502866 | |
| [7] http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/15/15145.pdf | |
| [8] https://www.bild.de/sport/fussball/nationalmannschaft/hoeness-attacke-auf-o… | |
| [9] https://twitter.com/katarinabarley/status/1021123693534117888 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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