| # taz.de -- Mitleid mit Geflüchteten: In Not geraten | |
| > Die Welt bangt um die Jungen, die in Thailand in einer Höhle feststecken. | |
| > Um die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer bangt kaum jemand. Warum nicht? | |
| Bild: Was wäre, wenn die Medien über eins der Boote so detailliert berichtete… | |
| Mitleid hat gar nicht so viel mit räumlicher Nähe zu tun wie manchmal | |
| behauptet wird. Das zeigt die Geschichte einer Gruppe von zwölf Jungs und | |
| ihrem Trainer, die seit Wochen in einer Höhle in Thailand um ihr Leben | |
| bangen. Die Welt nimmt Anteil: Die internationale Presse zeigt sie bei | |
| ihrer ersten richtigen Mahlzeit seit neun Tagen, wir hören, dass sie sich | |
| Klebreis mit Schweinefleisch gewünscht haben. | |
| Wir kennen ihr Hobby – Fußball. Wir wissen, dass viele von ihnen nicht | |
| schwimmen können, dass sie geschwächt sind, aber dass die Gruppe gut | |
| zusammenhält. Dass sie schlau waren und das Wasser getrunken haben, das von | |
| den Stalaktiten tropft und deshalb nicht krank geworden sind. Dass die | |
| ersten von ihnen aus der Höhle befreit werden konnten. Dank der | |
| Berichterstattung rund um die Uhr mit Liveblogs und Videos haben diese | |
| Jungs eine Geschichte und ein Gesicht. Sie sind in Not geraten und wir | |
| haben Angst um sie, wir hoffen und leiden mit ihnen und ihren Familien. | |
| In Not geraten sind auch die Menschen, die über das Mittelmeer fliehen. | |
| Menschen, die versuchen, einen sicheren Hafen zu erreichen. Auch für sie | |
| ist das Wasser kein Element des Lebens mehr, sondern bedrohlich geworden, | |
| es bringt den grausamen Tod durch Ertrinken. Auch diese Menschen haben | |
| Hobbys wie Fußball oder Musik hören, haben ein Lieblingsessen, Eltern, | |
| Geschwister, die um sie bangen, die sich auf ein Wiedersehen freuen. | |
| Was wäre, wenn wir – die Medien – unsere Kameras und Mikrophone auf eins | |
| dieser Boote richteten? Wenn wir – die Leser*innen, Hörer*innen und | |
| Fernsehzuschauer*innen – unsere Aufmerksamkeit und Anteilnahme den Menschen | |
| in den Booten zuwendeten? | |
| ## Ähnliche Geschichten | |
| Wir könnten eine ähnliche Geschichte erzählen, einer ähnlichen Geschichte | |
| zuhören. Über Fußballfans, Nichtschwimmer*innen, Student*innen, Söhne und | |
| Töchter. Über Erlebnisse, in denen Menschen zu Freunden geworden sind, über | |
| Lebensgefahr, in der sie zusammengehalten haben. Von der Freude über | |
| sauberes Wasser und ein warmes Essen nach strapaziösen Tagen. Von der | |
| Erleichterung, mit der Familie zu telefonieren oder eine*n Freund*in in die | |
| Arme zu schließen. Auch die Menschen, die übers Mittelmeer fliehen und die | |
| zu Hunderten dabei sterben, haben ein Gesicht und eine eigene Geschichte. | |
| Aber die Frage ist, ob wir diese Geschichte auch mit der gleichen Geduld | |
| und der gleichen Anteilnahme hören wollen würden. Denn es gibt – bei aller | |
| Ähnlichkeit – gewichtige Unterschiede. Die Geschichten der Flüchtlinge, die | |
| im Mittelmeer in Not geraten, erzählt uns zugleich viel über unser eigenes | |
| Versagen und über unseren Rassismus. | |
| Dass die Menschen auf dem Mittelmeer in Not geraten, hat mit uns in Europa | |
| direkt zu tun. Mit unserer kolonialen Vergangenheit, mit unserem | |
| Lebensstil, mit unserer Politik. Wer hier hinsieht und hinhört, dem zeigt | |
| sich auch unsere hässliche Seite, die in Gestalt von Grenzschutzbeamten | |
| Einreise und Hilfe verweigert und in Gestalt von rechten Politikern hetzt | |
| und Seenotrettung an sich in Frage stellt. | |
| Zu dieser Geschichte gehört, dass den Menschen in Seenot keine Elitetaucher | |
| zu Hilfe eilen und dass wir uns gleichgültig abwenden. Wie viel einfacher | |
| ist da die Geschichte der Fußballjungs aus Thailand. Sie wollen nicht viel | |
| mehr von uns als Klebreis mit Schweinefleisch und dass sie bald nach Hause | |
| kommen. Wir können uns in Europa sogar noch extra gut fühlen, weil es | |
| schließlich Tauchexpert*innen aus Großbritannien sind, von denen die | |
| ersehnte Hilfe kommt. Taucher*innen, die ihre hochspezialisiertes Können in | |
| der altehrwürdigen britischen Disziplin des Höhlentauchens nun unter Beweis | |
| stellen können. | |
| Bei den Flüchtlingen, die übers Mittelmeer irren, ist dieses gute Gefühl | |
| nicht zu haben. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration | |
| sind seit Anfang des Jahres im Mittelmeer über 1.412 Menschen gestorben, | |
| allein im Juni waren es 629. Da reicht es schon lange nicht mehr, nur | |
| Zuzuhören. Da müssten wir handeln. | |
| 9 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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