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# taz.de -- Olympiasieger Robert Harting hört auf: Funktionärsschreck und Mau…
> Bei der Leichtathletik-EM bestreitet Robert Harting seinen letzten
> Wettkampf. Am Donnerstag fängt ein neues Leben für den Mann aus der
> Cottbuser Platte an.
Bild: Tschö sagen in seinem Wohnzimmer: Robert Harting
BERLIN taz | Da steht einem dieser Bär von einem Mann gegenüber, 2,01 groß
und 125 Kilo schwer, Robert Harting, der immer leicht erschöpft und
abgespannt wirkt, und brummt diesen Satz hinein in seinen Bart, der
Neukölln-Hipster vor Neid erblassen ließe: „Ich denke nicht an die Zeit
nach Berlin, aber Ängste müssen im Leben immer da sein, sonst treibt uns ja
nichts an.“ Was nach dieser EM und seinem letzten Wurf vor einem großen
internationalem Publikum kommt, verdrängt er in diesen Tagen noch ein
bisschen. Er sucht Zuflucht im Sport.
Das macht er seit fast zwanzig Jahren so. Er ist der Wurfmeister, der
Diskusdominator. Zumindest war er das einmal mit seinen vielen Titeln und
Medaillen und dem Olympiasieg 2012 in London, aber jetzt, da eine große
Sportlerkarriere in Berlin zu Ende geht, will er eigentlich nur würdig von
der Bühne trotten, einen Haken machen unter dieses Diskusding, das sein
Leben war. Tschö sagen in seinem Wohnzimmer.
In Berlin schließt sich ein Kreis. Vor neun Jahren wurde er im
Olympiastadion Weltmeister, mit dem letzten Wurf. Danach zerriss er sein
Trikot. Die Bilder brannten sich ein. „Da will ich unsterblich werden“,
hatte er vorher gesagt – und sein Plan ging auf. Dieser German Kraftprotz
war augenscheinlich ein Typ, der Bäume ausreißen und Herzen erobern konnte.
Als Sportler hatte er recht schnell kapiert, worum es in den Arenen der
Postmoderne eigentlich geht: „Unterhaltung ist, was unsere müden Kadaver
motiviert.“
Das ist so ein typischer Robert-Harting-Satz, immer irgendwie krass, leicht
schief, aber tief aus dem Resonanzraum einer ehrlichen Haut heraus
gesprochen. Harting ist einer, der sich von seinem Riesenehrgeiz nie hat
zerfressen lassen, sondern der ihn als Schwungrad nutzte für sein
Fortkommen. Er selbst sagt im Rückblick: „Ich konnte mich immer in einen
Rausch hineinarbeiten, wenn ich wusste, dass mein Körper mitspielt.“
## 35 Siege hintereinander
Aber was macht ein Sportler, wenn er sich nicht mehr auf sein
Produktionsmittel, seine Muskeln und Sehnen verlassen kann? Er durchlebt
eine verdammt harte Zeit, die ihn an den Rand der Verzweiflung bringt.
Robert Harting war ja in seiner besten Phase derjenige, der 35 Mal
hintereinander den Diskusring als Sieger verließ. Dann musste er an der
Patellasehne operiert werden. Später: Kreuzband gerissen. Es musste so
kommen in einer Sportart, in der man bis zum Äußersten gehen muss, um die
anderen wandelnden Muskelberge zu besiegen.
„Das Gewebe wehrt sich jeden Tag, und wir drängen es in eine Anpassung.“ In
den vergangenen Wochen hat sich vor allem Hartings Quadrizepssehne im
rechten Knie gewehrt. Sie ist angerissen. Der 33-Jährige wollte die
Verletzung nicht auskurieren. Das hätte seine Abschiedstour zunichte
gemacht. Also ließ er sich Kortison ins Knie schießen. „Die Sehne
totspritzen“, nannte er das. Aber: Akute Reißgefahr!
Am Mittwoch findet das EM-Diskusfinale statt. Zur Qualifikation ist Harting
mit einer Kniebandage erschienen. Er bewegt sich beim Aufwärmen wie ein
Tanzbär auf Rohypnol, vermeidet jede allzu schnelle Bewegung. Er vertraut
wohl auf seine in ihm ruhenden Fähigkeiten, seinen Wurf-Algorithmus, mit
dem er es schon irgendwie richten wird.
Und tatsächlich: Er schafft es mit einer für ihn eher mäßigen Weite von
63,29 Metern als Siebtbester in den Endkampf. Andere Größen schaffen es
nicht, der Pole Pjotr Malachowski und Hartings Bruder Christoph, zu dem
Robert nur noch ein „erfrorenes“ Verhältnis hat. Der amtierende
Europameister und der Olympiasieger von Rio sind also draußen. „Ich bin
eine Riesenwaffe, aber ohne Munition“, sagte Christoph Hartung nach seinem
Fauxpas, „ich kann es mir auch nicht erklären, ich bin top in Form.“
## Professioneller Zweifler
Vielleicht lag es ja am Ring, der sehr stumpf war, „da wirft man wie auf
Sandpapier und kann gar keine richtige Beindynamik entwickeln“, erklärte
Robert Harting. Es ist allerdings fraglich, ob Harting auf flutschigem
Boden dynamischer wäre, denn mit den Jahren hat ihn doch eine gewisse
Hüftsteife ereilt. Im Finale möchte er trotzdem noch einmal zwei Meter
draufpacken in diesem Stadion, in das er „angstfrei“ gehen kann.
„Ich bin immer froh, wenn ich hier reinkomme, hier kommt so eine
Glücksebene dazu“, sagte er. „Morgen gehe ich mit mehr Risiko an die
Sache.“ Ob es für eine Medaille reicht? Das ist fraglich. Der Schwede
Daniel Stahl scheint unschlagbar. Aber wie gesagt: Um eine Plakette geht es
nicht wirklich. Dass er sich hier noch einmal präsentieren kann, ist schon
ein Sieg, denn in einem normalen Jahr hätte er nicht über die Verletzung
„drübertrainiert, die Nerven dafür hätte ich gar nicht gehabt“.
Am Donnerstag fängt ein neues Leben an für den Mann aus der Cottbuser
Platte, der sich in Berlin-Weißensee in seinem Wohntraum eingerichtet hat.
„Jetzt ist die Frage, was aus mir wird. Das ist bedrohend, aber auch
befreiend.“ Kann sein, dass er sich beim Arbeitsamt melden muss. Kann sein,
dass er als Künstler oder Projektentwickler arbeitet; an der Universität
der Künste hat er sich ja schon versucht. Der streitbare Athlet,
Funktionärsschreck und Maulheld, er schließt ein Kapitel. Und er sagt: „Der
Leistungssport hat mir einen professionellen Zweifel mitgegeben, er war ein
geschützter Raum, das war cool.“ Eine Tür öffnet sich.
8 Aug 2018
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Leichtathletik-EM
Robert Harting
Diskus
Christoph Harting
Leichtathletik-EM
Leichtathletik-EM
Lesestück Interview
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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