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# taz.de -- Auf ins Hinterland: Vergesst den Strand!
> Der Strand ist die größtmögliche Schnittmenge deutschen Urlaubsbegehrens.
> Dabei lohnt sich eine Drehung um 180 Grad.
Bild: Natur und so gut wie keine Menschen, erst recht keine nackten und eingeö…
Freunde des MARE NOSTRUM, gerade ihr wisst, wie es in Wahrheit bestellt ist
um die mal sandig, häufig aber auch einfach nur steinig ausfransenden
Ränder des Kontinents. Am Ende der Landzunge und des Tages geht es dort nur
bedrängt zu – was auch nicht verwunderlich ist. Wenn alle auf der einen
Bank am See im Stadtpark sitzen wollen, sieht es dort recht bald so aus wie
am Strand von Pampelonne.
Der Strand, das ist die größtmögliche Schnittmenge deutschen
Urlaubsbegehrens. Wer derzeit die sozialen Medien konsultiert, wird mittels
Strandbildern nahezu in die Verzweiflung getrieben. Ostseestrand mit
gestreiften Windschutzwänden, Mittelmeerstrand mit gebräuntem Wellfleisch,
Atlantikstrand mit Kühen.
Und dann auch noch all die Filter, mit denen auf Instagram die Strandfotos
bearbeitet werden und die Reyes heißen oder Juno, Slumber, Crema. Ludwig,
Aden, Perpetua, Amaro – warum eigentlich Ludwig? Von den Sonnenuntergängen
in der Filterverfremdung ganz zu schweigen.
## Parkplatznot und Handtuchtrouble
Ja klar, so ein schöner Tag am Strand. Erst gibt es keinen Parkplatz, und
hat man dann einen, sind alle anderen schon da und haben den letzten
Quadratzentimeter Stein/Sand mit Frotteehandtüchern belegt. Aber dahin und
bis zu dieser Erkenntnis muss man erst mal kommen.
Kilometerlange Dünen sind zu durchwandern, als ob man Karawane gebucht
hätte. Steilküsten sind hinabzuklettern, als sei man Bergziege. Und
endlose, mit schwersten Brocken und zerklüfteten Kaventsmännern belegte
Steinpisten müssen durchquert werden, bis endlich das Ziel erreicht und das
Schuhwerk ruiniert ist – denn Strand ist ja nicht Strand. Die Leute müssen
zum Familienstrand, Kinderstrand, Jugendstrand, Hundestrand, Nacktstrand,
Nackt- und Hundestrand sowie zum schwulen Nacktstrand mit oder ohne Hunde
(meistens ohne).
Wie es dort weitergeht, ist bekannt: Haben Sie ein Stückchen Sand erwischt,
können Sie erst mal die Kippen und den restlichen Müll Ihrer Vorgänger vom
Vortag ausgraben. Auch ist längst Gemeinplatz, dass heutige portable
Lautsprechersysteme mit einer Akku-Laufzeit von bis zu acht Stunden weitaus
leistungsfähiger sind als einst der Grundig „Yachtboy“. Dann noch
Sandkäfer, Blaualgen, Feuerquallen und Katzenhaie – Sie wissen schon.
## „the Hinterland“
Nach diesem Horrortrip sind Sie bereit für einen Perspektivwechsel. Wenn
Sie irgendwo eingequetscht am Strand stehen, dann drehen Sie sich einfach
kurz um 180 Grad. Wenden Sie Ihren Blick für einen Moment vom verschmutzten
und verölten Küstenmeer und entdecken Sie, was hinter den Dünen oder der
Steilküste liegt: das Hinterland! Oder auch „the Hinterland“, wie man in
angloamerikanischen Kreisen sagt.
Falls Ihnen eine Bettenburg im Weg steht und Sie partout nichts sehen
können: Schnappen Sie sich Ihr Fahrzeug – ein Fahrrad wäre erstrebenswert �…
und fahren Sie einfach los, so schnell es geht und so weit weg von der
Küste wie nur irgend möglich.
Sie werden ein Wunder erleben, wenn auch nicht in Blau: Natur und so gut
wie keine Menschen, erst recht keine nackten und eingeölten. Man sieht ab
und zu vielleicht eine Ziege oder ein Schaf. Womöglich eine schwarzweiß
gefleckte Kuh, wenn Sie an der Ost- oder Nordsee sind. Man hört Zikaden
oder Pferdebremsen zirpen und summen.
Hier gibt es nun lauschige Dörfchen und kleine Städtchen, in denen es – man
fasst es nicht – kleine Restaurants und Cafés gibt, in denen nicht
Pizza-Pasta-Burger, sondern ein ordentlicher Mittagstisch serviert wird.
Man kann in schattigen Hofeinfahrten sitzen und gekühlten Rosé zu
vernünftigen Preisen konsumieren. Die Menschen sind freundlich und
zugewandt und nicht habgierig-abgestumpft oder sonst wie moralisch ruiniert
von den Folgen des Massentourismus.
## Mittagessen für sieben Euro
Es gibt hier so viele unglaubliche Dinge. Gestüte. Kirchen. Friedhöfe.
Weingüter, bei denen man sich durchprobieren kann – wer braucht da noch
einen Eimer voll Sangria?
Wer Karten lesen kann, findet mit Glück saubere Flüsse, die auf Ihrem Weg
zum ja noch immer nahen Meer sind – und Seen, in denen niemand schwimmt,
weil alle doch am Strand sind.
Sogar an solchen Orten, die absolut verschrien sind aufgrund der
touristischen Massen, die sich in der Saison durch sie wälzen, funktioniert
der Hinterland-Trick ganz hervorragend. Auf Mallorca etwa: mit
Einheimischen zusammen, Tisch an Tisch, zu Mittag essen für sieben Euro,
Hauswein vom benachbarten Winzer inklusive? Kein Problem. Es gibt dort
überall Örtchen mit bezaubernden kleinen Cafés, in denen man von älteren
Frauen hinter dem Tresen einen wunderbaren Cortado gebraut bekommt. Ich
sage aber nicht, wo.
Die Freiheit und den Frieden, die der Urlauber sucht – im Hinterland ist
das zu haben. Das Paradies ist gleich nebenan. Also: gleich da hinten.
17 Aug 2018
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Urlaub
Meer
Strand
Tourismus
Schwerpunkt Klimawandel
Hitzewelle
Reisen
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