# taz.de -- Manifesta 12 in Palermo: Am richtigen Ort | |
> Einen Parcours durch die Zeitgeschichte zeigt Katharina Sieverding. In | |
> die Stadt der Manifesta hat sie der Verein Düsseldorf Palermo gebracht. | |
Bild: Global Desire I, 2017, von Katharina Sieverding, Digitaldruck auf Vliesr�… | |
Als Großveranstaltung verzeichnet auch die European Nomadic Biennial, kurz | |
die Manifesta 12 in Palermo, ihre sogenannten Collateral Events. Manchem | |
Beiprogramm dürfte freilich in Hinblick auf das eigene, schon lange | |
andauernde künstlerische Engagement in der sizilianischen Hauptstadt eher | |
die Manifesta als Begleitveranstaltung gelten. | |
Die Ausstellung mit Arbeiten von Katharina Sieverding aus den Jahren 1969 | |
bis 2018, die bis Anfang November läuft, wird etwa vom Verein Düsseldorf | |
Palermo getragen. Der von Michael Kortländer 2013 gegründete Verein | |
engagiert sich seit vielen Jahren für die Annäherung beider Städte auf | |
kulturellem Gebiet und hat erfolgreiche Residenz- und Austauschprogramme | |
zwischen den jeweiligen Kunstakademien sowie den zwei Konservatorien und | |
den Museen beider Städte ins Leben gerufen. | |
Die Eröffnung eines eigenen Ausstellungsraums auf dem Gelände der Cantieri | |
Culturali alla Zisa 2016 markiert einen Höhepunkt der Vereinsarbeit. In dem | |
„Haus der Kunst“ genannten großzügigen Raum im ehemaligen Pavillon der | |
berühmten Möbelfabrik Studio Ducrot sind nun 15 Arbeiten von Katharina | |
Sieverding als großformatige Digitaldrucke plakatiert. | |
Analog den ubiquitären Werbebildern in der Stadt kommen Sieverdings | |
Fotoarbeiten dem Betrachter offensiv und direkt entgegen. Dass die | |
Künstlerin auch mit neuesten technischen Möglichkeiten der Bildgestaltung | |
arbeitet, unterstützt ihren in geglückter Weise aggressiven Auftritt unter | |
dem provokanten Titel „Am falschen Ort“. | |
Er stammt von der Arbeit „Global Desire II, Am falschen Ort“ (2017). | |
Katharina Sieverding überlagert hier zwei Bilder, zum einen das des größten | |
syrischen Flüchtlingslagers in Zaatari in Jordanien, in dem 80.000 Menschen | |
leben, und zum anderen das von Technikern, die einen russischen Jagdbomber | |
zur Bekämpfung der Rebellen in Syrien ausrüsten. Die Collage ist aber | |
keineswegs einfach zu entschlüsseln. Auf den ersten Blick glaubt man eher | |
eine antike Ausgrabungsstätte im Gebiet von Euphrat und Tigris zu erkennen, | |
überblendet von einem Relief aus einem Tempel oder Palast. | |
## Unsere Orientfantasien | |
Interessanterweise würde man das Bild aber, gleichgültig, was man darauf zu | |
erkennen glaubt, niemals in einer anderen Weltgegend verorten als dem Nahen | |
Osten. Die Arbeit kennzeichnet ein suggestiv den Orient heraufbeschwörendes | |
Moment. Katharina Sieverding ist sich dessen bewusst. Darum hat sie sich | |
den Bildtitel von Edward Said und dessen Autobiografie ausgeliehen. Es war | |
ja Said, der große Theoretiker des Postkolonialismus, der uns mit unseren | |
Orientfantasien bekannt gemacht hat. | |
Beim Rundgang, rücklaufend von der letztjährigen Arbeit bis zum 1969 | |
entstandenen „Stauffenberg Block I–VIII“, entfaltet sich so ein | |
hochpolitischer Parcours durch die Zeitgeschichte, begleitet von der Frage | |
nach der Rolle, die die Kunst darin spielt, und ihren ästhetischen | |
Möglichkeiten, sofern sie sich als kritisch, aufklärerisch und widerständig | |
versteht. | |
Für Sieverding ist es so ein Leichtes, thematisch an die Manifesta | |
anzudocken. Diese fokussiert auf Stadtentwicklung, öffentlichen Raum, | |
Migration und Integration und reagiert damit auch auf die besonderen | |
Herausforderungen der am Mittelmeer gelegenen Stadt, im kulturellen | |
Schnittpunkt von Europa, Afrika und dem arabischen Raum. | |
In diesem Kontext bringt Sieverdings zwei politisch und ökonomisch | |
autoritäre Regime zur Deckung, wenn in „Global Desire I“ ( 2017) ein höch… | |
amüsierter Kim Jong Un samt Entourage das Amazon Fulfillment Center PHX6 in | |
Phoenix, Arizona, verlässt. Das surreale Bild ist gleichzeitig das | |
symptomatische Bild der Landschaft im 21. Jahrhundert: ein einziges großes | |
Warenlager. | |
## Ein Air von Big Data | |
Dieses Bild kommt im zentralen Beitrag zur Manifesta 12, dem von Rem | |
Koolhaas’ OMA-Büro entwickelten „Palermo-Atlas“, nicht vor. Dabei hat das | |
Team um den Herausgeber Ippolito Pestellini Laparelli versucht, jeden nur | |
denkbaren Aspekt im Kontext der Stadt Palermo anzusprechen. Auch wenn es | |
begeistern mag, dass der Atlas nicht nur die Migrationsströme von Menschen, | |
Pflanzen und trockenen Gütern verzeichnet, sondern auch die über hundert | |
Kinofilme auflistet, die in Palermo gedreht wurden: ein Air von Big Data | |
liegt in der Luft. | |
Niemand weiß derzeit mehr über Palermo, seine politischen und ökonomischen | |
Netzwerke und Strippenzieher, laufende und angedachte | |
Stadtentwicklungsprojekte, Streitfälle usw. als OMA. Anzunehmen, das Büro | |
nutze solches Wissen nicht, wäre naiv. Daher stimmt das Loblied, das | |
Manifesta-Chefin Hedwig Fijen auf die urbanistische Studie als Entwurf für | |
die mögliche Zukunftsplanung der Stadt wie als Rahmenbedingungen für | |
weitere Recherchen singt, nicht unbedingt glücklich. Zumal, wie sie sagt, | |
damit sichergestellt werden soll, „dass die Manifesta 12 einen | |
langfristigen Impact auf die Stadt und die Bürger haben wird“. | |
In Hinblick auf die Finanzen möchte man es nicht hoffen. Die europäische | |
Biennale, die alle zwei Jahre an einem anderen Ort gastiert, hat kein | |
eigenes Budget und lässt sich daher einladen. Vom Kulturetat der Stadt | |
Palermo dürfte für andere Kulturinitiativen nur noch wenig geblieben sein. | |
Und was die aufgelisteten Filme betrifft – da geht seit Jahren das Gerücht, | |
die Unterstützung von Wim Wenders’ „Palermo Shooting“ habe ihn damals, | |
2008, ganz aufgezehrt. Könnte es sein, dass Palermos Bürgermeister Leoluca | |
Orlando mit seinen Kulturvorhaben, überspitzt formuliert, nur eine Mafia | |
gegen die andere ausgetauscht hat? Letztere macht freilich mehr her als | |
erstere. | |
## Ruinöse Kirchen, verwucherte Parks, verwunschene Gärten | |
Tatsächlich gelingt es der Manifesta 12, die unglaubliche Grandezza | |
Palermos wiederzuerwecken. Die Biennale organisiert, weil sie die Kunst | |
wortwörtlich in die Stadt bringen will, notwendigerweise auch eine | |
architektonische Entdeckungstour. Sie führt in ruinöse Kirchen, bislang | |
unzugängliche Palazzi, verwucherte Parks und verwunschene Gärten. Man | |
findet sich in der verstaubten Ruhe von Bibliotheken und Archiven wieder | |
und im Lärm und Geschrei der städtischen Problemviertel wie Zen 2. Mit der | |
Manifesta-Kunst lässt sich die Stadt temporär besonders vielschichtig | |
erfahren. Trotzdem ist der Beitrag von Easyjet und Ryan Air relevanter, | |
wenn es darum geht, Palermo auf die Liste der Städte zu setzen, die zu | |
besuchen, ja an deren Entwicklung teilzunehmen sich lohnt. | |
Michael Kortländer tut das seit dem Ende der 1970er Jahre, als er erstmals | |
auf einer Exkursion der Kunsthochschule Düsseldorf in Palermo war. Er hat | |
den langwierigen Prozess begleitet, in dem Leoluca Orlando das im Westen | |
von Palermos Innenstadt gelegene Areal des Studio Ducrot dem Zugriff der | |
Immobilienwirtschaft entzog und entsprechend seinem auf der Pressekonferenz | |
der Manifesta 12 abermals formulierten Bekenntnis: „früher glaubte man, die | |
Wirtschaft produziere Kultur, heute ist es umgekehrt“, in die Cantieri | |
Culturali alla Zisa umwandelte. In seiner ersten Amtszeit begonnen, konnte | |
das Vorhaben erst nach zwölfjähriger Pause in seiner zweiten Amtszeit | |
realisiert werden. | |
Das Goethe-Institut war im Übrigen die erste Institution, die ganz | |
wortwörtlich mitzog bei seinem Unternehmen. Es folgte das Institut | |
français, und heute finden sich in den riesigen Hallen und den Bürogebäuden | |
der ehemals größten Möbelfabrik Europas unter anderem die Werkstätten der | |
Kunsthochschule Palermo, das nach dem in Palermo geborenen Drehbuchautor | |
und Regisseur Vittorio De Seta benannte kommunale Kino, die Hochschule für | |
Dokumentarfilm, die Istituto Gramsci benannte Bibliothek, das von der | |
berühmten Anti-Mafia-Fotografin Letizia Battaglia geleitete Centro | |
Internazionale di Fotografia und der Ausstellungsraum für zeitgenössische | |
Kunst ZAC (Zisa Arte Contemporanea). Katharina Sieverding ist mit ihrer | |
Ausstellung hier natürlich am absolut richtigen Ort. | |
2 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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