# taz.de -- Geschichte einer Mafia-Fotografin: Kampf gegen la famiglia | |
> Eine Doku zeigt Letizia Battaglia, erste Antimafia-Fotografin Siziliens, | |
> nicht nur im Kampf gegen die Mafia. Auch gegen ihre Familie musste sie | |
> kämpfen. | |
Bild: Hat der Mafia ins Auge gesehen: Letizia Battaglia | |
„Die Kamera war die Chance meines Lebens“, sagt Letizia Battaglia – noch | |
bevor das Kalb in die Knie geht. Bolzenschuss und neorealistisches | |
Gegenlicht. Die Schlächter ziehen die Haut vom dampfenden Leib und der | |
englische Sprecher erklärt in dem militärisch-schnarrenden Ton der | |
fünfziger Jahre, dass die Mafia auf Sizilien nicht nur das Geschäft der | |
Schlachthöfe beherrsche, sondern auch das der Friedhöfe. Särge | |
eingeschlossen. „Shooting the Mafia“ heißt dieser ikonografische | |
Dokumentarfilm über die Fotografin Letizia Battaglia. | |
Blut, Tod und Neorealismus sind die Grundsteine der Arbeit dieser | |
sizilianischen Fotografin, die als erste Frau die Mafia fotografierte und | |
damit zur [1][lebenden Legende wurde]. Und die es heute, mit ihren 84 | |
Jahren und fuchsiafarbenen Haaren (manchmal auch rosa) immer noch liebt, | |
bürgerliche Erwartungen mit einem Knall platzen zu lassen – wie ein Kind | |
eine Papiertüte. | |
Die britische Dokumentarfilmerin Kim Longinotto erzählt Battaglias Leben in | |
einer wilden Collage aus Interviews, Fotos und Fernsehdokumenten, aus | |
privaten Super-8-Filmen und Filmzitaten, unterlegt mit „O sole mio“ und | |
„Volare“. | |
Weil ihr das Leben als Ehefrau des Erben einer sizilianischen | |
Kaffeeröstereidynastie nicht reichte, erfand sich Battaglia neu. Mit 36 | |
Jahren und drei Töchtern verwandelte sie sich aus einer bürgerlichen | |
sizilianischen Ehefrau in eine kettenrauchende Legende: die erste | |
Antimafia-Fotografin Siziliens, Fotochefin der Zeitung Ora. Zu | |
fotografieren begann sie, weil Text mit Fotos besser bezahlt wurde als ohne | |
Fotos. Letizia Battaglia war immer schon pragmatisch und idealistisch | |
zugleich. | |
Die Dokumentarfilmerin Kim Longinotto ist vor allem für ihre Arbeiten über | |
Frauen bekannt, da war ein Film über Letizia Battaglia nur konsequent – | |
denn den größten Kampf ihres Lebens hat diese nicht gegen die Mafia, | |
sondern gegen ihre eigene Familie geführt: Sie kämpfte gegen die | |
Erwartungen, die man in Sizilien an eine Frau stellte, sie rebellierte | |
gegen ihre bürgerliche Herkunft und gegen ihren Vater, sie kämpfte gegen | |
ihren Mann und vielleicht auch gegen ihre Töchter. Und wenn sie am Ende des | |
Films genüsslich erzählt, dass ihr neuer Freund ein 38 Jahre jüngerer | |
Fotograf ist, der Transsexuelle liebt, dann ist auch das Teil von Letizias | |
Lebensprogramm. | |
„Shooting the Mafia“: Wim Wenders hat den Doppelsinn bereits in seinem | |
„Palermo Shooting“ strapaziert, in dem Battaglia sich selbst spielte. Heute | |
ist das Shooting für Sizilien zu einem Produkt geworden, das auf | |
Küchenschürzen, Tonfiguren und Aschenbechern an Kreuzfahrttouristen | |
verkauft wird. Und natürlich arbeitet sich auch Longinottos Film an den | |
bewährten Mafiamythen ab, an den Zigarren rauchenden Mafiabossen im | |
Gerichtsbunker, an der Thunfischjagd als Lieblingsmetapher der Mafia, an | |
den „operazioni brillanti“, den Coups der Carabinieri, als die Bosse Totò | |
Riina und Bernardo Provenzano verhaftet wurden, den ein Nachrichtensprecher | |
allen Ernstes als „Genie des Bösen“ bezeichnet. Dass die Mafia mehr ist als | |
das Narrativ von den Helden und den Schurken, blitzt nur kurz auf, als das | |
Volk in der Kathedrale von Palermo „Mörder“ brüllt und kurz davor ist, die | |
Politiker zu lynchen, die bei der Beerdigung des 1992 ermordeten Richters | |
Paolo Borsellino anwesend waren. | |
Letizia war die erste Person, die ich in Palermo kennengelernt habe, in | |
jenem Frühling 1989, als im Osten der Beton bröckelte und auch in Sizilien | |
das Fundament zu wanken schien, auf dem die Mafia mehr als ein Jahrhundert | |
lang ihre Herrschaft aufgebaut hatte. Heute wissen wir, dass wir uns geirrt | |
haben. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat, sagte Brecht. Denn das | |
Narrativ von den Helden befreit den Einzelnen von seiner Verantwortung. Und | |
vernebelt den Blick auf die Wirklichkeit. Der Siegeszug der Mafia in die | |
Welt begann, als die Helden heilig gesprochen wurden. | |
7 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Mafia-Ausstellung/!5127253 | |
## AUTOREN | |
Petra Reski | |
## TAGS | |
Mafia | |
Sizilien | |
Fotografie | |
Mafia | |
Palermo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Ausstellung „Continente Sicilia“: Versteinerte Gesichter | |
Der Fotograf Franco Zecchin war Zeuge des Mafiakrieges. Seine Ausstellung | |
in Palermo konfrontiert die Stadt mit ihren bleiernen Jahren. | |
Manifesta 12 in Palermo: Am richtigen Ort | |
Einen Parcours durch die Zeitgeschichte zeigt Katharina Sieverding. In die | |
Stadt der Manifesta hat sie der Verein Düsseldorf Palermo gebracht. | |
Fotofestival: Die Schönheit des Schrecklichen | |
Drei Städte, acht Ausstellungsorte, 80 Künstler, eine ganze Region voller | |
Bilder: Das Fotofestival mit dem Motto "Reality Crossings" widmet sich dem | |
sozial interessierten Blick. |