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# taz.de -- Fotofestival: Die Schönheit des Schrecklichen
> Drei Städte, acht Ausstellungsorte, 80 Künstler, eine ganze Region voller
> Bilder: Das Fotofestival mit dem Motto "Reality Crossings" widmet sich
> dem sozial interessierten Blick.
Bild: Himmel über Bagdad: Der Berliner Künstler Stefan Heyne zeigt die Ästhe…
Der Fotokünstler Stefan Heyne druckte Ausschnitte von Explosionswolken, wie
sie täglich den Himmel über Bagdad verdunkeln, auf großformatige
Aluminiumplatten. Nur der Infotext klärt die Besucher des
Wilhelm-Hack-Museums in Ludwigshafen über die sehr konkrete Natur der
äußerst ästhetischen abstrakten Hell-Dunkel-Muster auf. Darf man etwas so
Schreckliches so schön verfremden? Dumme Frage, denn was immer der Künstler
intendierte, die Lektion sitzt in jedem Fall: wie sehr der Ausschnitt den
Bildgegenstand und dessen vermeintliche Botschaft definiert.
Das Ludwigshafener Museum ist nur einer von insgesamt acht
Ausstellungsorten des Fotofestivals "Reality Crossings". Die Orte verteilen
sich auf Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg, sodass der urbane Großraum
ganz in zeitgenössische Fotokunst getaucht ist. Haben Farbe und digitale
Bearbeitung die traditionellen Grenzen der Fotografie längst gesprengt,
bezieht nun Christoph Tannert, Leiter des Berliner Künstlerhauses Bethanien
und Kurator des Mammutunternehmens, noch Videoinstallationen mit ein. Bei
insgesamt 80 ausstellenden Künstlern aus aller Welt, von denen die meisten
aus Europa stammen und überraschend viele in Berlin leben, sind die Themen
vielfältig. Doch "im Mittelpunkt steht der sozial interessierte Blick", so
Tannert im Katalog.
Wen wundert es da, dass Trauer und Melancholie die Grundtöne vieler
Arbeiten sind? In fünf schwarzen Boxen interpretiert Mariele Neudecker die
Kindertotenlieder von Gustav Mahler, indem sie die Texte an die Wand
schreibt und kurze Videosequenzen dazu zeigt. Ein Fenster etwa gibt durch
den windbewegten Tüllvorhang den Blick auf eine Berglandschaft frei, die
sich durch wabernden Nebel ständig verändert. Dazu überlagern sich die fünf
Lieder zu einem kanonartigen Lamento. Der "Schleierkampf" auf einem Video
der in Deutschland lebenden Türkin Nezaket Ekici verursacht dagegen heftige
Schlaggeräusche. Immer wieder schlägt sie den schwarzen Schleier vor ihrem
Gesicht nach oben, ein endloser Versuch, sich aus der Klemme zwischen zwei
Kulturen zu befreien. Umgekehrt möchte die hier geborene Jordanierin Shirin
Damerji in die Rolle ihrer arabischen Halbschwestern schlüpfen. In Amman
lässt sie sich von einem Stylisten verwandeln und einem arabischen
Fotografen fotografieren. Doch die Posen, die sie auf Geheiß des Mannes
einnimmt, bleiben künstlich, die Verwandlung durch Schmuck und Schminke
äußerlich. Die ausgestellte Reihe der riesigen C-prints beweist es.
Der Blick auf eine andere Kultur und der Versuch, die Differenzen
auszuhalten, beschäftigt viele Fotokünstler, die das Thema auf den
insgesamt 300 Exponaten vielfach variieren. Der Schweizer Benjamin
Füglister wirft ein neues Licht auf deutsch-asiatische Paare. Die in Manila
entstandenen Doppelporträts zeigen nicht ausbeuterischen Sextourismus, weil
Ausdruck und Gestik beider Partner von Zuneigung und dem Willen zur Dauer
sprechen. Die Koreanerin Debbie Han verschmilzt durch digitale Bearbeitung
antike griechische Köpfe und nackte Körper von heute zu einer harmonischen
Einheit. Ein kaum erfüllbarer Traum, der auch nicht wünschenswert ist.
Nicht Einheitsbrei, sondern Toleranz soll entstehen, zumal Menschen in
jeder Kultur unter gesellschaftlichen Zumutungen wie Stress, Armut oder
Gewalt leiden.
Deren künstlerische Darstellung bildet einen weiteren roten Faden des
Fotofestivals. Das Künstlerpaar Burnett-Rose filmte erschöpft schlafende
Menschen in der Bahn, während an den Fenstern all die gigantische Technik
vorübergleitet, die sie tagsüber in Gang gehalten haben. "Sleeping Angels"
heißt das Video zärtlich. Immer ist die Sozialkritik derart unaufdringlich,
fast versteckt, dogmatische und rechthaberische Positionen blieben
vollständig außen vor. Keineswegs widerspricht das dem Statement des
Kurators: "Wir leben in einer Zeit, die mehr Biss verlangt."
Die anklagende Reportage-Fotografie ist nur spärlich vertreten, etwa mit
Roland Fuhrmann, der die Bleibe von Obdachlosen unter Pariser Brücken
ablichtete, oder mit Yun Sheng Geng, der das Elend der chinesischen
Minenarbeiter dokumentierte. Sie konzentriert sich auf das
Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen, wo 30 schockierende Schwarz-Weiß-Fotos
der Sizilianerin Letizia Battaglia zu sehen sind, die die Morde der Mafia
und die Armut in Palermo dokumentieren. Das jüngste Exponat entstand 1992,
nach der Ermordung des Richters Falcone. Es ist ein Porträt Rosaria
Schifanis, deren Mann als Leibwächter mit diesem umgebracht wurde. Die
Fotografin, die jahrelang glaubte, mit ihrer Kamera zu Veränderungen
beitragen zu können, resignierte und beschränkte sich auf politische Arbeit
im Stadtrat und in Initiativen.
Am eindringlichsten wirken jene Fotos, auf denen kein Blut fließt, weil sie
die Menschlichkeit dokumentieren, die sich die armen Bewohner des
Cala-Viertels bewahrt haben. Da schläft die erschöpfte Frau am äußersten
Rand des Bettes, damit ihre beiden schmächtigen Kinder noch Platz finden.
Verloren hocken sie auf der zerschlissenen Decke, daneben der
Wasserkanister und dahinter die verkommene Wand, ohne jeglichen Schmuck.
Die heute 72-jährige Letizia Battaglia erhält im Rahmen des Fotofestivals
den Erich-Salomon-Preis, die höchste deutsche Auszeichnung für
FotografInnen.
6 Oct 2007
## AUTOREN
Ursula Wöll
## TAGS
Mafia
Oper
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