# taz.de -- Frankreich nach dem Halbfinale: Schönheit zweiter Ordnung | |
> Die Belgier sind traurig, weil Frankreichs Équipe sie daran hinderte, ein | |
> berauschendes Spiel zu spielen. Warum wird der Sieger nicht dafür gelobt? | |
Bild: Samuel Umtiti – Defensivkünstler und Torschütze der französischen Na… | |
Es ist ein oft bemühter Satz: Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive | |
Titel. Frankreich hat sich gegen Belgien angeschickt, einen erneuten Beweis | |
dafür zu liefern. Bei der WM 2014, als die Équipe tricolore reinsten | |
Offensivfußball zelebrierte, sind sie am Realismus der deutschen Mannschaft | |
im Viertelfinale gescheitert. Und am langen Arm des Manuel Neuer. Es zeigt | |
sich nun: Sie haben gelernt. | |
[1][War das schön, dieses erste Halbfinale?] War die letzte halbe Stunde | |
gegen Belgien, als sich die Mannschaft hinten verbarrikadierte, mit sechs, | |
sieben Mann auf einer Linie, war das schön? Als Raphael Varane und Samuel | |
Umtiti Ball um Ball aus dem Sechzehner dengelten: War das etwa schön? | |
Jedenfalls war es nicht spektakulär. Es gibt sehr wenige YouTube-Videos, | |
die Zusammenschnitte von gelungenem Stellungsspiel feiern. Natürlich gibt | |
es diese Grätschen, für die Gedenktage ausgerufen gehören. Aber generell | |
gilt: Verteidiger haben ihren Job dann perfekt erledigt, wenn sich das | |
Publikum drei Tage nach dem Spiel sie kaum mehr erinnern kann. | |
Das widerspricht dem Versprechen, das die Vermarkter dem Zuschauer gibt; es | |
widerspricht den Bildern, die das Fernsehen gern hat, das Action sehen | |
will, Explosionen, Verfolgungsjagden. Das Fernsehen liebt es, wenn die | |
Protagonisten, die es zeigt, die Kontrolle verlieren; nur dann kann es sich | |
der Zuschauer in aller Erhabenheit behaglich machen. | |
Frankreich aber hat, zumindest in der letzten halben Stunde des Spiels vor | |
dem Finale, mit 1:0 in Führung liegend, die Kontrolle nicht hergegeben. | |
Damit hat es auch den Gegner frustriert. „Frankreich spielt Antifußball“, | |
sagte Thibaut Courtois, der belgische Torwart. „Das war nicht schön | |
anzusehen. Diese Mannschaft war nicht besser als wir.“ | |
Ausgerechnet Thibaut Courtois, möchte man da rufen, der beim englischen FC | |
Chelsea spielt, dem Inbegriff des dreckigen, ergebnisorientierten Spiels. | |
Der müsste doch wissen, was es heißt, den Gegner derart zu frustrieren, | |
dass er eine Tonne kaputt tritt. Aber das wäre freilich Whataboutism. | |
## Es geht ums Spiel, nicht ums Ergebnis | |
Darum andersrum: „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“, sagte | |
der Maler Martin Kippenberger einmal, und das gilt auch für Fußballspieler. | |
Sie können den Erwartungen nicht gerecht werden. Insbesondere, weil diese | |
in einem WM-Halbfinale doppelte sind. Einerseits sollen sie gewinnen, | |
erfolgreich sein. Andererseits soll es ein hübsches Spiel sein, | |
erinnerungswürdig, den aufgebauten Phantasmen entsprechen. | |
Es sind nur ganz wenige Spiele, in denen das zusammengeht. Deswegen sind | |
bei Turnieren die Spiele um Platz drei mit die schönsten: weil es da, alles | |
in allem, nur noch ums Spiel geht, nicht mehr ums Ergebnis. | |
Im Endeffekt sind nach Umtitis Tor beide Mannschaften an diesem doppelten | |
Anspruch gescheitert. Frankreich hat sich in den eigenen Strafraum | |
verbissen, das ist das eine. Aber die Antwort, die Belgien glaubte geben zu | |
müssen, war nicht eben einfallsreich: hohe Bälle in den Strafraum, auf | |
Romelu Lukaku und Marouane Fellaini. Die französische Mannschaft brauchte | |
auch deswegen nicht zu glänzen, weil Belgien nur noch den Move nach vorn | |
kannte. | |
Es gibt eine interessante Differenz zwischen jenen, die jeden ihrer | |
Samstage einem Bundesligaverein widmen, [2][und den anderen, die Fußball | |
nur in Jubeljahren gucken]: Erstere haben Verständnis für die Leistung, | |
kein Tor zu kassieren. Diese Erkenntnis kommt nicht unbedingt aus einem | |
Wissensvorsprung, er ist eher Ergebnis eines emotionalen Reifungsprozesses: | |
Es kann nicht immer nur Kaviar sein. | |
War das, was Frankreich spielte, berauschender Fußball? Es war ein Plan, | |
der aufging: Schönheit zweiter Ordnung. | |
11 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Frederic Valin | |
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