Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachspielzeit Pro & Contra: Es ist die Hölle! Oder doch nicht?
> Zeitschinderei muss nachgespielt werden. Die Argumente für die
> Nachspielzeit sind stark. Die dagegen allerdings auch.
Bild: Das ist zu wenig!
Nein.
Das Phänomen ist sattsam bekannt: Sobald eine Mannschaft führt, trottet sie
bei Auswechslungen langsam vom Platz und hat schlimme „Verletzungen“, die
erst besser werden, wenn betroffene Spieler vom Platz getragen wurden. Bei
Ecken wird der Schütze gefühlt achtmal gewechselt, ehe der Ball ins Aus
gedroschen wird. Oder: Der Torwart nuckelt gemütlich an seiner
Wasserflasche, ehe er einen Abstoß schlägt. Mit anderen Worten:
Zeitschinderei, der Grund für die Nachspielzeit.
So geschehen auch im Gruppenspiel zwischen [1][Peru und Frankreich]: Peru
presste aufs Tor, hatte Chance um Chance, als Frankreichs Kylian M’Bappé
eine regelrechte Odyssee hingelegt hat, um seine Auswechselbank zu
erreichen. Die Peruaner protestierten vehement beim Schiedsrichter, doch
dieser winkte ab: M’Bappés Spielverschleppung würde nachgespielt werden.
Doch dem war nicht so: Der Schiedsrichter wollte nur vier Minuten den 90
regulären Minuten draufgeben, Perus Schlussoffensive fand kein glückliches
Ende.
Solche Szenen waren bei dieser WM kein Einzelfall: Als etwa die definitiv
nicht favorisierte [2][Schweiz beim 1:1 gegen Brasilien] kurz vor der
Sensation einer Nichtniederlage stand, gab es auch bei den Eidgenossen
elend lange Auswechslungen und Abstöße; Brasilien hatte keine Zeit mehr,
einen Siegtreffer zu schaffen.
Glücklicherweise wird dennoch während der WM mehr und länger nachgespielt
als in Europa (in der Champions League beispielsweise) üblich. Deshalb
fallen auch wichtige Tore in der Nachspielzeit, die eben Teil eines
Fußballspiels ist und kein sinnloser Zeitbonus. Etwa, um sich den Ball hin
und her zu schieben.
Vor allem in der deutschen Bundesliga kommen solche unsportlichen,
spieldestruktiven Aktionen wie die Zeitschinderei ungestraft durch. Selten
beträgt die Nachspielzeit mehr als läppische drei Minuten, ganz unabhängig
davon, wie viel Theater von irgendeinem der Teams zuvor gemacht wurde.
Laut Spiegel Online spielen Amateure in den Partien unterer Ligen sogar
rund zehn Minuten mehr netto. Die Schiedsrichter lassen ihnen einfach diese
Volten wider den guten Sportsgeist nicht durchgehen.
Wenn Schiedsrichter konsequent die geschundene Zeit nachspielen lassen
würden, gäbe es Spiele, die nach den 90 Minuten viel länger als eine
Viertelstunde Verlängerung dauern würden. Und das wäre prima so! Denn wer
wie Kylian M’Bappé sich in Superzeitlupe vom Platz trödelt, ist einfach
nur: unfair. (Jaris Lanzendörfer)
***
Ja.
Sie können guten Gewissens behaupten, jede Minute der mit Ihrem Arbeitgeber
vereinbarten Arbeitsstunden voll und ganz Ihrer Arbeit zu widmen? Dann
können Sie nach Abpfiff dieses Satzes beim Kollegen nebenan weiterlesen.
Wenn nicht, dürfte es Ihnen leichtfallen, Fußballer zu verstehen, die nicht
die vollen 90 Minuten durchrennen.
Und Sie dürften zu denen gehören, die wegen der neuen überlangen
Nachspielzeit kurz davor sind, die WM zu boykottieren. Wer seinen Job gut
macht, der macht ihn nicht mit der Stechuhr, sondern mit Leidenschaft.
Wofür andere – beispielsweise Jogis Team – [3][95 Minuten brauchen],
erledigen andere – beispielsweise Schweden – eben in der regulären
Spielzeit.
Laut einer Statistik der Fifa wird im Schnitt nur 52 Minuten und 47
Sekunden Fußball gespielt. Die restlichen 37 Minuten finden wegen
Spielunterbrechungen ohne Ballbewegung statt. Wer also allen Ernstes
glaubt, mit einer Nachspielzeit einem fairen und gerechten
Schwiegersohnfußballspiel näherzukommen, bitte.
Von mir aus probieren wir das mal aus: eine ganze WM mit Stechuhr.
Voraussichtlich wird es die ödeste WM aller Zeiten. Dafür, dass die Spieler
davon abgehalten werden, übermäßig Zeit zu schinden, wird übrigens der
Schiedsrichter eingekauft. Der hat sich ins Gefecht zu stürzen und nicht
einfach zu denken, dass er ja später noch zwölf Minuten draufschlagen kann.
Als ob in der Nachspielzeit nicht genauso Zeit geschunden und Schwalben
geflogen werden können.
Schon Sepp Herbergers Erkenntnis lautete nicht: Das Spiel besteht aus 90
Minuten Fußballspiel. Sondern: Das Spiel dauert 90 Minuten. Wer all die
verzögerten Balleinwürfe und -abstöße, all die Zeitschindereien und
Kloppereien, all das Löcher-in-die-Luft-Starren und Bälle-ins-Aus-Schießen
nicht als Teil des Fußballspielens, sondern als Verbrechen betrachtet, der
findet auch zuckerfreie Süßigkeiten gut und glaubt, wenn er die isst, gibt
das Leben noch ’ne Nachspielzeit. Is’ aber nicht so.
Für keine Verletzung, keine Einwechslung, kein Seitenaus kann das Leben
einen vermeintlich unfairen Gegner verantwortlich machen und eine gerechte
Spielzeit einfordern. Wer es verpasst hat, in der Zeit, die ihm bleibt, ein
Tor zu schießen, der geht ganz einfach mit einer fetten Niederlage vom
Platz. So sollte es auch im Fußball sein und bleiben. (Doris Akrap)
26 Jun 2018
## LINKS
[1] /Gruppe-C-Frankreich--Peru/!5515082
[2] /Gruppe-E-Brasilien--Schweiz/!5513667
[3] /Deutschland-vs-Schweden/!5515330
## AUTOREN
Doris Akrap
Jaris Lanzendörfer
## TAGS
Frauen-WM 2019
WM-taz 2018: Auf dem Platz
Fußball
Frauen-WM 2019
Frauen-WM 2019
Frauen-WM 2019
Frauen-WM 2019
WM-taz 2018: Auf dem Platz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar WM-Modus: Weg mit der Vorrunde!
Frankreich gegen Dänemark war ein Grottenkick. England gegen Belgien wird
einer werden. Schuld daran ist der Vorrundenmodus. Abschaffen.
WM in einer fußballfreien Kneipe: Niemand sieht das Drama
Dem Fußball zu entkommen ist nicht schwer: einfach irgendwohin, wo es
keinen Fernseher gibt. Aber so einfach ist es selbst in Berlin dann doch
nicht.
Trotz Sieg vor dem Aus?: Schon wieder ein Endspiel
Die DFB-Elf braucht gegen Südkorea unbedingt einen Erfolg. Jogi Löw kann
mittlerweile sehr flexibel planen – taktisch und personell.
Gruppe E: Brasilien – Costa Rica: Neymar, der Elferstrauchdieb
Brasilien drängt, doch der Ball will lange nicht rein. Costa Rica
verteidigt gut, spielt auch nach vorne und fängt sich ganz zum Schuss zwei
Tore.
Gruppe B: Marokko – Iran: Das Comeback der Vuvuzelas
Marokko mit viel Spielfreude, Iran hilft sich mit Fouls: Am Ende wird das
Spiel nicht zuletzt wegen zahlreicher Unterbrechungen sehr zäh.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.