| # taz.de -- WM in einer fußballfreien Kneipe: Niemand sieht das Drama | |
| > Dem Fußball zu entkommen ist nicht schwer: einfach irgendwohin, wo es | |
| > keinen Fernseher gibt. Aber so einfach ist es selbst in Berlin dann doch | |
| > nicht. | |
| Bild: Nur mäßig entspanntes Bier | |
| Zu spät erreiche ich das Laidak am Boddinplatz. Eine Familie wuchtet den | |
| Kinderwagen durch die schmale Tür der Kneipe, die Tochter möchte noch auf | |
| den Spielplatz, der Papa antwortet, bemüht unaggressiv: „Nein, wir gehen | |
| jetzt nicht mehr auf den Spielplatz, sondern auf dem schnellsten Weg nach | |
| Hause.“ | |
| Drinnen im Raucherraum erkennbar eilig verlassene Plätze, halbleere | |
| Biergläser auf den Tischen. Deutschland spielt gegen Schweden, vor vier | |
| Minuten war Anstoß. Im Laidak gibt es keinen Fernseher. | |
| „We are not a Sports Bar“, sagt die Tresenkraft in sauberstem Neuköllner | |
| Idiom. Sehr gut. An Fußball, internationalen Wettbewerben zumal, | |
| interessiert mich nur ein möglichst frühes Ausscheiden der deutschen | |
| Nationalmannschaft. | |
| Bernd Volkert, einer der drei Wirte, kommt hinzu. Ob es sich geschäftlich | |
| bemerkbar macht, dass sie keine WM-Spiele zeigen? Er schüttelt den Kopf. | |
| Das Stammpublikum sei international-akademisch: „Das interessiert die | |
| überhaupt nicht.“ Tatsächlich füllt sich der Raucherraum wieder zügig. �… | |
| sind robust, auch ohne Fußball“, sagt Volkert. Die Leute lesen und reden, | |
| es ist die 22. Minute, mein Handy-Akku ist bei 24 Prozent, null zu null. | |
| „2012 hatten wir mal einen Fernseher im Nebenraum, aber geschaut hat da | |
| niemand, also lassen wir es jetzt einfach.“ | |
| Es ist also kein politisches Prinzip? Kein Fußball- oder Fahnenverbot? Der | |
| Wirt verneint. Es gibt zwar einen losen Verbund von linkeren Kneipen, die | |
| sehr bewusst annoncieren, dass sie den Ballsporttaumel ablehnen, aber das | |
| Laidak hält sich da raus. Die Abwesenheit nationaler Insignien ist hier | |
| eher selbstverständliche Beiläufigkeit als demonstrative Programmatik. | |
| ## Halbzeit, Akku auf 16 Prozent | |
| Ob ihn Fußball interessiere: „Ja, sicher.“ Und zwar so richtig. Volkert war | |
| schon immer Fan. Karl-Heinz Rummenigge war sein Idol. Zu den größten | |
| Kindheitsträumen gehörte die Wallfahrt aus der oberpfälzischen Heimat ins | |
| westfälische Lippstadt zum Geburtshaus der Rummenigge-Brüder. „Ich war | |
| wirklich noch sehr jung.“ Vom Laidak ausgehend wird der mutmaßlich erste | |
| Neuköllner Kneipenpokal organisiert, der am 14. Juli im | |
| Werner-Seelenbinder-Park ausgetragen werden soll, einen Tag vor dem | |
| Finalspiel der WM. | |
| Halbzeit, eins zu null für Schweden, Akku auf 16 Prozent. Niemand in diesem | |
| Raum außer mir scheint Kenntnis vom Drama zu nehmen, dass sich gerade in | |
| Sotschi abspielt, Ladegeräte gibt es auch keine. Der Wirt erzählt noch ein | |
| bisschen von Gewerbemieten in Neukölln, bisher hatte das Laidak da kein | |
| Problem. Überhaupt hat er den Eindruck, dass die Hyperkommerzialisierung | |
| der Gewerbeflächen hier nicht ganz so brutal durchschlägt wie davor die | |
| Verdrängung in Friedrichshain. | |
| Kurz nach neun springt Volkert auf, seine Tresenschicht beginnt. Der | |
| Raucherraum ist inzwischen so voll, dass Einzelgäste zusammengerückt | |
| werden, damit größere Gruppen noch Platz finden. Am Nebentisch wird über | |
| linken Antisemitismus diskutiert, auf der anderen Seite über französische | |
| Lyrik reflektiert. Gegenüber von mir kann einer kaum die Augen von seinem | |
| Buch lösen, Julian Barnes, „Der Lärm der Zeit“. | |
| Die zweite Halbzeit neigt sich ihrem Ende zu, der Akku auch, eins zu eins | |
| zu fünf Prozent. Zum Schluss der regulären Spielzeit zahle ich mein | |
| Zwickel. Aufbruch durch den Neuköllner Abend. Vor den Afroshops und | |
| türkischen Telecafés wird ausgelassen mit Deutschlandfahne getanzt: zwei zu | |
| eins in der Nachspielzeit. Am Mittwoch, dem dritten Spieltag der Gruppe F | |
| komme ich wieder ins Laidak, dann aber mit vollem Akku und bis zum Abpfiff. | |
| 27 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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