| # taz.de -- England will WM-Geschichte schreiben: Plötzlich oben auf | |
| > Mit dem Auftaktsieg löste die englische Mannschaft Euphorie aus. Ein | |
| > beinahe unbekanntes Turniergefühl, das sie gegen Panama weiter tragen | |
| > soll. | |
| Bild: Harry Maguire aus England bejubelt nach Spielende den Sieg | |
| Manchmal ist es gut, von ganz unten zu kommen. Wenn man nichts mehr zu | |
| verlieren hat. Wenn eh niemand etwas von einem erwartet. Die Sorgen sind | |
| dann kleiner. Die Überraschung umso größer, wenn man mal wieder nach oben | |
| kommt. | |
| Die Engländer haben nichts zu verlieren. Das Team ist frei – auch wenn sich | |
| das [1][im ersten Spiel gegen Tunesien (2:1) nur phasenweise so anfühlte]. | |
| Denn ganz unten war es schon: „Vollkommen ahnungslos“ sei das Team gewesen | |
| (The Times), „gedemütigt“ wurde es, „eine der erniedrigendsten Niederlag… | |
| der Geschichte“ (The Guardian), eine „Schande“, „Müll“ (The Sun). | |
| Das war 2016, nach dem 1:2-Aus im Achtelfinale der Europameisterschaft | |
| gegen den Fußballzwerg Island. Trainer Roy Hodgson trat anschließend ab, | |
| mit Sam Allardyce kam ein neuer Coach, der zwei Monate später auch schon | |
| wieder weg war, weil er auf Journalisten des Daily Telegraph reingefallen | |
| war – und allzu offen darüber geplaudert hatte, wie man Transferregularien | |
| umgehen könnte und wie dumm der englische Verband doch sei. | |
| Mit Gareth Southgate trainierte ab Herbst 2016 einer die | |
| Nationalmannschaft, der sich ebenfalls damit auskennt, ganz unten aber frei | |
| zu sein. Er war und ist das Synonym für die wohl schmerzhafteste Niederlage | |
| im englischen Fußball bis zu eben jenem Island-Spiel: dem verlorenen | |
| Elfmeterschießen im EM-Halbfinale 1996 gegen Deutschland, dem Halbfinale | |
| daheim. | |
| Es gab anschließend einen Fast-Food-Werbespot mit Southgate, in dem er | |
| verarscht wird. Tenor: Der trifft nichts. Dann läuft Southgate in dem | |
| Restaurant gegen eine Säule. Naja, immerhin den Pfosten trifft er. Ha, ha. | |
| Southgate war so weit unten, er war so frei, diesen nur mittelmäßig | |
| lustigen Spot mitzumachen. | |
| ## Wo ist Harry? | |
| Heute hat Southgate eine ebenso freie Truppe. Jahrelang schickte England | |
| die alten Kämpen aufs Feld, die Rooneys, Lampards, Gerrards, Terrys. Die | |
| einen verabschiedeten sich nach dem WM-Vorrundenaus 2014, die anderen nach | |
| der Blamage 2016. Geblieben ist eine junge, hungrige Mannschaft mit einem | |
| klaren Anführer: Harry Kane, Kapitän, Doppeltorschütze im ersten Spiel, | |
| insgesamt neun Treffer in den letzten acht Länderspielen, 30 Tore in dieser | |
| Premier-League-Saison und auch erst 24 Jahre alt. | |
| Vom ersten Spiel gegen Tunesien gibt es eine Szene ohne Ton: Ecke für | |
| England, Kopfball des Innenverteidigers John Stones, Blick auf die | |
| Trainerbank, Southgate springt auf, er sagt etwas, dann wieder Blick in den | |
| Strafraum, da ist Harry Kane – und staubt ab. Anschließend wollte viele in | |
| dem von Southgate Gesagten „Oh, where is Harry?“ – Wo ist Harry? – erka… | |
| haben. Vermutlich hat er nur „Oh, what a save!“ – Was für eine Parade! �… | |
| gerufen. Egal. Das „Where is Harry?“ hätte einfach zu gut gepasst zu dieser | |
| Mannschaft. | |
| Vorn soll es halt Kane richten. Dabei ist das englische Team viel mehr als | |
| Kane. Es ist auch noch der schnelle Dele Alli (22 Jahre alt), die ebenso | |
| fixen Jesse Lingard (25) und Raheem Sterling (23), die gut funktionierende | |
| Defensiv-Dreierkette Harry Maguire (25), Stones (24), Kyle Walker (28). In | |
| ihren besten Momenten spielte das junge Team gegen Tunesien seine | |
| Schnelligkeit aus, kickte und rannte und kombinierte atemberaubend. In | |
| seinen Momenten kickte und rannte und kombinierte es sich ins Aus. | |
| ## Diesemal könnte es weiter gehen | |
| Aber: Es kickte und rannte und kombinierte immer. Oder versuchte es | |
| zumindest. Kein Vergleich zum klebrigen Altherrenfußball, den die Engländer | |
| in vergangenen Jahren immer wieder aufführten. | |
| Dazu kommt, dass sie im ersten Spiel ein emotionales Moment geschaffen | |
| haben: Sie überzeugten – und sie schossen kurz vor dem Abpfiff tatsächlich | |
| durch Kanes zweites Tor den Sieg. Solch ein | |
| Dieses-Jahr-schreiben-wir-Geschichte-Moment gab es 2016 nicht: Das erste | |
| Spiel gegen Russland war schwach (1:1), das Prestigeduell gegen Wales war | |
| Glück (2:1), das letzte Gruppenspiel gegen die Slowakei (0:0) langweilig – | |
| und das Aus gegen Island folgerichtig. | |
| Diesmal könnte es weitergehen. Viel weiter. Denn nach dem emotionalen | |
| Auftakt folgt das Spiel gegen Panama – einem Gegner, der zwar gegen Belgien | |
| aufopferungsvoll kämpfte, aber Kane und Co. die Chance bietet, das Momentum | |
| am Leben zu halten: Dieses Jahr schreiben wir Geschichte. Das Problem: Je | |
| weiter man kommt, desto mehr hat man plötzlich doch zu verlieren. | |
| 24 Jun 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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