# taz.de -- Norbert Blüm über CDU und CSU: „Kohl war das rote Tuch für Str… | |
> 1976 beschloss die CSU die Trennung von der CDU. Parallelen zu heute | |
> sieht der ehemalige Arbeitsminister Blüm allerdings nur bedingt. | |
Bild: Norbert Blüm war 1976 in der Bundestagsfraktion und im CDU-Bundesvorstand | |
taz: Herr Blüm, war im November 1976 absehbar, dass die CSU die | |
Bundestagsfraktion verlassen wollte? | |
Norbert Blüm: Naja, Franz Strauß hat sich dauernd über Helmut Kohl lustig | |
gemacht. Er hat in Sonthofen und vor der Jungen Union wilde Reden gehalten, | |
dass der Kohl es nicht kann und ihn zum Depp erklärt. | |
Was Kohl daraufhin getan? | |
Der hat ruhig und richtig reagiert und Strauß in Watte laufen lassen. | |
Strauß war wie ein wild gewordener Stier. Und Kohl war das rote Tuch. | |
Wie hat der CDU-Bundesvorstand auf den Trennungsbeschluss von Kreuth im | |
November 1976 geantwortet? | |
Wir haben sofort die Ausweitung der CDU in den Freistaat Bayern ins Auge | |
gefasst. Und wir hatten in der CSU Sympathisanten: den Wirtschaftsminister | |
Jaumann, den Fraktionschef im Landtag Lang, Theo Waigel, der JU-Chef in | |
Bayern war. Das waren nicht nur Kreisvorsitzende. Auf der CSU-Klausur in | |
Kreuth haben, hab ich mir sagen lassen, alle Abgeordneten in der Diskussion | |
Strauß als Retter des Abendlandes gefeiert. Aber in der geheimen Abstimmung | |
hat aber ein Drittel dagegen gestimmt. Das hat Strauß schon erstaunt. | |
Warum ist der Aufstand der CSU zusammengebrochen? | |
Einige haben Angst vor der eigenen Courage bekommen. Es ist leichter in | |
Kreuth heldenhafte Beschlüsse zu fassen als die auch umzusetzen. Es ist | |
vielen in der CSU klargeworden, dass sie in jedem Stadtrat und Kreistag | |
bald Konkurrenz bekommen würden. Politik spielt nicht nur im Bundestag, | |
sondern auch im Kommunalen. Da hatten viele Muffensausen, ihr Mandat zu | |
verlieren. Kommunalpolitiker sind für ideologische Kreuzzüge nicht | |
besonders geeignet. | |
War es der CDU damals klar, dass die Trennung der Fraktion automatisch die | |
Nordausdehnung der CSU bedeutetet? | |
Ja, deshalb haben wir ja die Südausdehnung der CDU beschlossen. Das hatte | |
Strauß unterschätzt. Der hatte erwartet, dass die CDU auseinanderfallen | |
würde. Es gab ja innerhalb der CDU überall in der Republik | |
CSU-Freundeskreise. Doch die waren, als es drauf ankam, nicht so heroisch | |
wie Strauß es erwartet hatte. | |
Aber was war mit der CDU-Rechten, mit Filbinger und Dregger? Die hatten | |
doch Sympathien für den scharfen Kurs der CSU… | |
Ja, aber nicht für eine Trennung. Bei Dregger kamen alte soldatische | |
Ehrbegriffe zum Vorschein: Man verlässt die Kompanie nicht. Das ist keine | |
Kategorie, in der ich denke. Aber das war 1976 sehr hilfreich. Die CSU | |
merkte Ende November, dass sie längst nicht so viele Freunde in der CDU | |
hatte. Und die CDU war entschlossen. | |
Kam diese Entschlusskraft von Kohl – oder von dem damaligen Generalsekretär | |
Kurt Biedenkopf? | |
Die kam von Kohl. Der war ja ein Gefühlspolitiker. Und Gefühle sind in | |
solchen Momenten wichtiger als strategische Begabung. Kohl hatte begriffen: | |
Die Familie ist in Gefahr. Die Familie muss zusammenhalten. Er hat Kreuth | |
für Verrat gehalten. Deshalb war er dagegen, nicht aus taktischen | |
Überlegungen. | |
Welche Rolle hat Heiner Geißler gespielt? | |
Der war wie wir alle gegen die Trennung. Geißler und ich – wir waren für | |
Strauß Sozialisten. Wenn der Strauß die Verkommenheit der CDU vorführen | |
wollte, waren wir das feststehende Personal dafür. Ich war ja der Teufel | |
für Strauß. | |
Warum hat Strauß nachgegeben? | |
Den hat der Mut verlassen als er begriff, dass seine Truppen in der CDU | |
kleiner waren als erwartet. Er war nicht ganz so mutig wie er in seine | |
Reden tat. Strauß war im rhetorischen Angriff immer stärker als im | |
Durchhalten. | |
Hat Strauß Kohl unterschätzt? | |
Ja, er hat ihn wie einen Junge-Union-Vorsitzenden behandelt und dessen | |
Standfestigkeit unterschätzt. Kohl hat nicht gewackelt. Auch die, die in | |
der CDU schwankten, merkten: Der Kohl geht eher über die Klinge als die | |
Spaltung mitzumachen. Und Kohl hat in der CDU alle mobilisiert. Das Telefon | |
war sein politisches Instrument. Er hat abends um elf noch Kreisvorsitzende | |
angerufen. Als im Dezember der Aufstand abgeblasen war, hatten ganz viele | |
CSUler in Kreuth dagegen gestimmt. Es waren erstaunlich viele | |
CSU-Abgeordnete schon immer gegen die Trennung gewesen. Eine wundersame | |
Vermehrung. | |
Sehen Sie Parallelen zu heute? | |
Das Gefühl ist anders. | |
Inwiefern? | |
Ich kann das leider nicht präziser formulieren: Es ist kälter. Es sind zwar | |
auch alte Rechnungen und Beleidigtsein im Spiel. Aber die Heftigkeit ist | |
nicht so da. | |
1976 war ein Machtkampf. Es ging nur um die Frage, wie die Union am | |
schnellsten an die Macht kommt. Inhaltlich gab es ja kaum Unterschiede… | |
Stimmt, obwohl Geißler und ich als Herz-Jesu Marxisten verschrieen waren – | |
wir waren nur Varianten. Jetzt geht’s um die Frage: zurück zum Nationalen | |
ins 19. Jahrhundert – oder nach Europa ins 21. Jahrhundert. Das sind keine | |
Varianten, das sind Alternativen. | |
Wie geht dieser Showdown aus? | |
Das weiß ich nicht. Damals hatte ich immer das Gefühl: Wir können die | |
Trennung vermeiden. Damals waren die Parteien noch ideologischer und fester | |
in den Milieus verankert. Ein Gewerkschafter war in der SPD, ein Messdiener | |
in der CDU. Das ist vorbei. Ich will nicht nostalgisch klingen: Aber diese | |
Bindungen waren der Kitt, der gerade in kniffeligen Situationen | |
zusammengehalten hat. Den gibt es so nicht mehr. Heute geht es um Taktik, | |
wie die CSU die AfD in den Griff bekommt. Dabei ist doch klar, dass die AfD | |
immer einen Schritt weiter rechts sein wird. Die AfD braucht ja keine | |
Kompromisse einzugehen. Das ist wie der Wettlauf von Hase und Igel. Die AfD | |
sitzt immer schon am Ende der Ackerfurche, wenn die CSU dort ankommt. | |
NaN NaN | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
IG | |
CDU | |
CSU | |
CDU/CSU | |
Wildbad Kreuth | |
Norbert Blüm | |
Norbert Blüm | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf Norbert Blüm: Ein Mann, der von Nähe lebte | |
Norbert Blüm führte die Pflegeversicherung ein und war Verteidiger der | |
gesetzlichen Rente – trotz Kompromissen und Missverständnissen. | |
Früherer Arbeitsminister gestorben: Norbert Blüm ist tot | |
Der CDU-Politiker war der Dauerminister von Kanzler Helmut Kohl – bis zum | |
Zerwürfnis. Jetzt ist Norbert Blüm im Alter von 84 Jahren gestorben. | |
Trennungsbeschluss der CSU: Der Geist von Kreuth | |
CDU und CSU standen schon einmal kurz vor der Trennung: im Jahr 1976. Doch | |
da kam alles anders. Jetzt gibt es wieder Drohungen. |