| # taz.de -- Krisensitzung im DFB-Team: Selbsthilfegruppe hofft auf Sotschi | |
| > Im Bus, beim Essen, beim Training: Die DFB-Mannschaft versucht, die | |
| > Auftaktniederlage aufzuarbeiten – und setzt auf einen Tapetenwechsel. | |
| Bild: Personellen Veränderungsbedarf kann Neuer nicht erkennen. Also alles gut? | |
| WATUTINKI taz | Klischeehafter hätte das Wetter an diesem Tag nicht | |
| mitspielen können. Aber es hat ja keinen Zweck, es in diesen geschwätzigen | |
| Zeiten zu verschweigen: Dunkle Wolken haben sich am Dienstagmorgen über dem | |
| deutschen Lager [1][nahe dem Moskauer Vorort Watutinki] zusammengezogen. | |
| Und ja, hin und wieder gab es auch ein nervöses Grollen und Donnern zu | |
| hören. Dem Weltmeister droht eine historische Pleite. Ein WM-Vorrundenaus, | |
| das hat es in der Geschichte des DFB noch nicht gegeben | |
| Nach einem Tag des öffentlichen Schweigens schickte der Verband in dieser | |
| Ausnahmesituation Kapitän Manuel Neuer zur Pressekonferenz in Watutinki. | |
| Intern, die Botschaft lag Neuer am Herzen, wurde überhaupt nicht | |
| geschwiegen. Im Gegenteil. Der erfahrene Torwart, der vor neun Jahren in | |
| der Nationalelf debütierte, stellte fest: „So stark war die Kommunikation | |
| in der Mannschaft noch nie wie nach dem Mexiko-Spiel.“ | |
| Und den Beweis hatte er mit seiner 50-minütigen Verspätung gleich | |
| mitgeliefert. „Sorry“, sagte der Torhüter zu Beginn der Pressekonferenz, | |
| „wir hatten eine Sitzung, die etwas länger dauerte.“ Eine Verzögerung, die | |
| fast schon wie eine Inszenierung wirkte, als wollte man allen | |
| demonstrieren, dass die deutsche Nationalmannschaft sich der brenzligen und | |
| ernsten Lage bewusst ist. | |
| Direkt nach der [2][Partie im Luschniki-Stadion], versicherte Neuer, hätten | |
| die Diskussionen im Bus begonnen, bei jedem Essen hätte man zuletzt über | |
| dieses Spiel gesprochen. Und Neuer befand: „Das ist auch ein gutes Zeichen. | |
| Man merkt, wie viele Spieler sich einbringen wollen.“ | |
| ## Kein personeller Veränderungsbedarf | |
| Diese scheinbar endlosen Gesprächszirkel im Mannschaftsquartier von | |
| Watutinki zeigen vor allem, welch tiefe Spuren, welch traumatisierende | |
| Wirkung diese WM-Auftaktniederlage beim Titelverteidiger hinterlassen hat. | |
| „Es ist ein sehr befreiendes Gefühl, wenn man darüber spricht, was man | |
| verbessern kann“, erklärte Neuer. Und man konnte sich durch seine | |
| Schilderung den gruppentherapeutischen Charakter dieser gerade beendeten | |
| Teamsitzung bestens vorstellen. Ein paar Mal wendete Neuer anfangs den | |
| Drehstuhl hin und her, ehe er zu mehr Stabilität fand. | |
| Während Mats Hummels direkt nach dem Mexiko-Spiel mit seiner massiven | |
| Kritik am Abwehrverhalten seiner Kollegen Spekulationen beförderte, das | |
| Team leide unter internen Zerwürfnissen, formulierte Neuer wie stets | |
| bedacht und mit genauem Maß. Es gebe keine Spaltung zwischen den jungen | |
| Mitgliedern des erfolgreichen ConfedCup-Teams aus dem letzten Jahr und den | |
| erfahrenen Weltmeistern, versicherte er. Und ganz Kapitän, lobte er die | |
| jungen Spieler, die nicht zum Einsatz kamen. Während seiner | |
| Regenerationszeit am Montag habe er ihnen beim Training zugesehen. Sie | |
| hätten „gebrannt“ und gezeigt, dass sie zum Einsatz kommen wollen. | |
| Personellen Veränderungsbedarf kann Neuer aber nicht erkennen. An der | |
| Qualität der eingesetzten Spieler habe er keinen Zweifel. Es habe ja keine | |
| neue Mannschaft gegen Mexiko auf dem Platz gestanden. Oft genug hätten die | |
| eingesetzten Spieler in der Vergangenheit bewiesen, welch guten Fußball sie | |
| spielen können. | |
| Dem ist nicht zu widersprechen. Wer erinnert sich nicht an die Lobeshymnen | |
| von vor drei Monaten, die dem deutschen Team nach dem 1:1 im | |
| Freundschaftsspiel gegen Spanien gewidmet wurden. Eine berauschende | |
| Darbietung hatte man damals in Düsseldorf gesehen. Die Analysen, die jetzt | |
| plötzlich die Überalterung im deutschen Team zum Thema machen, scheinen | |
| doch eher konjunkturell bedingt zu sein. | |
| Neuer geht aktuell von einem Einstellungsproblem aus. Wie das passieren | |
| kann, ist ihm selbst allerdings rätselhaft. Nun soll mal wieder einfach | |
| „der Hebel“ umgelegt werden. „Das ist nicht so leicht, wie man das | |
| auszusprechen vermag“, räumte Neuer ein. | |
| ## Verliererstempel schon aufgedrückt | |
| Es ist eine höchst kompliziertere Angelegenheit in dieser prekären Lage. | |
| Zumal auch die Statistiken der letzten Jahre als ungünstiges Zeichen | |
| gelesen werden können. Drei der vier letzten Weltmeister – Frankreich 2002, | |
| Italien 2010, Spanien 2014 – schieden vier Jahre später in der Vorrunde | |
| aus. Der Erfolgssattheit entkommt man offensichtlich nicht so einfach. Das | |
| ist derzeit womöglich das größte Problem. | |
| Die deutsche Therapiegruppe klammert sich an alles, was Hoffnung macht. Und | |
| jedes Angebot aus dem Fundus des positiven Denkens nimmt sie dankbar an. | |
| Als Neuer gefragt wurde, ob die anstehende Flugreise nach Sotschi, wo das | |
| nächste Gruppenspiel gegen Schweden am Samstag stattfindet, nicht einen | |
| positiven Nebeneffekt haben könnte, bekannte Neuer: „Ich freue mich auf den | |
| angesprochenen Tapetenwechsel. Es ist ein Zeichen, dass etwas Neues kommt.“ | |
| Spätestens nach dem verpatzten Auftakt gegen Mexiko ist das Karma vom | |
| DFB-Quartier in Watitunki endgültig dahin. Genau genommen aber wurde | |
| diesem mittlerweile fast unheilvoll erscheinenden Ort, etwa knapp 50 | |
| Kilometer vom Roten Platz in Moskau entfernt, der Verliererstempel bereits | |
| vor der ersten Ballberührung aufgedrückt. | |
| Das Ozeanrauschen von der WM 2014 in Brasilien wurde in Moskau vermisst. In | |
| sehr lebendiger Erinnerung hatten es nicht nur viele Berichterstatter, als | |
| sie ihre grauen Berichte aus Watutinki sendeten, sondern auch Bundestrainer | |
| Joachim Löw. Ihm schwebte wohl vor, das brasilianische Modell Campo Bahia, | |
| wo das deutsche Team unter Kokospalmen residierte, in Sotschi am Schwarzen | |
| Meer wieder aufleben zu lassen. Aber so wenig sich aus dem brasilianischen, | |
| idyllisch-abgelegene Ort der WM-Titel ableiten lässt, so wenig ist die | |
| derzeitige deutsche sportliche Tristesse mit Watutinki in Verbindung zu | |
| bringen. | |
| [3][Der russische Rückzugsort des DFB-Teams ist möglicherweise | |
| zweckorientierter] (Löw verglich die Anlage mit einer Sportschule), an | |
| Exklusivität fehlt es trotzdem nicht. Vom gesichtslosen Watutinki bekommt | |
| man im Teamhotel, das rundherum von einem Nadelwald umgeben ist, nichts | |
| mit. Statt des Atlantiks hört man hier eben den Kuckuck rufen. Und | |
| Eichhörnchen hüpfen durch den würzig riechenden Baumbestand. Der | |
| Trainingsplatz ist um die Ecke und die Spielorte dieser WM sind viel | |
| bequemer zu erreichen als vor vier Jahren, wo man noch eine Flussfähre | |
| nutzen musste. Wenn das deutsche Team mit einem Erfolg aus Sotschi | |
| zurückkehrt, wird vielleicht auch die Wertschätzung von Watutinki wieder | |
| ein wenig steigen. | |
| Manuel Neuer war es vor der Abreise am Ende der Pressekonferenz dann noch | |
| wichtig mitzuteilen, dass man merken würde, wie überzeugt die Mannschaft | |
| davon sei, die Gruppenspiele gegen Schweden und Südkorea zu gewinnen. Das | |
| hatte er so oder so ähnlich zuvor zwar schon dreimal erwähnt, aber es | |
| müssen an dieser Stelle mildernde Umstände gelten. Die deutschen | |
| Nationalspieler kommunizieren ja so viel wie noch nie in den letzten | |
| Jahren, da kann man sich nicht alles merken, was man einmal gesagt hat. | |
| 20 Jun 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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