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# taz.de -- WM der Standardtore: Im ruhenden Ball liegt die Kraft
> Standardtore sind Tore der Fleißigen. Was banal klingt scheint bei dieser
> WM zu funktionieren. Warum sind sie so trendy?
Bild: Sind Standards das Mittel zum Sieg?
Seit 1866 gibt es den Eckstoß, seit 1904 den direkten Freistoß. Und man
muss sagen, es waren ziemlich gute Ideen der Fifa, denn was wäre diese
Weltmeisterschaft ohne sie, den Freistoß und den Eckstoß. Sie funktionieren
wie Glutamat in einer faden Soße. Das Standardtor ist der
Geschmacksverstärker in Spielen mit eher durchschnittlicher Attraktion. In
den ersten 17 WM-Matches fielen 22 der 42 Tore nach Standardsituationen.
Also mehr als jeder zweite Treffer. Vor vier Jahren in Brasilien lag die
Quote bei knapp einem Viertel. Freistoßtore und Tore nach Eckbällen sind
also total trendy. Aber warum?
Das liegt an der Natur der Standards, des „ruhenden Balls“. Spieler müssen
nicht unter Zeitdruck, mit hängender Zunge und bedrängt vom Gegner
blitzschnelle Entscheidungen treffen, was ja nicht selten zu Szenen krasser
Überforderung führt. Beim Freistoß kann sich der Spieler sammeln, hat
scheinbar alle Zeit der Welt. Er kann psychomotorische Abläufe abrufen, die
er im Training hundertfach geübt hat.
Standardtore sind Tore der Fleißigen und Abgezockten. Man kann sie üben und
einstudieren, Schema F sozusagen, das bei Bedarf wie eine Schablone übers
Spiel gelegt wird. Die Freistoßspezialisten in ihren Teams streben nach
Entropie in einem Spiel, das zum Chaos neigt. Plötzlich geht es nicht mehr
um komplexe Beziehungen und Vernetzungen von zehn Feldspielern, es geht nur
noch um ihn, den Schützen. Fußball wird zur Sache eines Einzelnen. Solch
begabte Ego-Shooter haben auch WM-Mannschaften in ihren Reihen, die sonst
eher einen mediokren Kick pflegen, weswegen Trainer von spielstarken Teams
schon mal [1][abfällig auf die grassierende Standardisierung des Fußballs]
blicken.
## Mehr als ein basales Mittel
Jogi Löw war lange Zeit ein Verächter des ruhenden Balls, war er doch
überzeugt davon, seine Elf könne jederzeit „aus dem Spiel heraus“ Tore
schießen. Er ist – doch, doch – ein Freund des Bewegtspiels, des flink von
Station zu Station laufendes Balls und des Passes „in die Tiefe“, der
idealerweise „Räume öffnet“. Aber die Standardsituation ist natürlich
längst nicht mehr nur ein basales oder plumpes Mittel, auf das der Underdog
zurückgreifen muss, weil er halt nicht anders kann. Der Standard gehört
logischerweise auch zum Repertoire der hochbegabten Teams.
2014 bei der Weltmeisterschaft in Brasilien hat Löw seinen Dünkel gegenüber
dem Freistoß abgelegt und so etwas wie Freistoß-Selbsterfahrungsgruppen im
Training gebildet. Die späteren Weltmeister durften mal ein bisschen
herumspinnen, außerdem wurde ihnen in der Vorbereitung aufs Championat der
damalige Co-Trainer des SC Freiburg, Lars Voßler, vor die Nase gesetzt. In
einem Freistoßseminar erläuterte der, wie man die Mauer und den Torwart
besonders geschickt überwindet.
Ein Ergebnis dieses Repetitoriums konnte man im Spiel gegen Algerien
besichtigen, den sogenannten „Malediven-Trick“: Thomas Müller simulierte
ein Stolpern, rappelte sich wieder auf, und hätte Toni Kroos den Ball nicht
in die Mauer gechippt, wer weiß, was aus dieser kuriosen Freistoßvariante
geworden wäre.
So innovativ sind die Freitoßschützen und ihre assistierenden Kollegen bei
dieser WM noch nicht. Warum auch? Sie müssen sich ja nur an die
Wahrscheinlichkeitsrechnung halten und drauflos ballern. 52,4 Prozent der
Tore fallen nach Standards, und direkte Freistoßtreffer gibt es in Russland
schon zu Beginn des Turniers mehr als in Brasilien.
Wer jetzt noch alles mit Tikitaka und spielerischer Klasse lösen will, hat
die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Im ruhenden Ball liegt die Kraft.
20 Jun 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Markus Völker
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