# taz.de -- Debatte Integration nach Fall Susanna: Nach der Aufklärung | |
> Viele Geflüchtete aus Syrien und dem Irak haben ein streng konservatives | |
> Islamverständnis. Für unsere säkulare Gesellschaft ist das ein Problem. | |
Bild: Damit Integration gelingt, müssen wir gemeinsam die säkulare Ordnung ve… | |
Der abscheuliche [1][Mord an der 14-jährigen Susanna] wird in der | |
Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik ein Wendepunkt sein. Man könnte | |
fragen, ob die Attacken [2][in der Silvesternacht in Köln] nicht bereits | |
ein solcher waren. Der Mord an Susanna ist aber aus verschiedenen Gründen | |
viel schwerwiegender: Das Opfer war ein Kind, es wurde grausam missbraucht | |
und ermordet. Aber nicht nur das. Der mutmaßliche Täter war abgelehnter | |
Asylbewerber, der nicht abgeschoben werden konnte. Er war aber in der Lage, | |
Ausweispapiere und Geldmittel zu beschaffen, mit denen er mit der ganzen | |
Familie „sicher“ in den Irak fliegen konnte. | |
Sicher könnten wir solche Fälle als traurige Einzelfälle einstufen. Selbst | |
statistische Angaben, wonach Ausländer bei sexuell motivierten und schweren | |
Straftaten als Täter überrepräsentiert sind, könnten damit relativiert | |
werden, dass es sich bei Flüchtlingen in aller Regel um alleinstehende | |
junge Männer handelt. Jedoch habe ich in Gesprächen den Eindruck gewonnen, | |
dass bei vielen Menschen die Sorge um die Zukunft unseres Zusammenlebens | |
zunimmt. Diese Annahme ist nicht unberechtigt. | |
Als Verfechter einer [3][humanitären Flüchtlingspolitik] ist es mir eine | |
Verpflichtung, in die nahe Vergangenheit zurückzublicken: Ende der 80er und | |
Anfang der 90er Jahre, als das Klima in der Türkei für mich als jungen | |
engagierten Anwalt immer prekärer wurde, war mein Magisterstudium in | |
Deutschland sicher auch eine lebensrettende Maßnahme. Im April 1990 in | |
Deutschland angekommen, war die deutsche Wiedervereinigung in Vorbereitung, | |
dann begannen die Jugoslawienkriege. Nationalistische Töne nahmen zu, das | |
Ergebnis waren die katastrophalen Ausschreitungen von Hoyerswerda, | |
Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen. | |
Bedrückt davon, dass ich Faschismus und Rassismus mit der Einreise nach | |
Deutschland nicht hinter mir lassen konnte, und ermutigt von der großen | |
Solidarität der deutschen Nachbarn und Freunde engagierte ich mich bei den | |
Ausländerbeiräten. Ich wurde in den Ausländerrat der Stadt Heidelberg | |
gewählt und habe 1998 den Bundeszuwanderungsrat mit gegründet. In dieser | |
Zeit habe ich die Flüchtlinge im Alltag ehrenamtlich beraten. | |
## Es gibt zwei Unterschiede zu den 90er-Jahren | |
Nicht nur die Integration von Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg, | |
sondern auch in den 90er Jahren hat Deutschland geschafft. Im Jahr 2015 war | |
das Flüchtlingsaufkommen im Vergleich zu 1992 doppelt so hoch, Deutschland | |
ist aber wirtschaftlich, organisatorisch und erfahrungsgemäß viel besser | |
aufgestellt als in den 90er Jahren. | |
Es gibt aber zwei qualitative Unterschiede der Flüchtlingsaufkommen von | |
2015 zu dem der 90er Jahre. Erstens haben die Deutschen noch die grausamen | |
Bilder im Kopf, in denen die IS-Mörder Kinder abschlachten. Nach dem | |
Einschreiten der russischen Luftwaffe im September 2015 ist ein Teil dieser | |
Mörder über die Türkei nach Europa geflüchtet. | |
Zweitens waren die Bosnier weltoffene, liberale Kulturmuslime. Nicht wenige | |
der Geflüchteten aus Syrien und Irak haben ein streng konservatives | |
Islamverständnis. Gepaart mit althergebrachten Gewohnheiten und | |
Rollenverständnis wird dies für unsere Gesellschaft in Kita, Schule und am | |
Arbeitsplatz eine Herausforderung sein. | |
Meine Annahme war bisher, dass sich die europäischen Gesellschaften 300 | |
Jahre nach der Aufklärung keine Gedanken mehr über ein Rollback in | |
Glaubensangelegenheiten machen müssen. Jedoch müssen wir uns vielleicht | |
doch auf eine Post-Aufklärungs-Zeit vorbereiten. Dies, zumal die Politik | |
und die Amtskirchen in dieser Sache auch in der Vergangenheit eine | |
unrühmliche Rolle gespielt haben. | |
## Islamunterricht war nie eine Forderung der Muslime | |
Beispielhaft ist der Islamunterricht. Dieser war nie eine Forderung der | |
Muslime in Deutschland. Die Türken, die die überwältigende Mehrheit der | |
Muslime in Deutschland bildeten, waren mit der Religionskunde im | |
Türkischunterricht weitgehend zufrieden. Die Amtskirchen aber wollen ihren | |
konfessionellen Unterricht in der Schule zementieren und die Diskussionen | |
um Religionskunde oder Ethikunterricht abwenden. Also treiben sie die | |
Forderung nach Islamunterricht in der Schule als Gleichbehandlungssatz | |
voran. Stets ist zu beobachten, dass als Erstes die Juristen der Kirchen | |
unruhig werden, wenn ein konservativer Islamverband vor einem Gericht in | |
Sachen Schwimmunterricht, Gebetsraum in der Schule etc. scheitert. | |
Dass die Amtskirchen mit dem Kreuz in der bayrischen Amtsstube nicht | |
einverstanden waren, ist kein Widerspruch, sondern die Bestätigung der | |
obigen These. Die Kirchen haben die Sorge, dass dies nicht als Maßnahme | |
gegen die säkulare Gesellschaftsordnung, sondern als „Kreuz gegen Halbmond“ | |
verstanden werden könnte. Dadurch schaukeln sie sich gegenseitig hoch. Das | |
kommende Jahrzehnt wird daher nicht nur eine Herausforderung in der | |
Angelegenheit „Integration der Muslime“ sein, sondern auch in der | |
Angelegenheit „Verteidigung der säkularen Ordnung“. | |
Dazu kommt auch eine parteipolitische Herausforderung: In den 90er Jahren | |
kamen die Rechtspopulisten als Partei „Die Republikaner“ in Deutschland in | |
die Lokal- und Landesparlamente. Diesmal ist die AfD auf Anhieb im | |
Bundestag und zweistellig. Und dem Bundesinnenminister Horst Seehofer | |
sitzen sowohl die AfD als auch die eigene CSU in Bayern mit ihrer | |
Landtagswahl im Nacken – was ihn offenbar reizt, völkerrechtliche Verträge | |
und das Grundgesetz zur Disposition zu stellen. | |
Unsere Gesellschaft schafft einen guten Umgang mit Flüchtlingen nur dann, | |
wenn wir merken, dass sich unsere wehrhafte Demokratie mit all ihren | |
Institutionen gegen Islamisten und Rassisten gleichermaßen zur Wehr setzen | |
und die säkulare Gesellschaftsordnung ausbauen muss. | |
Lassen Sie uns nicht spalten und gegeneinander ausspielen. Es ist die Zeit | |
des Zusammenhalts und der Entschiedenheit! | |
16 Jun 2018 | |
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