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# taz.de -- Buch über die Wunder des Fußballs: Digital kickt besser
> Ein Ausflug in die Parallelwelt der Daten im Sport: Christoph Biermanns
> neues Buch „Matchplan“ lässt erahnen, wie die Isländer nach oben kamen.
Bild: Bestimmte Winkel gelten als treffsicherer
Der Fußballsport stellt einen oft vor Rätsel: Wie kann es sein, dass aus
einem Weltklasseteam wie Borussia Dortmund ein Abstiegskandidat wird, wie
in der Bundesliga-Hinrunde 2014/15 geschehen? Warum schafft es ein Land wie
Island mit brandgefährlichen Einwürfen und taktischen Kniffs bis ins
Viertelfinale einer Europameisterschaft? Wie kann ein Leichtgewicht wie
Leicester City, das keiner auf der Rechnung hatte, Meister in der Premier
League werden?
Sportjournalist Christoph Biermann betreibt in seinem neuen Buch
„Matchplan“ Ursachenforschung. Biermann, Mitglied der 11
Freunde-Chefredaktion, sucht dazu Orte auf, die man mit der Glamourwelt des
Profifußballs zunächst nicht in Verbindung bringen würde: Kleine
Büroklitschen in aller Welt, in denen Datennerds den Sport in seine
mathematischen Einzelteile zerlegen; mit dem Ziel, die Algorithmen so zu
verbessern und zu kombinieren, dass man Erklärungen für die vermeintlichen
Fußballwunder findet und die Gründe für Erfolg und Misserfolg besser
bestimmen kann.
Grundlage für all die neuen Auswertungsmöglichkeiten ist, erklärt Biermann,
eine Entwicklung Mitte der Neunziger, als neue Trackingtechnologien die
Aufzeichnungen der Spiele revolutionierten. Seither wurden, zunächst in
England, zum Beispiel Wärmebildkameras zur Erfassung der Spieler und der
Bewegungen auf dem Feld genutzt. Die flächendeckende Datenerhebung im
deutschen Profifußball war in Deutschland zehn Jahre später erreicht. Nicht
nur Kameras, auch Spielbeobachter sorgen dafür, dass heute jeder Pass,
jedes Tackling, jeder Freistoß statistisch erfasst wird.
Der Autor besucht eine Reihe von Menschen, die fast manisch an der besseren
Nutzung dieser Daten arbeiten. Etwa den britischen Ex-Börsenspezialisten
Matthew Benham, der mit seinem Unternehmen Smartodds
Siegeswahrscheinlichkeiten ermittelt. Oder (Ex-)Bundesligaspieler wie
Stefan Reinartz und Jens Hegeler, die 2015 die Datenfirma Impect gründeten,
um das Überspielen mehrerer Gegner analytisch zu fassen (so mancher
erinnert sich wohl an das zur EM 2016 aufploppende Modewort „Packing“ ).
Und er gibt einen Einblick in die Welt der Fußballstatistik-Blogger, die
auf Websites wie [1][statsbomb.com], [2][zonalmarking.net] oder
[3][spielverlagerung.de] versuchen, saisonale Phänomene und einzelne Spiele
mittels Daten zu erklären. Natürlich kommen auch innovative Trainertypen
wie Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann vor.
## Pech, in Zahlen ausgedrückt
Man lernt eine Menge neuer Analysetools kennen, die einen anders über
Fußball denken lassen. Als bedeutende statistische Größen arbeitet Biermann
die Kategorien „Expected Goals“ und „Expected Goals Against“ heraus: Es
gibt bestimmte Abschlusspositionen auf dem Platz, von denen aus Tore und
Gegentore wahrscheinlicher beziehungsweise unwahrscheinlicher sind. Mit den
Werten, von wo aus die Abschlüsse erfolgen, kann man eine Zahl der zu
erwartenden Tore und Gegentore für das Spiel ermitteln.
Für den eingangs angesprochenen Misserfolg des BVB liefert Biermann an
dieser Stelle ein Erklärungsmodell – sie hatten viel Pech, könnte man
sagen, aber dieses Pech wird hier mit Zahlen untermauert. Als berühmtes
Beispiel eines Trainers, der hinsichtlich der „Expected Goals“ und
„Expected Goals Against“ immer besser war als erwartet, nennt Biermann
übrigens Lucien Favre. Der ist gerade neuer BVB-Coach geworden.
Es gibt weitere interessante Statistikgrößen wie zum Beispiel die
Raumkontrolle, die damit zu tun hat, wie man effektiv in Gefahrenräume
vorstößt, sowie ein erweitertes Modell dessen, das mit dem Neologismus
„Dangerousity“ benannt ist. Ein Faktor namens „Goalimpact“ ist
vergleichsweise simpel: Er sagt etwas darüber aus, wie wahrscheinlich Tore
und Gegentore sind, wenn ein bestimmter Spieler auf dem Platz steht.
Was man aus Wahrscheinlichkeitswerten machen kann, zeigt Biermann unter
anderem am dänischen Meister von 2015, dem FC Midtjylland. Einzig aus der
Erkenntnis, dass rein statistisch jedes fünfte Tor ein Standardtor ist,
übte man Ecken und Freistöße bis zum Erbrechen ein – und war damit
erfolgreich. Spätestens jetzt weiß man, welche Idee hinter den Einwürfen
von Aron Gunnarsson bei Islands EM-Coup 2016 steckten.
## Lesenswerter Nerdstoff
Biermanns Ausflug in die Parallelwelten der Fußballdaten ist lesenswert, er
erzählt diesen Nerdstoff auf sehr angenehme und klare Art und Weise. Die
Statistiken und Grafiken werden oft abgebildet, sodass man gut folgen kann.
Für jeden, der den heutigen Fußball besser verstehen will, ist dieses Buch
Pflichtlektüre. Auch Fans anderer Sportarten dürften aus den 288 Seiten
viel mitnehmen. Sportfan und zumindest ein bisschen statistikaffin sollte
man aber schon sein, will man dem Buch etwas abgewinnen.
Weder ist Biermann völlig kritiklos der Datafizierung des Fußballs
gegenüber, noch gibt er den Kulturpessimisten. Denn das Potenzial, das in
den Technologien steckt, ist es, dem perfekten Spiel ein Stück näher zu
kommen. Und welcher Fußballfan würde sich das nicht wünschen.
12 Jun 2018
## LINKS
[1] https://statsbomb.com/
[2] http://zonalmarking.net
[3] http://spielverlagerung.de
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Fußball
Island
BVB
Fußball-WM
Julian Nagelsmann
ZDF
Lucien Favre
50+1-Regel
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