# taz.de -- Annäherung in Korea: Einer, der nach Norden will | |
> Shin Jae Yong aus Seoul will eine Studienreise nach Pjöngjang | |
> organisieren. Es wäre der erste Austausch zwischen Nord- und Südkorea. | |
Bild: Shin Jae Yong vor der Bibliothek der Seouler Nationaluniversität. In den… | |
SEOUL taz | Als Kim Jong Un am 27. April in der der Panmun-Halle zur | |
innerkoreanischen Grenze heruntersteigt, sitzt Shin Jae Yong in der Aula | |
seiner Studentenversammlung. Der 24-Jährige ist an der Seouler | |
Nationaluniversität immatrikuliert, der Elitekaderschmiede des Landes, | |
deren Studierende vornehmlich für Intelligenz, Streberoutfits und | |
ausgebuchte Terminkalender berüchtigt sind. | |
Erstaunt beobachtet Shin, wie sich an jenem Freitagmorgen ein Menschenstrom | |
vor dem großen Flachbildfernseher einfindet und gebannt den ersten | |
Handschlag der zwei koreanischen Staatschefs verfolgt. Dann bittet Kim sein | |
Gegenüber Moon Jae In, doch auch einmal die historische Landesgrenze in | |
Richtung Norden zu überqueren. „Man konnte förmlich spüren, wie sich die | |
Emotionen unter meinen Kommilitonen entladen haben“, erinnert sich der | |
Student an den Moment. „Wir haben geklatscht und gejubelt – einige hatten | |
feuchte Augen.“ | |
Shin Jae Yong – dunkles Jeanshemd, schwarze Malcom-X-Brille, spitzes Kinn – | |
sitzt am Schreibtisch seines Studentenclubs, der von leeren Pizzaschachteln | |
und Büchern verdeckt wird. Über ihm an der Wand hängt das Schwarz-Weiß-Bild | |
von einem ernst dreinschauenden jungen Mann: dem Studenten Park Jong Chul, | |
der in der Nacht des 14. Januar 1987 vom südkoreanischen Geheimdienst | |
verschleppt und zu Tode gefoltert wurde. Heute ist der mit 23 Jahren | |
ermordete Park eine Ikone der Demokratiebewegung, weil sein Tod den Sturz | |
der brutalen Militärdiktatur mit ausgelöst hat. Auch Park Jong Chul | |
studierte an der Seouler Nationaluniversität, in den 80er Jahren lieferten | |
sich auf dem Campus die Studenten mit den Hundertschaften der | |
Bereitschaftspolizei erbitterte Schlachten. | |
## Wiedervereinigung, nein danke? | |
Seoul ist inzwischen zur freien, zur wohlhabenden, neonglitzernden | |
Konsummetropole angewachsen, deren scheinbar konformistische Jugend sich | |
vor allem ums Aufpolieren ihrer Lebensläufe sorgt. Laut einer aktuellen | |
Regierungsumfrage lehnt die Generation der heute 20- bis 30-Jährigen zu | |
über 70 Prozent eine Wiedervereinigung mit Nordkorea ab. Die Nachbarn im | |
Norden sind für sie nichts weiter als unliebsame Verwandte, deren man sich | |
eher schämt, als dass man sich ihnen zugehörig fühlt. | |
Das jedenfalls schreiben regelmäßig die großen Tageszeitungen des Landes. | |
„Das ist alles falsch, wir interessieren uns sehr wohl für Nordkorea“, sagt | |
Shin. In der Euphoriewelle während des innerkoreanischen Gipfeltreffens | |
startete er einen Aufruf im Intranet seiner Universität: Wer Interesse hat, | |
sich für einen Studentenaustausch nach Nordkorea einzusetzen, solle sich | |
melden. | |
In knapp zwei Wochen erhält Shin Jae Yong 122 Bewerbungen. In den kommenden | |
Wochen will er eine Studententruppe für einen viertägigen Trip zur | |
Kim-Il-Sung-Universität nach Pjöngjang zusammentrommeln. Es wäre der erste | |
Studentenaustausch nach der tragischen Landesteilung vor über 70 Jahren. | |
Die erste Delegation soll bereits am 15. August einreisen – am koreanischen | |
Tag der Befreiung von den japanischen Kolonialherren. Dieser wird auf | |
beiden Seiten des 38. Breitengrads zelebriert. | |
„Wir sind eine Nation, ein Volk. Als Deutschland noch geteilt war, gab es | |
trotz aller Differenzen ständigen Austausch. Nicht so in Korea, unsere | |
Trennung ist um ein Vielfaches strenger“, sagt Shin. | |
Wie strikt die Landesteilung tatsächlich ist, bekam die linksgerichtete | |
Politikerin Lim Su Kyung vor knapp 30 Jahren zu spüren. Als 21-jährige | |
Sprachstudentin bewirbt sie sich 1989, „völlig ohne politische Absichten“, | |
darum, zu den Weltfestspielen der Jugend ins nordkoreanische Pjöngjang zu | |
reisen. Doch beide Volksparteien ihres Landes votierten einstimmig dagegen, | |
also fliegt sie auf eigene Faust nach Westberlin, schleust sich über die | |
Grenze in den Osten und von dort weiter nach Pjöngjang. Lim reist eine gute | |
Woche, dabei liegen die koreanischen Hauptstädte keine drei Autostunden | |
auseinander. | |
Zur Überraschung der südkoreanischen Studentin wird sie im Norden von | |
jubelnden Massen begrüßt, durch Pressekonferenzen gereicht und sogar zum | |
Abendessen mit Staatsgründer Kim Il Sung eingeladen. Während der | |
Jugendspiele hält Lim eine improvisierte Rede im Maistadion vor 150.000 | |
euphorisierten Zuschauern: „Wenn die Studenten aus dem Norden und Süden | |
weiter gemeinsam für die Wiedervereinigung kämpfen, wird es eines Tages | |
passieren. Unser Mutterland ist eins!“ | |
Als Lim Su Kyung jedoch Tage später die Waffenstillstandslinie an dem | |
symbolischen Friedensdorf Panmunjom in Richtung Süden überquert, wird sie | |
von südkoreanischen Militärs verhaftet. Neben Spionage wird sie der | |
Schmuggelei bezichtigt – weil sie nordkoreanische Schuhe trägt, die man ihr | |
geschenkt hat, nachdem sie ihre alten verloren hatte. Nach dreieinhalb | |
Jahren wird Lim begnadigt, sie verlässt das Gefängnis als gebrochener | |
Mensch, geächtet von der konservativen Gesellschaft als kommunistische | |
Verräterin. | |
## Selfies in der Grenzkulisse | |
Knapp 30 Jahre später steht eine Männergruppe in Wanderkleidung in einer | |
originalgetreuen Replik des Friedensdorfs Panmunjom. „Ah, da ist also | |
Nordkorea! Lasst uns über die Grenze gehen“, sagt der 61-jährige | |
Bankangestellte Lee Seong Hyun und lässt sich von seinem Chef knipsen. Sie | |
müssen sich beeilen: Hinter ihnen wartet bereits eine Kleinfamilie mit | |
Smartphones. | |
Die Filmkulisse wurde einst für einen Spionagethriller errichtet. Lange | |
Jahre war sie eine verlassene Geisterstadt. Doch seit dem innerkoreanischen | |
Gipfel ist sie zum Pilgerort für wöchentlich rund 15.000 Südkoreaner | |
geworden: Sie wollen den Handschlag zwischen Kim und Moon nachstellen. Die | |
echte Grenze dürfen Südkoreaner ohne Regierungserlaubnis nicht überqueren – | |
Gefängnis würde drohen. | |
„Natürlich hat das Gipfeltreffen mein Misstrauen gegen Nordkorea nicht | |
vollständig ausgeräumt, aber meine Gefühle für Kim Jong Un sind auf jeden | |
Fall wesentlich abgemildert“, sagt Lee. Er erinnert sich an die | |
Schilderungen seiner Grundschullehrer, wonach Nordkoreaner „rote Teufel“ | |
seien. „Diese Propaganda des Kalten Kriegs sitzt immer noch tief in unseren | |
Köpfen. Erst wenn wir uns gegenseitig kennenlernen, wird das irgendwann | |
verschwinden.“ | |
Auch Student Shin Jae Yong wird von diesem Wunsch angetrieben. Ob er seinen | |
Traum vom Studentenaustausch verwirklichen kann, hängt aber vom Wohlwollen | |
seiner Regierung ab. Am Dienstag wird ihm das Vereinigungsministerium | |
mitteilen, ob es seinen Antrag genehmigt. Ohne Erlaubnis darf er als | |
südkoreanischer Staatsbürger keinen Kontakt mit Nordkorea aufnehmen. Shin | |
ist optimistisch: „Derzeit befürworten 60 Prozent meiner Kommilitonen eine | |
Annäherung an Nordkorea. Nach dem Gipfel in Singapur werden es schon 80 | |
Prozent sein.“ | |
12 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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