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# taz.de -- Starautor Philip Roth ist tot: Ohne Erben
> Er war Realist. Philipp Roths direkter Schreibstil verhöhnte falsche
> Sentimentalität oder Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod. Jetzt ist
> Roth gestorben.
Bild: Er war ein scharfer Satiriker und Realist: Philip Roth
New York ap/dpa | „Reine Ausgelassenheit und tödlicher Ernst sind meine
besten Freunde.“ Misst man Philip Roths literarisches Schaffen an diesem
Satz, waren es zwei tiefgründige und langjährige Freundschaften, die er in
seinem Schreiben pflegte. Titel um Titel vergrößerte er sein fünf
Jahrzehnte überspannendes Lebenswerk. Vielen galt er als bester lebender
Schriftsteller, zumindest als bester Amerikaner. Nun ist Roth im Alter von
85 Jahren an Herzversagen gestorben. Das teilte sein Agent Andrew Wylie am
Dienstagabend (Ortszeit) mit. Der gefeierte und gleichermaßen umstrittene
Autor galt als mutiger Erzähler von Geschichten über Sexualität, Religion
und Sterblichkeit.
27 Romane veröffentlichte er, zeitweise einen pro Jahr, dazu Sachbücher,
dutzende Novellen, Kurzgeschichten, Essays und Interviews. Der 2010 in den
USA erschienene Roman „Nemesis“ blieb sein letzter, aber schon lang vorher
ließ sich das literarische Kaliber Roths bemessen: Als die New York Times
ihre Leser 2006 nach den besten amerikanischen Romanen der vergangenen 25
Jahre fragte, schafften es sechs von Roths Titeln auf die Liste – aus
insgesamt 29.
Entsprechend groß war der Schock, als Roth 2012 [1][seinen Ausstieg aus dem
Literaturbetrieb] ankündigte. „Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei“,
hatte er sich damals auf einen gelben Zettel geschrieben und auf seinen
Computer geklebt. „Jeden Morgen schaue ich auf diesen Zettel, und das gibt
mir sehr viel Kraft“, sagte er. Dass es nicht genug Lesestoff gebe, um
Roths Ruhestand zu verkraften, konnten Fans angesichts der Fülle an Werken
jedenfalls nicht behaupten.
Mit jedem seiner Romane, die aus Roth nur so herauszusprudeln schienen,
präzisierte er seine Stimme weiter, füllte die Zeilen mit Sarkasmus, Humor
und Melancholie. Er wechselte die Themen und war doch immer
wiederzuerkennen. Zu seinen erfolgreichsten Titeln zählen die
Roman-Trilogie „Der Ghostwriter“, „Zuckermans Befreiung“ und „Die
Anatomiestunde“, aber auch „Sabbaths Theater“, „Amerikanisches Idyll“…
„Der menschliche Makel“.
## Trauriger Gag mit dem Nobelpreis
Und obwohl Roth wieder und wieder begeisterte: Das eine ganz große Werk,
den einen Klassiker, schrieb er nicht. Erst im Rückblick wurde klar, dass
Roth eben durch die Summe seiner hervorragenden Bücher zu den großen
Schreibern wurde. Mehrere wurden verfilmt. „Roth ist der größte
Schriftsteller unserer Zeit“, schrieb der Guardian schon 2009, und ließ
dafür auch Roths größte amerikanische Zeitgenossen wie Cormac McCarthy,
John Updike und Don DeLillo links liegen.
Den Nobelpreis für Literatur hatte Roth aus Sicht vieler Fans deshalb
eigentlich sicher, ihnen blieb die Nachricht über die Auszeichnung anderer
Autoren – vor allem der Amerikaner Toni Morrison 1993 und Bob Dylan 2016 –
im Halse stecken. „Der wahre Skandal an Patrick Modianos Nobelpreis-Gewinn
ist, dass Philip Roth ein gewaltiger Verlierer ist – schon wieder“, schrieb
der Guardian etwa 2014. Aus den wiederholten Pleiten des „seit 50 Jahren
stehenden Titans“ habe sich ein regelrechter Gag entwickelt. Alle anderen
wichtigen Preise der Literaturwelt hatte Roth schließlich schon mit nach
Hause genommen.
## Leber und Sex
Roth war Atheist und verschwor sich der irdischen Vorstellungskraft.
Konkret bedeutete das etwa, ein Stück Leber in eine Sexszene zu integrieren
oder einen Protagonisten zu erschaffen, der romantische Tagträumereien über
Anne Frank hat.
Während er sich selbst nicht als jüdischen Autor bezeichnete, sondern sich
immer als US-Schriftsteller sah, ging es in seinen Romanen doch um beides.
Anders als Vorgänger wie Saul Bellow und Bernard Malamud schrieb er nicht
vom schmerzhaften Leben jüdischer Einwanderer in die USA, sondern über die
nächste Generation: Die erste Sprache von Roths Charakteren war Englisch
ohne Akzent; sie folgten keinen religiösen Ritualen und gingen nicht in
Synagogen.
In dem 2004 veröffentlichten Werk „Verschwörung gegen Amerika“ stellte er
seine eigene Familie unter die fiktive antisemitische Herrschaft von
Präsident Charles Lindbergh. In „Nemesis“ schrieb er sechs Jahre später
über seine Heimat New Jersey unter den Auswirkungen einer Polio-Epidemie.
Im Privaten kämpfte er gegen eigene Dämonen. Ende der 1960er Jahre
überlebte er einen Blinddarmdurchbruch, 1987 eine Depression, die fast im
Suizid geendet wäre. Nach negativen Reaktionen auf seinen 1993
veröffentlichten Roman „Operation Shylock“ fiel er erneut in eine
Depression und sprach über Jahre hinweg nur selten mit den Medien. 2015 zog
er sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurück.
## Die eigene Geschichte herauspumpen
In Newark, von New York aus auf der anderen Seite des Hudson River gelegen,
erinnert ein Straßenschild an den Schriftsteller, der im zweiten Stock
eines Schindelhauses in der Summit Avenue Nummer 81 aufwuchs. Der Sohn
jüdischer Einwanderer aus ärmlichen Verhältnissen genoss die Sommer am
Strand von New Jersey, verfolgte Baseballspiele hinter seiner Grundschule,
führte Freundinnen ins Kino aus und traf seine Jungs zum Pastrami-Sandwich
im örtlichen Diner. Viele von Roths Romanen spielen in diesem Newark seiner
Jugend.
„Nein, die eigene Geschichte ist keine abzulegende Haut – sie ist
unausweichlich, Körper und Blut“, schreibt Roths wiederkehrende Figur
Nathan Zuckerman in „Die Prager Orgie“. „Man pumpt sie heraus bis man
stirbt, mit den Themen des Lebens geäderte, stets wiederkehrende
Geschichte, die zugleich deine Erfindung und die Erfindung deiner selbst
ist.“ Philip Roth erfand seine Geschichten – und sie erfanden ihn (mit
Blick auf sein Alter Ego Zuckerman bestand er allerdings darauf, dass seine
Romane nicht autobiografisch seien).
„Ich bin 83 und habe keine Erben“, sagte Roth der „New York Times“, als…
seinen Ruhestand verkündete. So spendete er 2016 auch seine rund 4000
privaten Bücher an die Bibliothek in Newark, nachdem sie jahrelang Regale
in seinem Haus auf einer Farm in Connecticut gefüllt hatten. Dort
verbrachte der eher zurückgezogen lebende, zweifach geschiedene Autor viel
Zeit, dort schrieb er seine aufrichtigen, amerikanischen Sätze, wie diesen
aus „Amerikanisches Idyll“: „Das Leben ist nur eine kurze Zeitspanne, in
der man lebendig ist.“
23 May 2018
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