| # taz.de -- Volker Hages „Die freie Liebe“: Verflüchtigte Altherrenphantas… | |
| > Der Literaturkritiker fährt in seinem Roman alles auf, was Rang und Namen | |
| > hat. Nur das Problematisieren seines Sujets bleibt aus. | |
| Bild: Eine Frau in den 60ern. | |
| Uschi Obermaier, Led Zeppelin III, twen-Hefte und jede Menge neuer | |
| Medientechnik – so waren sie, die frühen Siebziger, für einen Lübecker | |
| Germanistik-Studenten in Schwabing, zumindest in der Erinnerung eines | |
| autornahen Mittsechzigers. | |
| Der Literaturkritiker Volker Hage, lange beim Spiegel, seit Kurzem im | |
| Ruhestand, hat sich hinreichend mit alternden Erotikern wie Günter Grass | |
| und Marcel Reich-Ranicki befasst und weiß, was er tut, wenn er seinen | |
| ersten Roman vorlegt: „Es ist gewiss ein Angebertext, aber auch irgendwie | |
| rührend in der Erinnerungslust […] an seine sexuellen Abenteuer.“ Hier ist | |
| von Henry Miller die Rede, aber selbstverständlich wollen solche Stellen | |
| auch auf den eigenen Text bezogen werden. Well-made das Ganze, in einer | |
| irgendwie qualitativ hochwertigen Sprache, bei der man sicher ist, dass | |
| irgendwann das Wort „Habseligkeiten“ fallen wird. | |
| Die vorangestellten Motti von Goethe (“Alle Begier schweigt in ihrer | |
| Gegenwart“) und den Rolling Stones stecken den kulturellen Claim ab, der | |
| hier beackert wird; allerdings schweigt Wolfs (!) Begierde beim Anblick der | |
| schönen, mit dem geduldigen Andreas verlobten Lissa in seiner WG keineswegs | |
| (“ihre großen Brüste und das pechschwarze Schamhaar“). | |
| Dagegen haben die obsessiven Aufzeichnungen, die er alsbald schriftlich, | |
| fotografisch, filmisch und auf Tonband von ihrem Körper und dem gemeinsamen | |
| Sex macht, durchaus und womöglich ungewollt etwas von der Exploitation aus | |
| Brown Sugar (“Scarred old slaver knows he’s doin’ all right…“). „Ni… | |
| übel, diese Beichte eines Sexbesessenen“, heißt es dann anerkennend – | |
| diesmal über Philip Roth. | |
| ## Kann man sich erinnern? | |
| „Alles, was Männern Spaß macht“ – die Playboy-Werbung von 1972 passt | |
| verblüffend gut, die Begeisterung des Erzählers für seine Entdeckungen auf | |
| dem Gebiet erotischer Filme und Zeitschriften, seine Freude an neuen | |
| Platten oder Geräten stellenweise durchaus ansteckend. Oder für die etwas | |
| teureren Spielzeuge des Vaters, vom Video-Rekorder von Akai zum Preis eines | |
| VW Käfers bis zum knallroten BMW 2300 CS Coupé. | |
| Hier sagt ein Markenname oft mehr als längliche erotische Ausführungen. | |
| Denn was soll eigentlich noch erzählt werden, wenn „eine Geschichte machen“ | |
| zum Synonym für Geschlechtsverkehr geworden ist? Von „Stella“ bis „Jules | |
| und Jim“ wird alles aufgefahren, was Rang und Namen hat, und doch | |
| verhandelt der Roman die titelgebende freie Liebe nicht wirklich als | |
| ethisches, moralisches, ästhetisches oder auch nur lebenspraktisches | |
| Problem. | |
| Was aber Hochliteratur sein will, braucht ein Problem, was in diesem Fall | |
| dann eher lautet: Kann man sich erinnern, soll man sich erinnern? Und wozu? | |
| „Es lässt sich nichts bewahren“, heißt es elegisch, die Aufzeichnungen | |
| werden zerstört. Der Romantext, der schließlich in weiten Teilen Wolfs | |
| altes Tagebuch sein soll, wäre dann allerdings ein performativer | |
| Widerspruch. Er bewahrt ja die Dreiecksgeschichte nicht nur, sondern macht | |
| sie zur repräsentativ-öffentlichen und spart dabei nicht an Intimem, | |
| zumindest was Lissa angeht: „Aber wie kann ich ihre Haut speichern, ihren | |
| Duft festhalten, ihr Lächeln, wenn sie atemlos ruft, kurz vorher: ‚Wolf, | |
| Wolf, Wolf!!‘“ | |
| ## Kitschrisiko wird nicht gebannt | |
| Na, jetzt hast du’s doch eben versucht, möchte man antworten – und der | |
| Versuch ist strafbar. Denn man lese solche Stellen nur einmal laut, und man | |
| wird feststellen: So geht es denn doch nicht mehr, Hochliteratur, im 21. | |
| Jahrhundert. Das Kitschrisiko wird nicht gebannt, und das Obsessive, von | |
| dem ständig die Rede ist, gewinnt in solcher Prosa – Duft, Lächeln, atemlos | |
| – literarisch keine Gestalt. | |
| Natürlich geht es nicht gut aus, der zweite Teil kehrt die Scherben auf: | |
| „Absturz. Aus Wonne wird Qual.“ Die negativ-werthernden Gefühle gelingen | |
| Hage/Wolf noch weniger überzeugend als die positiven, man hat nie den | |
| Eindruck einer Grenzerfahrung, und schon gar nicht interessiert sich das | |
| Buch dafür, was aus der offenbar psychisch labilen Lissa wird – waren | |
| Frauen auf längere Sicht nicht allzu häufig die Leidtragenden der „freien | |
| Liebe“ der 68er? | |
| Beim Treffen der soignierten Herren Wolf und Andreas bei Lammrücken und | |
| Sancerre Rosé hat sie sich längst in eine medial gestützte | |
| Altherrenfantasie verflüchtigt. Lissa. Die freie Liebe sowieso. | |
| 13 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Moritz Baßler | |
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