# taz.de -- Neuer Ministerpräsident in Italien: Eingequetscht an der Macht | |
> Giuseppe Conte ist politisch unerfahren. Der Technokrat könnte zum reinen | |
> Exekutor der Entscheidungen der Populisten werden. | |
Bild: Exekutor oder Mediator? Giuseppe Contes Bestimmung ist noch nicht recht a… | |
ROM taz | Ein Ministerpräsident ohne Parteibuch soll die Regierung der | |
beiden Antisystemparteien Movimento5Stelle (M5S – Fünf-Sterne-Bewegung) und | |
Lega führen: Giuseppe Conte. Diesen Vorschlag unterbreiteten am Montagabend | |
der M5S-Chef Luigi Di Maio und der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini dem | |
Staatspräsidenten Sergio Mattarella, der nun das letzte Wort hat. | |
Der 54-jährige Conte ist Jura-Professor an der Uni Florenz, spezialisiert | |
auf Privatrecht, hoch angesehen unter seinen Kollegen. Ansonsten aber ist | |
er vor allem eines: einer breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannt. Nie in | |
seinem Leben bekleidete er ein politisches Amt, und sei es auch nur das | |
eines Bezirksbürgermeisters, nie führte er eine größere Behörde. | |
Wie schon [1][bei ihrem Regierungsprogramm] – massive Steuersenkungen bei | |
gleichzeitigem großzügigem Ausbau des Sozialstaats – versuchen die | |
Koalitionspartner sich so auch bei der Personalauswahl der Regierung an der | |
Quadratur des Kreises. Gewiss, Technokraten an der Spitze des Kabinetts hat | |
Italien schon öfter gesehen, zuletzt Mario Monti in den Jahren 2011 bis | |
2013. Monti allerdings hatte eine komplette Technokratenregierung hinter | |
sich, die Parteien mussten draußen bleiben. Diesmal ist es völlig anders: | |
Der parteilose Technokrat Conte soll eine Parteienregierung führen, und die | |
beiden Parteichefs Di Maio und Salvini sollen ihm als Vizepremiers zur | |
Seite stehen. | |
Geboren wurde diese Lösung aus der Not. Eigentlich war Di Maio als Führer | |
der stärkeren politischen Kraft im Bündnis – das M5S hatte 32,7 Prozent bei | |
den Wahlen geholt – auf den Posten des Regierungschefs scharf. Bei Salvini | |
– dessen Lega mit 17,4 Prozent der Juniorpartner ist – biss er damit jedoch | |
auf Granit: Salvini fürchtete heftige Widerstände aus den eigenen Reihen, | |
wenn er die Lösung Di Maio zulassen würde. | |
## Er stand auf keinem Wahlzettel | |
Deshalb musste es ein Parteiloser sein. Di Maio bestreitet zwar, Conte sei | |
ein Techniker. „Eine politische Regierung mit einem politischen Premier“ | |
werde da gebildet, verkündete er, schließlich habe Conte schon dem | |
Schattenkabinett der Fünf-Sterne-Bewegung angehört, das kurz vor den Wahlen | |
präsentiert worden war, als zukünftiger Minister für öffentliche | |
Verwaltung. Er dürfe deshalb für sich beanspruchen „von elf Millionen | |
Italienern gewählt“ worden zu sein, auch wenn sein Name auf keinem | |
Wahlzettel stand, auch wenn er für das Parlament gar nicht aufgestellt | |
worden war. | |
Gewiss, der bekennende Katholik Conte, der nach eigenen Worten früher links | |
wählte, ist Sympathisant des M5S, auf dessen Ticket er 2013 in den | |
„Präsidialrat der Verwaltungsjustiz“ gewählt wurde – mehr aber auch nic… | |
Bei den Koalitionsverhandlungen der letzten Wochen, in denen das Programm | |
der neuen Regierung festgezurrt worden war, war er nicht dabei, und auch | |
die Liste „seiner“ Minister handelten die beiden Parteien ohne ihn aus. | |
Deshalb wohl erinnerte Staatspräsident Mattarella Di Maio und Salvini | |
daran, dass nach der Verfassung der Ministerpräsident Chef der Regierung | |
und nicht ihr ausführender Angestellter ist. | |
Eben dies aber droht Conte zu werden: Exekutor von Entscheidungen, die | |
andere treffen, eingemauert in einem Kabinett, in dem die beiden | |
Parteichefs mit am Tisch sitzen als diejenigen, die immer das letzte Wort | |
zu haben drohen. Zwei Optionen hat er dann – entweder sich mit dieser Rolle | |
abzufinden oder immer wieder den Konflikt mit den ihn tragenden Parteien zu | |
suchen. Eine wirklich stabile Lösung ist das nicht. Doch wenigstens einen | |
Vorteil hat Conte auf seiner Seite. Der Jurist gilt als Experte für | |
Streitschlichtungsverfahren und Mediation – das könnte im schwierigen | |
Zusammenspiel zwischen M5S und Lega wertvoll sein. | |
## Beruhigungsoffensive mit ungewissem Ausgang | |
Wertvoll ist sicher auch, dass der grundseriöse Conte in Werdegang und | |
Habitus perfekt das Establishment repräsentiert – und so den beiden | |
Anti-Establishment-Parteien zu Hause ebenso wie in Europa die Flanke | |
sichern kann. Auch einige andere zentrale Position wollen M5S und Lega nach | |
dieser Logik besetzen. So soll Giampiero Massolo Außenminister werden. | |
Er, der heute den Werftkonzern Fincantieri leitet, hat eine Karriere als | |
Diplomat hinter sich, die ihn bis in die höchste Beamtenposition des | |
Außenministeriums trug, die des „Generalsekretärs“ (das entspricht dem | |
beamteten Staatssekretär in Deutschland). Und Enzo Moavero Milanesi, | |
eingefleischter Europäer, soll Europaminister werden – dieses Amt | |
bekleidete er auch in den Regierungen Monti und Letta in den Jahren 2011 | |
bis 2014. | |
Ob diese Beruhigungsoffensive klappt, wird sich in den nächsten Tagen | |
zeigen. Momentan reagieren die Märkte einigermaßen nervös. Der Spread – der | |
Zinsabstand zwischen Italien und Deutschland – stieg in den letzten Tagen | |
von 1,3 auf gut 1,8 Prozent. Daran änderten auch Di Maios und Salvinis | |
Worte nichts, die am Montagabend beide erklärten, natürlich werde Italien | |
seine vertraglichen Verpflichtungen einhalten. Eine Anti-System-Regierung, | |
die mit dem „System“, vorneweg in Europa, zurechtkommen muss: Diese | |
Dialektik wird das politische Experiment prägen, das gerade in Rom beginnt. | |
22 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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