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# taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Tief im Schlamassel
> Das Scheitern wird gern als Chance verkauft. Aber Scheitern ist keine
> Chance, scheitern ist anstrengend und nichts für jeden.
Bild: Gut, der HSV ist abgestiegen. Aber Abgrund ist in Wirklichkeit eine ander…
„Erst wenn man so richtig tief fällt, kann’s wieder bergauf gehen.“ Eine
Gruppe Männer in kurzen Hosen stößt mit Jägermeister an. Das Schulterblatt
ist voll, Anoraktouristen schauen sich erwartungsvoll um, der
Hafengeburtstag dröhnt, Barbara Schöneberger kreischt auf dem
Spielbudenplatz, Hubschrauber kreisen, der HSV ist abgestiegen.
Der mit dem brandneuen Guns-n’-Roses-Shirt sagt: „Der HSV wird schon
wieder. Hätte ich damals nicht mein kleines Burnout gehabt, würd ich immer
noch in der alten Agentur arbeiten und viel weniger verdienen.“
Sein Buddy fügt hinzu: „Eben. Zweite Liga macht denen jetzt Feuer unterm
Arsch. Erst wenn du so richtig am Abgrund bist, wirste klar im Dötz und
kannst den Phönix aus der Asche machen.“
Der Obdachlose, der die Typen gerade anschnorren wollte, sagt: „Das kann
aber auch ganz anders laufen!“
Die Frau, die sich mit ihrem verängstigten Mops auf dem Arm durch die Menge
manövriert, sagt: „Und was ist an der Zweiten Liga eigentlich Asche? Die
verdienen sich doch immer noch dumm und dämlich! Abgrund ist nun wirklich
’ne ganz andere Abteilung.“
Der Obdachlose verschränkt die Arme, nickt, und die Typen geben ihm alle
ein paar Münzen, einer einen Schein.
Das Scheitern wird gern als die ganz große Chance verkauft. Lebensratgeber,
gut situierte Philosophen und alberne Prominente verbreiten, dass es den
Charakter forme, aus der Komfortzone gekickt zu werden. Probleme seien
Gelegenheiten zu zeigen, was man kann. Yeah!
So reden Leute, denen es richtig gut geht. Wer wirklich in der Scheiße
sitzt, fühlt sich sicher nicht inspiriert, endlich mal zu glänzen.
Durchhaltebla wie: „Aufstehen, Krone richten, Weitermachen!“, sind mir ein
Rätsel. Was für eine Krone? Wo kommt die auf einmal her?
## Abstieg ist ein großes Wort
Der Schlamassel ist manchmal so tief und morastig, dass man nicht mal einen
aufrechten Schneidersitz hinbekäme – um zunächst ein bisschen über das
Grauen zu meditieren. Abstieg ist ein großes Wort. Es passt eigentlich
nicht zur Situation des HSV. Die Gehälter bleiben knackig, keiner der
Spieler muss jetzt in einen günstigeren Stadtteil ziehen oder zu Lidl.
Solange das Konto voll ist, kannst du dich in Ruhe neu aufstellen und alles
auf Anfang drehen.
Augen auf bei der Berufswahl. Ich gehöre ja zur Gruppe der Künstlerinnen –
da bekommt man niemals Mitleid – schließlich hat man sich die strapaziöse
Bohème ja selbst eingebrockt. Die Sache beginnt schon in der Asche und
selten passiert die Phönix-Nummer, meist ist man eher die Meise, vielleicht
mal ’ne Drossel oder für eine Saison Silbermöwe. Es gibt nur wenige ewige
Phönixe unter Schriftstellern, Frank Schätzing zum Beispiel. Der gewinnt
aus dem Stand immer die Champions League. Viele spielen zwar genial, aber
für immer auf dem Sandplatz im Ghetto.
Man muss nicht erst scheitern oder tief fallen, um Großartiges zu
vollbringen. Scheitern ist keine Chance, scheitern ist anstrengend und
nichts für jeden. Nur die ganz Harten können sich eine Wohnung in der
Hafencity leisten, denn was dich nicht umbringt, macht dich nur reicher.
28 May 2018
## AUTOREN
Jasmin Ramadan
## TAGS
Sozialer Abstieg
Abstieg
Scheitern
Hamburger SV
wochentaz
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Die Couchreporter
Schwerpunkt #metoo
Schwerpunkt Rassismus
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Fußball
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