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# taz.de -- Migrationsagentur in Sachsen-Anhalt: Das etwas andere Anker-Zentrum
> Im Burgenlandkreis will man Geflüchteten und EU-Ausländern bei der
> Integration helfen. Das widerspricht den aktuellen Regierungsplänen.
Bild: Zuwanderung gebraucht: Die Stadt Naumburg will bessere Integration
Naumburg taz | Die Flure sind wie mit dem Lineal gezogen, die Böden sind
grau, die Wände weiß. Nur ein Streifen in Marineblau an der Wand
durchbricht die Gleichförmigkeit dieser Behörde. Naumburg in Sachsen-Anhalt
hat mit dem Dom architektonisch Herausragendes zu bieten. Die neue
Migrationsagentur des Burgenlandkreises gehört sicher nicht dazu. Auf dem
Gebiet der Verwaltung ist der zweistöckige Bau aber deutsche Avantgarde.
Die Agentur ist die Neuordnung aller Ämter und Einrichtungen, die auf
Kreisebene mit der Integration von Flüchtlingen zu tun haben. In
Ostdeutschland ist das einmalig, im Westen gibt es einen ähnlichen Ansatz
nur in Bochum und im Landkreis Osnabrück. Behördenleiter Thomas Postleb,
der das berichtet, ist stolz auf den 68 Meter langen Kasten, vor allem auf
sein Innenleben.
„Wir haben erkannt, dass es überall zu Schnittstellendefiziten kommt, wenn
Fachämter an demselben Menschen arbeiten“, sagt Postleb, ein stämmiger Mann
in Jeans und mit kariertem Hemd, in schönstem Beamtendeutsch.
„Schnittstellendefizit“ ist die Umschreibung dafür, dass sich Flüchtlinge
immer wieder im Behördendschungel verlaufen, weil Ämter in verschiedenen
Städten liegen, weil sie sich nicht untereinander abstimmen, weil Fristen
verstreichen, kurzum: weil die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut.
Also arbeiten alle, die mit Flüchtlingen zu tun haben, von nun an unter
einem Dach. Hinzu kommen Akteure von außen, von der Arbeitsagentur bis zum
Kreissportbund – fertig ist die Migrationsagentur. Am Donnerstag wurde sie
eröffnet.
Wenige Tage zuvor führt Thomas Postleb durch sein neues, spartanisches
Reich. Es geht über zwei Etagen, vier Flure und ein Treppenhaus. Durch
jeden der leeren Gänge läuft zur besseren Orientierung ein andersfarbiger
Querstreifen. Ab Mai füllen sich die Flure. Dann sind die farbigen Linien
Leitplanken in eine neue Welt.
## Das bürokratische Ideal
Postleb zeigt Dutzende Räume, wo Integration, oft als Verwaltungsakt mit
einem Stück Papier, beginnen soll. Manchmal muss der Chef aufschließen,
manchmal sind die Türen weit offen. Die Mitarbeiterin der Volkshochschule
ordnet gerade Bücher in Regale. Sie wird in Zukunft von hier aus
Integrations- und Sprachkurse koordinieren. Kein Flüchtling muss wegen
einer Anmeldung extra in die VHS.
Die anderen Türen führen ins Ausländeramt, Jugendamt, Wirtschaftsamt,
Sozialamt, Amt für Bildung, Kultur und Sport, ins Jobcenter, in die
Arbeitsagentur, zum Kreissportbund und ins „Forum Ehrenamt“, eine
Initiative der evangelischen Kirche. Sogar das Standesamt ist mit dabei.
Es könnte mit seinen Einbürgerungsurkunden dann den Schlussstein setzen:
Wenn der Asylsuchende alle Türen durchschritten hat, wenn Sozialarbeiter,
Fallmanager, Integrationsfachkräfte ihre Arbeit getan haben, kommt ein
deutscher Staatsbürger heraus, der im Burgenlandkreis seine neue Heimat
findet. So ließe sich das bürokratische Ideal beschreiben.
In der Realität liegen zwischen den Türen alle Stufen eines
Flüchtlingsschicksals, von Hoffnung bis Verzweiflung. Nicht jeder erhält
den Status der Anerkennung. Und wer ihn erhält, will nicht immer im
Landkreis bleiben. Und wem die Anerkennung versagt wird? Dem kann man
trotzdem helfen, versichert Postleb. Wer gerade eine Ausbildung absolviere,
darf diese beenden. Zudem gebe es Möglichkeiten der „Ermessensduldung“.
Denn auf eines legt Postleb großen Wert: Seine 75 Beschäftigten sind nicht
dazu da, Menschen möglichst nett die Abschiebepapiere in die Hand zu
drücken. Das Ziel ist Integration.
Von den 183.000 Einwohnern im Burgenlandkreis sind etwa 10.000 Ausländer.
Die Mehrzahl davon, etwa 6.500, sind keine Flüchtlinge, sondern EU-Bürger.
Dazu kommen 3.500 „Drittstaatler“, von ihnen sind 2.200 anerkannte
Flüchtlinge und Asylsuchende – ergibt einen Ausländeranteil von knapp 5,5
Prozent. Diese Zahlen kennt Landrat Götz Ulrich auswendig. Der
Christdemokrat Ulrich steckt hinter dem neuen Konzept, das Integration
verbessern, aber auch verbreitern soll.
## Rumänen, Polen, Ungarn, Bulgaren
Zwar sei das Projekt „unter dem Eindruck der großen Zahl von Flüchtlingen
in einem ganz breiten Konsens“ vom Kreistag beschlossen worden, sagt
Ulrich. Selbst von André Poggenburg, bis vor Kurzem AfD-Vorsitzender in
Sachsen-Anhalt und Mitglied im Kreistag, habe es keinen Widerstand gegeben.
Doch inzwischen gehe es nicht nur um Flüchtlinge. Deren Anzahl bleibe seit
vielen Monaten konstant.
Jetzt kommen die EU-Ausländer in den Blick. Die Tausenden von Rumänen,
Polen, Ungarn, Bulgaren, die etwa als Vertragsarbeiter in einem Schlachthof
in Weißenfels arbeiten und den Ausländeranteil in der Stadt auf 14 Prozent
hochtreiben. „Auch bei ihnen wollen wir die Integrationsbemühungen
intensivieren“, sagt Ulrich, damit die Arbeitsmigranten dauerhaft mit ihren
Familien sesshaft werden. Es gehe darum, Lücken in der demografischen
Entwicklung und auf dem Arbeitsmarkt abmildern, sagt Ulrich. Die Region
zwischen Jena, Halle und Leipzig braucht Zuwanderung.
Die Migrationsagentur, mit Mitteln des Landes und der EU gefördert, ist ein
Signal. 2015 geriet der Burgenlandkreis in die Schlagzeilen, weil es in
Tröglitz einen Brandanschlag auf eine geplante Asylunterkunft gegeben
hatte. Wenige Wochen zuvor war der Ortsbürgermeister Markus Nierth
zurückgetreten. Im Ort war es zu fremdenfeindlichen Protesten gekommen. Sie
richteten sich gegen Nierth, weil er sich für die Flüchtlinge aussprach.
Nierth warf der Kreisverwaltung mangelnde Unterstützung vor und trat
zurück. Mit dem unscheinbaren Bau in Naumburg hat sich nun ein kompletter
Kulturwandel vollzogen.
29 Apr 2018
## AUTOREN
Thomas Gerlach
## TAGS
Integration
Migration
Schwerpunkt Flucht
Geflüchtete
Asyl
Antisemitismus
Schwerpunkt Flucht
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