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# taz.de -- Natur- und Umweltschule Dresden: Der Wald darf keine Schule sein
> Eine reformpädagogische Naturschule in Dresden kämpft seit Jahren um ihre
> staatliche Anerkennung. Ein Gericht entscheidet jetzt über ihre Zukunft.
Bild: Der Tag an der Natur- und Umweltschule beginnt mit einem Morgenkreis im W…
Dresden taz | Bunte Jacken leuchten inmitten des vertrockneten Laubes, das
den moosgrünen Waldboden bedeckt. Auf einer kleinen Lichtung am Rande der
Dresdner Heide sitzen die Schüler_innen der Schildkrötengruppe unter den
frisch gekeimten Blättern. Der Tag beginnt mit einem Morgenkreis, danach
geht es zu den neunzigminütigen Lerneinheiten über. Die Schildkröten, das
ist eine von drei Lerngruppen an der Natur- und Umweltschule (NUS), die
unter der Leitung von Julia Pörschke in Dresden eine reformpädagogische
Alternative zu staatlichen Schulen schafft.
Etwas später sitzt die junge Frau in Strümpfen im kleinen Bibliothekszimmer
der NUS. Schuhe werden hier am Eingang ausgezogen, damit sich die Reste des
feuchten Waldbodens nicht in den roten Teppich fressen. „Wir wollen mit
unserer Schule erreichen, dass die Kinder einen Blick für die Welt
entwickeln, aktiv sind und Verantwortung übernehmen“, sagt Pörschke.
Sie ist Teil eines dreizehnköpfigen Pädagog_innenteams, das für 64
Schüler_innen zuständig ist. 2011 wurde die Schule in freier Trägerschaft
gegründet; im Mittelpunkt stehen seitdem natur-, umwelt- und
reformpädagogische Ansätze. Die Zukunft der Einrichtung ist allerdings in
Gefahr, denn bei den Behörden stößt das Konzept auf Widerstand.
Das sächsische Landesamt für Schule und Bildung lehnt es bisher ab, ein
sogenanntes besonderes pädagogisches Interesse an der Arbeit der NUS
anzuerkennen. Die Schule bekommt deshalb kein Geld vom Staat und muss sich
derzeit aus Spenden finanzieren. 2015 urteilte das Verwaltungsgericht
Dresden zwar, dass das Amt die Einrichtung noch einmal neu zu beurteilen
habe. Die Behörde focht die Entscheidung aber an. Seit Dienstag berät nun
das Sächsische Oberverwaltungsgericht über den Fall. Gibt es der Behörde
recht, könnte der Schule das Geld ausgehen.
## „Sauerklee ist herzförmig“
„Der Wald ist unser Schulhof“, sagt Lehrerin Berit Görlich. Ausgestattet
mit Regenhose und Outdoor-Jacke setzt sie sich neben zwei Kinder, die in
ihre Schulhefte vertieft sind, auf einen Baumstamm. Die Schildkröten lernen
heute, welche Kräuter im Wald wachsen. Dazu werden sie zu Beginn der
Lerneinheit losgeschickt, um Pflanzen zu erkunden und zu sammeln. Jetzt
lautet die Aufgabe: Fertige einen Steckbrief der Pflanze an, die du
gefunden hast. Ein Mädchen schreibt in geschwungenen Buchstaben in ihr
Heft: „Der Sauerklee ist herzförmig.“
Der angrenzende Wald ist fest in die Wochenstruktur der NUS integriert.
Einmal pro Woche ist Waldtag, einmal im Quartal sogar Waldwoche. Zudem
werden das Frühstück und das Mittagessen unter selbstgebauten Waldschenken
auf einem der drei von der Schule gepachteten Waldplätzen zu sich genommen.
Auch einzelne Lernzeiten finden dort statt.
Unter anderem deshalb zweifelt das Landesamt an der Tauglichkeit der
Schule. Das Konzept bewerte man als „nicht genehmigungsfähig, da nicht
erfolgversprechend umsetzbar im praktischen Schulbetrieb“, sagt Sprecher
Roman Schulz. Voraussetzungen für die Anerkennung durch die Behörde seien
ein Interesse an der Erprobung und Fortentwicklung pädagogischer Konzepte
sowie „das Interesse an der angemessenen pädagogischen Betreuung spezieller
Schülergruppen, denen das öffentliche Schulwesen keine hinreichenden
Angebote macht oder machen kann“.
## Der Wald ist zu gefährlich
Bei der NUS sei dies bislang nicht erkannt worden. Im vergangenen Jahr hieß
es zudem von Seiten der Behörde, die Schüler_innen seien im Wald
„unvorhersehbaren Gefahren ausgesetzt“.
Oftmals wird der reformpädagogische Ansatz auch dafür kritisiert, zu wenige
der vom sächsischen Lehrplan vorgegebenen Inhalte abzudecken. „Zu Unrecht“,
sagt Pörschke. Zwar gibt es bis auf den sogenannten Kurstag an Freitagen,
an dem die Fächer Kunst, Musik, Werken, Sport, Englisch und Schwimmen
abgedeckt werden, nur fächerübergreifende Lerneinheiten. Unterm Strich
würden im Jahresverlauf aber alle Lehrplanthemen aufgegriffen und um
naturpädagogische Aspekte sowie entdeckendes Lernen erweitert. „Das ist der
Vorteil an der Flexibilität.“
Auch der Vorwurf, dass die Kinder es im weiteren Bildungsverlauf schwerer
hätten, sich anzupassen, hat sich in den vergangenen Jahren nicht
bestätigt. Im Gegenteil: „Die Kinder sind nicht so abgestumpft von der
Schule“, sagt sie. So gingen die Schulabgänger_innen mit viel mehr
Lebendigkeit und Spaß am Lernen auf die weiterführenden Schulen – was sich
dann auch in den Leistungen widerspiegele.
## Unter Experten respektiert
Tatsächlich ist der reformpädagogische Ansatz von Naturschulen ein in der
pädagogischen Debatte geachteter. Erst kürzlich veröffentlichte die
Fachzeitschrift Pädagogik einen Schwerpunkt dazu, wie Naturerfahrung durch
Schule stark gemacht werden kann und welche Vorteile sich daraus für das
Lernen ergeben. In einem Beitrag heißt es, die Erfahrungen aus anderen
Ländern zeigten eine durchaus positive Wirkung auf Kinder: „mehr
Eigenmotivation, weniger Erschöpfung, wachsende Stressresilienz“. Zudem
ließen sich die Inhalte mit Bildungsplänen ohne Probleme verbinden.
Ob die sächsische Bildungsagentur diese Vorteile und damit die NUS an sich
zukünftig anerkennen wird, muss nun das Gericht entscheiden.
Die Kinder kriegen derweil vom Konflikt am wenigsten mit. Der Unterricht
geht weiter – auch im Wald. Die Schildkrötengruppe horcht auf, denn in
kurzen Abständen tönt das Singen eines Kuckucks, gefolgt von einer Melodie.
Nach und nach sammeln die Kinder ihre Federmäppchen vom Waldboden auf,
schmücken die bunten Tücher in den niedrigen Zweigen ab. Denn sie wissen:
Wenn die Lehrerin die Kuckucksmelodie flötet, heißt das: aufräumen. Die
zweite Melodie ist das Signal dafür, sich im Kreis zu versammeln.
Die Schüler_innen erzählen, was sie an diesem Morgen im Wald gelernt haben.
„Dass der Sauerklee am Stil leicht rötlich ist“, sagt ein Mädchen. „Das…
hier viele Mücken gibt“, ein Junge. Auf dem Weg zurück zur Schule erklärt
eine Schülerin ihrer Freundin, dass Birkenblätter essbar sind. Diese nickt:
„Die schmecken nach Salat.“
10 May 2018
## AUTOREN
Sarah Ulrich
## TAGS
Reformpädagogik
Wald
Sachsen
Schule
Bildung
Reformpädagogik
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