# taz.de -- Machtkampf im Lübecker Rathaus: Eintracht nur gegen die SPD | |
> Am 1. Mai wird Lübecks neuer Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) vereidigt. | |
> Bei der Kommunalwahl entscheidet sich, ob sich Lindenau auf eine stabile | |
> Mehrheit stützen kann. | |
Bild: Von außen glanzvoll, aber drinnen ist eine Folterkammer: Das Lübecker W… | |
HAMBURG taz | Die Welt könnte so schön sein: „Concordia Domi, Foris Pax“ | |
(„Eintracht drinnen, draußen Frieden“) lautet die Inschrift am | |
altehrwürdigen Holstentor der einstigen Hansekönigin Lübeck. | |
Der Weltfrieden indes ist noch immer nicht in Sicht und auch in der | |
zweitgrößten Stadt Schleswig-Holsteins herrscht derzeit wenig Einigkeit. | |
Denn im mittelalterlichen Rathaus mit der monumentalen Schilderwand ist der | |
politische Kampf um Macht und Mandate voll entbrannt. | |
Zum 1. Mai gibt es einen neuen Bürgermeister, Jan Lindenau von der SPD. Er | |
hatte sich bei der Direktwahl vor fünf Monaten hauchdünn gegen die | |
parteilose Kultursenatorin Kathrin Weiher durchgesetzt, die von einem | |
Anti-SPD-Bündnis aus CDU, FDP, Grünen, Linken und der Wählerinitiative | |
„Bürger für Lübeck“ unterstützt worden war. Fünf Tage später, am 6. M… | |
sollen die BürgerInnen bei der Kommunalwahl (siehe Kasten) entscheiden, ob | |
der neue Verwaltungschef sich auf eine stabile Mehrheit in der Bürgerschaft | |
stützen kann. | |
Danach aber sieht es nicht aus. Der 34-jährige Lindenau, bislang | |
SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft, übt sich auch bereits in | |
Bescheidenheit: „Ich unterbreite Vorschläge und bin zuversichtlich, dafür | |
breite und stabile Mehrheiten zu bekommen“, so seine vorsichtige | |
Formulierung im Gespräch mit der taz. | |
Im Extremfall könnten demnächst zwölf Fraktionen im Plenarsaal des | |
Rathauses Platz nehmen, sieben sind es derzeit. Die Abschaffung der | |
Fünf-Prozent-Hürde auf kommunaler Ebene sei ein Fehler gewesen, resümierte | |
kürzlich Lindenaus Vorgänger Bernd Saxe (SPD), der am 30. April nach 18 | |
Dienstjahren in den Ruhestand tritt. Auch Lindenau sieht das so: „Das sorgt | |
nicht immer für mehr Demokratie, sondern birgt auch Risiken.“ Denn durch | |
längere und kompliziertere Prozesse werde Demokratie in den Augen vieler | |
BürgerInnen „geschwächt“. | |
Keine Bündnisoption ausschließen will deshalb die grüne | |
Fraktionsvorsitzende Michelle Akyurt, „außer mit der AfD natürlich“, falls | |
die den Einzug in die Bürgerschaft schaffen sollte. Auch eine „sachlich | |
fundierte“ Zusammenarbeit mit der SPD und selbst mit der linksgrünen | |
Abspaltung GAL kann sie sich vorstellen. Wobei eines klar ist für die | |
42-jährige Rechtsanwältin: „Wir Grüne sind das Original.“ | |
Das sieht Katja Mentz anders: „Wir sind alles, was die Grünen eben nicht | |
mehr sind“, sagt die Geschäftsführerin der GAL-Fraktion in der | |
Bürgerschaft: „Wir sind ökologisch, links und sozial.“ Und über | |
Bündnisfragen könne man frühestens nach der Kommunalwahl nachdenken, so die | |
52-Jährige. | |
Die Fraktion Grün+Alternativ+Links (GAL) gründete sich vor zwei Jahren. | |
Vier Abgeordnete, darunter Mentz, traten bei den Grünen aus, die seitdem | |
nur noch vier Mandate im Rathaus haben. Von den Linken kam Antje Jansen | |
hinzu, die Ende der 1990er-Jahre noch Landesvorsitzende der Grünen gewesen | |
war, über die PDS zur Linken kam und jetzt mit den vier Ex-Grünen die GAL | |
bildet – eine Gruppierung, die bislang nur in der Bürgerschaft tätig war | |
und am 6. Mai erstmals und mit ungewissem Ausgang testet, ob sie im | |
Wahlvolk überhaupt eine Basis hat. | |
Eine gemeinsame politische Basis indes können Rote, Grüne und noch Grünere | |
sich zwar vorstellen, doch kann es sein, dass sie darunter nicht dasselbe | |
verstehen. „Pragmatische, unideologische Politik für Lübeck“ würden | |
Lindenau, Mentz und Akyurt gern machen, nur wissen sie nicht so recht, ob | |
sie das auch zusammen hinbekommen können. | |
Auch Ragnar Lüttke, der von Antje Jansen zurückgelassene letzte Linke im | |
Rathaus, kann dieser Idee viel abgewinnen. „Eigentlich will niemand mehr | |
mit dieser machtarroganten SPD zusammenarbeiten“, sagt er, „aber mit | |
Lindenau als Bürgermeister könnte es vielleicht gehen.“ Ein erstes Angebot | |
der Linken, ein rot-rot-grünes Bündnis zu schmieden, bliebt allerdings | |
bislang unbeantwortet. Erst nach der Wahl, so die Signale, sehe man weiter. | |
„Pragmatismus statt Parteipolitik“ fordert auch Lübecks Industrie- und | |
Handelskammer (IHK) ein, gern unter Einbeziehung der CDU, denn das könne | |
bei den großen anstehenden Themen Hochschulstandort, Life Sciences, | |
Tourismus und Hafenpolitik nicht schaden. | |
Von Lindenau sei man „recht angetan“, sagt der stellvertretende | |
Hauptgeschäftsführer Rüdiger Schacht. Es gebe einen positiven Trend in der | |
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Hansestadt, der müsse | |
weitergeführt werden. „Lübeck ist nicht mehr der Investorenschreck früherer | |
Jahre“, ergänzt IHK-Sprecher Can Özren. Die Kammer sei interessiert „an d… | |
Intensivierung des konstruktiven Dialogs“ mit der neuen Spitze im Rathaus. | |
Die sieht das genauso. Lübeck ist „eine wachsende Stadt“, sagt Lindenau, | |
binnen zehn Jahren ist die Bevölkerung um etwa 10.000 Menschen auf rund | |
220.000 EinwohnerInnen gestiegen. „5.000 Wohnungen müssen wir bis 2025 | |
bauen“, sagt Lindenau, ein Drittel davon öffentlich gefördert. | |
Mehr Menschen brauchen auch mehr Jobs und mehr Plätze in Kitas und Schulen. | |
Dazu müsse der Investitionsstau in Lübeck abgebaut, in Gebäude und Straßen | |
und Nahverkehr investiert werden, und der Abbau der Schulden der | |
hochdefizitären Stadt sei ebenfalls dringlich, so der gelernte | |
Bankkaufmann. | |
Und für das alles brauche es „vor allem Pragmatismus in der Politik“, sagt | |
Lindenau: „Ich glaube nicht, dass Politik in Kommunen so hochpolitisch sein | |
muss wie im Bundestag.“ Das sieht selbst der Linke Ragnar Lüttke so: | |
„Unideologisch“ müsse man die Sache angehen, sagt er. | |
„Stabile Mehrheiten“ wünscht sich auch die grüne Fraktionschefin Akyurt u… | |
fügt hinzu, dass selbstredend gesichert sein müsse, „dass wir Grüne unsere | |
Inhalte transportieren können“. Es könne nicht darum gehen, „die SPD um | |
jeden Preis zu entmachten“, stellt auch Mentz von der GAL klar. „Wenn | |
Lübeck dann eine Groko oder Jamaika bekommt, ist ja nichts gewonnen.“ | |
Und so geht es in der Stadt an der Trave zunächst mal darum, die | |
politischen Gräben wieder zuzuschütten, die durch die Kampfkandidatur um | |
das Bürgermeisteramt zwischen Lindenau und Weiher aufgerissen wurde. Die | |
Zusammenarbeit mit der Senatorin sei ungetrübt, versichert Lindenau, und | |
das werde auch so bleiben, wenn er ihr Vorgesetzter werde. | |
Und wenn das klappt, dann können vielleicht auch wieder Brücken gebaut | |
werden zwischen der SPD und dem Anti-SPD-Bündnis hinter Kathrin Weiher, und | |
auch zwischen den beiden grünen Parteien. Schließlich geht es in der | |
Heimatstadt Willy Brandts, das sagen sie ja alle, bei der Kommunalwahl | |
nicht um ideologische Grabenkämpfe, sondern um pragmatische Politik für die | |
EinwohnerInnen. Wenn schon nicht vor den Toren Lübecks, dann wenigstens | |
dahinter. | |
30 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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