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# taz.de -- BürgermeisterInnenwahl in Lübeck: Ein Leben nach Saxe
> Lübeck wählt am Sonntag einen neuen Bürgermeister. Nach fast 900 Jahren
> könnte es erstmals eine Bürgermeisterin werden. Und das auch noch ohne
> SPD-Parteibuch
Bild: Nicht ausgeschlossen, dass am Wochenende 30 Jahre SPD-Vorherrschaft in L�…
LÜBECK taz | Kathrin Weiher könnte es werden. Das Amt des Bürgermeisters in
der ruhmreichen Geschichte Lübecks kann erstmals von einer Frau besetzt
werden: Die 55-jährige parteilose Schul- und Kultursenatorin soll die drei
Jahrzehnte währende Regierungszeit männlicher Sozialdemokraten beenden und
Nachfolgerin von SPD-Bürgermeister Bernd Saxe (64) werden, der nach 18
Jahren auf dem Chefsessel im Rathaus nicht erneut antritt. Seine Amtszeit
endet am 31. März 2018.
Weihers Chancen bei der Wahl am kommenden Sonntag stehen gut, denn sie ist
die Kandidatin eines ungewöhnlich bunten und breiten Bündnisses. Alle
Fraktionen in der Lübecker Bürgerschaft, die nicht SPD heißen, wollen
Weiher: CDU, Grüne, Bürger für Lübeck (BFL), FDP und Linke. „Ich habe nic…
lange gezögert, denn ich fand die Idee einer überparteilich unterstützten
Kandidatur äußerst reizvoll“, sagt sie. Die Unterstützung durch fünf
Parteien eröffne die Chance, in der Bürgerschaft ihre Ideen für die
zweitgrößte Stadt Schleswig-Holsteins tatsächlich umzusetzen: „Ich will
eine Bürgermeisterin sein, die das Lübecker Klein-Klein hinter sich lässt
und wieder für mehr Gemeinsamkeit in der Stadt sorgt.“
Gegen fünf, natürlich männliche, Bewerber müsste Weiher sich durchsetzen.
Als chancenreichster gilt SPD-Fraktionschef Jan Lindenau. Der 38-jährige
Bankkaufmann setzt auf den Generationswechsel im Rathaus. Er höre von
vielen Bürgern, „dass sie es gut fänden, wenn endlich ein junger Mann mit
frischen Ideen käme“, sagt Lindenau, der seit mehr als 15 Jahren in der
Kommunalpolitik aktiv ist. Ein Plakat zeigt ihn auf dem Kopf stehend mit
dem Slogan: „Manchmal muss man die Perspektive wechseln, um wirklich etwas
zu erreichen.“
Die vier weiteren Kandidaten sind Thomas Misch (Freie Wähler) und die
unabhängigen Kandidaten Ali Alam, Joachim Heising und Detlev Stolzenberg.
Zwar werden ihnen kaum ernsthafte Chancen eingeräumt, jedoch könnten sie
eine Stichwahl zwischen den beiden KandidatInnen mit den meisten Stimmen im
ersten Wahlgang erzwingen. Wenn niemand am 5. November die absolute
Mehrheit erringt, kommt es zwei Wochen später zur Entscheidung –
wahrscheinlich zwischen Weiher und Lindenau.
Weihers Chancen bei der Wahl am kommenden Sonntag, bei der 175.000
LübeckerInnen wahlberechtigt sind, stehen auch deshalb gut, weil in der
Stadt eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit Saxe und der SPD herrscht. Die
Geburtsstadt von Willy Brandt ist konkursreif, die Posse um den vier Mal
für lau an windige Investoren verkauften Flughafen, auf dem sich dennoch
nichts bewegt, sorgte bundesweit für Spott (siehe Kasten).
Visionen für die Schöne an der Trave, deren Altstadt bereits 1987 von der
Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sind Mangelware. Der größte Hafen
Schleswig-Holsteins dümpelt in der Flaute, die Arbeitslosigkeit ist eine
der höchsten im Lande, das weltberühmte Holstentor steht noch immer auf
einer Verkehrsinsel in einer vielbefahrenen sechsspurigen Straße.
Saxes Kritiker werfen ihm mangelnden Sparwillen und Ideenlosigkeit vor.
„Schuldenkönig von Lübeck“ nennt ihn Marcel Niewöhner von den BFL. Er ha…
sich hinter Sachzwängen „verschanzt“, sagt Michelle Akyurt,
Fraktionsvorsitzende der Grünen, die mehrfach mit Saxes SPD koaliert hatte:
„In seiner Kommunikation war immer sehr viel Einbahnstraße.“ Jetzt richtet
sich an Weiher die Erwartung, „das leckgeschlagene Schiff wieder
flottzumachen“.
2014 hatte sich die Diakoniewissenschaftlerin, die bei mehreren
Sozialverbänden als Geschäftsführerin gearbeitet hat, als Senatorin gegen
Lindenau durchgesetzt – mit 24 zu 23 Stimmen, unterstützt von demselben
Anti-SPD-Bündnis, das sie nun zur Stadtchefin machen will. Dieser Probelauf
indes fand in der Bürgerschaft statt, BürgermeisterInnen aber werden direkt
vom Volk gewählt. Repräsentative Umfragen gibt es zwar nicht, politischen
Beobachtern allerdings gilt Weiher als Favoritin. Von großer Bedeutung wird
sein, ob sie ihre Anhängerschaft mobilisieren kann: Bei der Wahl 2011 lag
die Beteiligung lediglich bei 38,9 Prozent.
Weiher präsentiert sich deshalb in der traditionellen SPD-Hochburg hinterm
Holstentor als Kämpferin gegen SPD-Filz und als überparteiliche
Bürgermeisterin für alle. Und nicht zuletzt als Frau. Das kann nach 228
männlichen Vorgängern nicht schaden.
31 Oct 2017
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Lübeck
Bürgermeisterwahl
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Lübeck
Gender
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