# taz.de -- Ein Mann für Lübeck: Das Gesetz der Abodriten | |
> Jan Lindenau (SPD) wird neuer Bürgermeister von Lübeck. Seit dem 9. | |
> Jahrhundert hat an Trave und Schwartau keine Frau geherrscht. | |
Bild: Auf Kathrin Weiher (r.) hatten viele getippt, nun ist es mit Jan Lindenau… | |
LÜBECK taz | Weniger als ein Sechstel der Lübecker Wahlberechtigten hat Jan | |
Lindenau am Sonntag zum neuen Bürgermeister der Hansestadt gekürt. In der | |
Stichwahl gegen die parteilose Kultussenatorin Kathrin Weiher, die von | |
einem extrabreiten Bündnis aus CDU, Grünen, der Vereinigung Bürger für | |
Lübeck, Linkspartei und FDP unterstützt worden war, lag der | |
SPD-Fraktionsvorsitzende am Ende mit 964 Stimmen vorne. In relativen | |
Zahlen: Er hatte 50,9 Prozent der abgegebenen, gültigen Voten erhalten. | |
Seine Amtszeit beginnt am 1. Mai 2018 – im Jahr 875 seit der Neugründung | |
Lübecks durch Adolf von Schauenburg. | |
Unwissentlich hat er sogar selbst für den festlichen Rahmen seiner | |
Inthronisierung gesorgt: „Wir haben seinerzeit den Antrag gestellt, das | |
Jubiläum zu begehen“, sagte Lindenau am Montag der taz. Seine Kandidatur | |
war damals noch nicht in Planung. Und zum Feiern gibt die Stichwahl auch | |
kaum Anlass: In Willy Brandts Geburtsstadt beteiligten sich nur 57.614 der | |
176.506 im Verzeichnis registrierten BürgerInnen darank, das ist nicht | |
einmal ein Drittel. Mehr als zwei Prozent davon hatten ungültig gestimmt. | |
„Das ist ein klares Indiz dafür, dass es eine Grundunzufriedenheit mit den | |
etablierten Parteien gibt“, räumte Lindenau ein. | |
## Aufruf zum Ungültig-Wählen | |
Ausdrücklich dazu aufgerufen, seinen Stimmzettel ungültig zu machen, hatte | |
der im ersten Wahlgang Drittplatzierte, Detlev Stolzenberg. Der parteilose | |
Stadtplaner war im ersten Wahlgang vor drei Wochen aus dem Stand auf über | |
20 Prozent gekommen. Von beiden Seiten umworben, hatte er angekündigt, sich | |
weder von Lindenau noch von Weiher vereinnahmen zu lassen. Mit keinem von | |
beiden sei der Neuanfang möglich, den er sich für Lübeck erhoffe. | |
„Ich selbst werde mich mit einem,Nein Danke' der Stimme enthalten“, hatte | |
er stattdessen empfohlen. „Möglicherweise tun dies viele Hundert | |
Wählerinnen und Wähler und geben dadurch der neuen Verwaltungsspitze ein | |
Zeichen“, so seine Hoffnung. Anders als Nichtbeteiligung sei | |
Ungültig-Wählen „legitim und demokratisch“, so Stolzenberg. | |
Diesbezüglich hat Lindenau so seine Zweifel. „Demokratie lebt auch von | |
Entscheidungen“, sagte der designierte Bürgermeister der taz, „gerade auch | |
in einer schwierigen Lage.“ Alles andere führe zu Stillstand, „und ich | |
hatte die WählerInnen von Herrn Stolzenberg als Menschen wahrgenommen, | |
denen es um Veränderung geht“. Tatsächlich befindet sich nicht nur die | |
Demokratie der einst so stolzen Stadt nach 17 Jahren unter Bernd Saxe (SPD) | |
in der Krise. | |
## „Ideenlos und autoritär“ | |
Dem Amtsinhaber werden Ideenlosigkeit und ein autoritärer | |
Kommunikationsstil vorgeworfen. Der kommunale Haushalt steht mit 1,5 | |
Milliarden Euro in der Kreide, der Verkehr in der Stadt ist durch schlecht | |
koordinierte Bauleitplanung seit einem guten Jahr zum Erliegen gekommen: | |
Sowohl Weiher als auch Lindenau hatten sich im Wahlkampf bemüht, ihre | |
Distanz zu Saxe deutlich zu machen. | |
Das artikulierte Misstrauen gegenüber der Kommunalpolitik sei „ein Diskurs, | |
den wir führen müssen“, sagte Lindenau nun mit Blick aufs Wahlergebnis. Er | |
werte die Stimmenthaltungen als Ansporn, zu beweisen, dass man Dinge auch | |
dann anders angehen könne, wenn man aus einer etablierten Partei stammt. | |
Dafür ist er doppelt qualifiziert: Der Bankkaufmann ist seit 2000 Mitglied | |
der etabliertesten aller deutschen Parteien, und ebenso lange | |
kommunalpolitisch aktiv, obwohl er erst 38 Jahre alt ist. | |
Bedröppelt gratulierte die als Favoritin ins Rennen gegangene Weiher noch | |
in der Wahlnacht dem Gewinner. „Ich hatte gehofft, die Wahl zu gewinnen“, | |
sagte sie. Als Kultursenatorin will sie mindestens bis zum Ende ihrer | |
Amtszeit 2020 weiter machen. Ihre Wahl hätte eine echte Zäsur in Lübecks | |
Geschichte bedeutet: Von einer weiblichen Regentschaft dort ist nichts | |
überliefert, seit um das Jahr 819 der slawische Stamm der Abodriten die | |
Burg Liubice an der Schwartaumündung errichteten. | |
Glaubt man Lindenau, ist indes kein frauenfeindlicher Passus in deren | |
ungeschriebenem Gesetz verantwortlich für seinen Sieg, sondern ein „streng | |
sachbezogener Wahlkampf“. Dort hatte sich Weiher als Kandidatin | |
präsentiert, die „das Lübecker Klein-Klein hinter sich“ lassen will. | |
Lindenau setzte das Image des Kümmerers dagegen: „Wir erleben, dass diese | |
Stadt in vielen Bereichen im Kleinen nicht funktioniert“, sagt er. „Bevor | |
ich das große Ganze in Angriff nehme, muss ich die Dinge, die im Alltag | |
nicht klappen, erledigen.“ | |
20 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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