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# taz.de -- Kolumne Minority Report: Wenn die Nazis weggentrifiziert sind
> In Oberschöneweide sollen die Nazis durch hohe Mieten verdrängt worden
> sein. Bei einer Wohnungsbesichtigung wird klar: das stimmt nicht.
Bild: Einen Pitbull zu besitzen gehört in Oberschöneweide wohl zum guten Ton
Kürzlich war ich auf einer Wohnungsbesichtigung im Osten Berlins. Ich meine
nicht den hippen Osten, mit den stylischen DDR-Bauten und dem guten
Cappuccino. Ich meine den Osten mit den sechssilbigen Stadtteilnamen und
den seltsam weitläufigen Rewe-Parkplätzen. Der Osten, der früher
Nazihochburg war, wo aber inzwischen alle Nazis weggentrifiziert worden
sind. Angeblich.
Warum ich da hinziehen will? Will ich nicht. Aber der Wohnungsmarkt sitzt
mir im Nacken wie ein verdammter Pitbull: Entweder ich bleibe in meiner
jetzt schon viel zu kleinen Single-Wohnung. Oder ich schaue gleich nach
einer größeren bezahlbaren Wohnung, bevor die Mieten Londoner Niveau
erreichen.
Apropos Pitbull: Ganz schön beliebt, diese Kampfhunde in Oberschöneweide.
Drei von denen sehe ich allein auf dem Weg von der Tram zu besagter
Wohnung. Die komische Stimmung fällt mir allerdings schon auf, bevor ich
die Tram verlasse. Kennen Sie diese Szene aus High-School-Filmen, wenn die
Zugezogene in den Schulbus steigt und alle Kids auf den äußeren Sitz
rücken, damit die Neue sich bloß nicht neben sie setzt? Die Neue bin ich.
Die Kids sind die Nazis.
Woran ich sie erkenne? Der Vibe, die Haltung, der Blick. Das spürt man
einfach. Vor allem als einzige Kanake weit und breit. Ich reiße mich
zusammen. Denn wissen Sie, von weißen Freunden bekomme ich oft zu hören,
ich würde übertreiben, etwa wenn ich nicht nach Chemnitz will. Die so: „Sei
nicht so paranoid! Chemnitz ist soo schön und sicher!“ Also denke ich
diesmal: Nein, nein, das hier sind bestimmt keine Nazis. Die wurden
weggentrifiziert, steht doch in diesem einen Blog.
Vor der Tür wartet bereits ein lächelnder Makler auf mich. Er hat schöne
Augenbrauen. Ich höre genau hin, als er sich vorstellt, aber er sagt
Karsten Irgendwas. Ich nicke und hoffe, dass die Bude eine Badewanne hat.
Doch während wir hochgehen, bleibt Herr Irgendwas wieder lächelnd stehen.
Er zeigt aus dem Fenster im Treppenhaus, ein Gemeinschaftsgarten. Da sitzen
vier Nazis und grillen. „Wir können gleich auch noch mal rausgehen“, sagt
er. „Ach nein, ist gar nicht nötig“, beteuere ich, „aus dem Fenster sieht
man den schon, echt schön!“
Die Wohnung ist gut, glaube ich, sauber, hell, groß, mit Badewanne, aber
ich kriege nicht mehr viel mit. Alles, was zählt, ist, dass ich hier
rauskomme, bevor es dunkel wird. „Vom Balkon sieht man den
Sonnenuntergang!“, wirbt der Makler. Ich habe genug gesehen und stehe an
der Tür. „Wenn Sie schon mal da sind, muss ich Ihnen den Keller zeigen!“
Der Keller ist größer als die Wohnung. Ich winke und renne raus zur Tram,
im Zickzack ([1][wegen den Chicos]). Ist ja toll, dass es seit Jahren
heißt, die Nazis seien weggentrifiziert worden. Aber ganz ehrlich,
Oberschöneweide: Du steckst noch mitten im Prozess. Ruf mich an, wenn du
fertig bist. Ich komme dann nach. Oder auch nicht.
30 Apr 2018
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[1] /Kommentar-gefaehrlicher-Hund/!5494644
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Minority Report
Berlin
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Nazis
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