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# taz.de -- Walpurgisnacht-Demo in Berlin: Wild Wedding
> Gegen den Kapitalismus, mit Familienblock: Die Demo am Montagnachmittag
> im Wedding zeigt auch, wie ein Kiez zusammenfindet.
Bild: Anwohner und Aktivisten: Demo durch den Wedding vergangenes Jahr
Geduckt, in hellen Klinkern wacht die Alte Nazarethkirche über den vorderen
Teil des Leopoldplatzes. Die Traufhöhe der Bebauung und der dicht fließende
Verkehr sagen klar: „Berlin. Mittendrin“.
Eine Handvoll Marktstände, polierte Bodenplatten und wuchtige Bänke jedoch
versprühen den Charme einer kleinstädtischen Fußgängerzone. Ein paar
Schritte weiter steht ein Grüppchen Menschen in lebhaftem Gespräch, Bier in
der Hand: die Trinker vom Leopoldplatz. Sie und die Junkies hier sind seit
Jahren ein Politikum – und die Begründung dafür, dass der Platz als einer
von fünf kriminalitätsbelasteten Orten gilt, an denen derzeit die
Erprobungsphase für den Einsatz mobiler Kamerasysteme der Polizei läuft.
Ein weißer Kasten mit langem Teleskoparm, an dessen Ende die bewegliche
Kamera angebracht ist, steht nun gelegentlich unübersehbar an der
Müllerstraße.
Diese demonstrative Überwachung schmeckt den Initiativen des Bündnisses für
die Organize-Demo (Montag, 16 Uhr, Startpunkt U-Bahnhof Seestraße)
überhaupt nicht. Sie sehen darin einen Missbrauch sicherheitspolitischer
Instrumente für den neoliberalen Stadtumbau. Es gehe vor allem darum,
Menschen zu vertreiben, die das glatte Bild einer auf Konsum, Verwertung
und Anpassung getrimmten Stadt stören könnten. Die Mittel für diesen
Prozess sind Diskriminierung und Kriminalisierung, sagen Emma Bachmann und
Martin Steinburg, die beiden SprecherInnen des Organize-Bündnisses.
War die Demonstration ursprünglich betont stadtpolitisch orientiert, hat
sie dank immer neuen BündnispartnerInnen ihren Fokus deutlich erweitert. In
ihrem inzwischen sechsten Jahr haben die Initiativen unzählige
Anknüpfungspunkte im Kiez, aber auch zu sehr viel weiter gefassten sozialen
Widersprüchen und politischen Kämpfen gefunden. „Wir wollen die
alltäglichen Kämpfe abbilden und dabei den Bezug zum großen Ganzen
herstellen“, erklärt Emma Bachmann.
Nicht zufällig verstehen die OrganisatorInnen die Demonstration explizit
als antikapitalistisch. Martin Steinburg ist überzeugt, dass die
Erkenntnis, dass der Markt nicht alles regele, kein Exklusivwissen kleiner
abgehobener Politgruppen sein muss. „Wir rennen damit inzwischen viele
offene Türen ein.“
## Friedlich, aber radikal
Die Radikalität von politischer Analyse und Forderungen drückt sich in mehr
aus als einschlägigen Posen. Gewiss, auch schwarze Kapuzenpullis und dunkle
Sonnenbrillen werden am Montag in hinreichender Zahl zu sehen sein. Die
Demo zielt aber nicht auf physische Konfrontation. Im Gegenteil: Einladend
und familienfreundlich will das Bündnis sein. Allein schon der bunte „Kids
Block“, der im vergangenen Jahr mit Familien und Kinderwagen den Abschluss
des Zuges bildete, unterstreicht die Ernsthaftigkeit des Konzepts.
Und so beobachten die OrganisatorInnen über die Jahre einen wachsenden
Zuspruch in ihren Kiezen. Nicht zuletzt der inzwischen etablierte „offene
Tresen“ an jedem ersten Donnerstag im Monat im Café Cralle ist wesentlicher
Bestandteil kontinuierlicher Stadtteilarbeit geworden, weit hinaus über den
einen Termin zur Walpurgisnacht. „Uns war irgendwann klar, dass so eine
Bündnisstruktur das ganze Jahr ansprechbar sein muss“, sagt Bachmann. „Wir
haben eben viel gelernt mit der Zeit – und uns selber und viele andere
dabei kennengelernt.“ Steinburg ergänzt: „Die Leute sollen in ihrem Kiez
konkret handlungsfähig werden – und zwar miteinander.“
Anlass, miteinander handlungsfähig zu sein, gibt es aus Sicht der
Initiativen mehr als genug. Der Weg der Demonstration führt an mehreren
Schwerpunkten stadt- und gesellschaftspolitischer Konflikte vorbei: Neben
dem Leopoldplatz sind das ganz selbsterklärend das Jobcenter sowie das von
massiver Verdrängung bedrohte Sanierungsgebiet rund um die Müllerstraße und
die genauso unter Gentrifizierungsdruck stehenden Quartiere am
Gesundbrunnen.
## Beinharte Aufwertung
Dort versucht nicht nur der Immobilienbesitzer Deutsche Wohnen seinem
bekannten Geschäftsmodell maximalen Profitstrebens auf Kosten der
MieterInnen nachzugehen. Auch die städtischen Wohnungsgesellschaften reizen
ihre Möglichkeiten zu Mietsteigerungen voll aus, sagt Martin Steinburg: „In
dem Kiez treffen ganz prekäre Verhältnisse auf beinhartes
Aufwertungsinteresse.“
Von der zurzeit großen Aufmerksamkeit für mietenpolitische Fragen erhofft
sich das Bündnis für die Demonstration einen zusätzlichen
Mobilisierungsschub. Im vergangenen Jahr waren mehr als 3.000 Menschen im
Wedding auf der Straße; am Montag könnten es noch einmal mehr werden.
30 Apr 2018
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Berlin-Wedding
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