# taz.de -- Währungsverfall in der Türkei: Lira verliert an Wert | |
> Die türkische Wirtschaft strauchelt. Ungeachtet dessen verkündete das | |
> türkische Statistikinstitut kürzlich ein Wachstum um stolze 7,3 Prozent. | |
Bild: Der Währungsverfall ist nicht zuletzt das Resultat einer hohen Inflation… | |
Istanbul taz | Erstmals hat die türkische Währung gestern die historische | |
Marke von 5 Lira, die für einen Euro gezahlt werden muss überschritten. | |
Dasselbe gilt für den Dollar, der seit gestern knapp über 4 Lira kostet. | |
Wie rasant der Verfall der türkischen Lira ist, kann man mit einem kurzen | |
Rückblick ermessen. Noch 2013 kostete ein Dollar nur 1,75 Lira, knapp fünf | |
Jahre später sind es mehr als das Doppelte. | |
Was für Touristen aus Hartwährungsländern wie dem Euro-Raum eine feine | |
Sache ist – noch nie war ein Türkei-Urlaub für Deutsche so billig wie heute | |
– und auch den türkischen Exporten hilft, ist jedoch für den türkischen | |
Staatshaushalt und die meisten großen Unternehmen ein Riesenproblem. | |
Durch den Währungsverfall verteuern sich die Energiekosten enorm, weil die | |
Türkei Öl und Gas komplett, überwiegend aus Russland, importieren muss und | |
beides in Dollar abgerechnet wird. Vergeblich hatte der türkische Präsident | |
Erdoğan bei Putin für die Idee geworben, künftig den Handel zwischen beiden | |
Ländern in der jeweiligen Landeswährung abzuwickeln. | |
Der Währungsverfall ist nicht zuletzt das Resultat einer hohen Inflation – | |
zur Zeit 13 Prozent – die weiter wächst, weil die angeblich unabhängige | |
Zentralbank auf Anweisung des Präsidenten die Zinsen nicht erhöhen darf. | |
Erdoğan will bis zu den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2019 Wachstum um | |
jeden Preis und deshalb Kredite weiterhin möglichst billig halten. | |
## Höchste Wachstumsrate aller Industrieländer | |
Erst vor wenigen Wochen verkündete das türkische Statistikinstitut die | |
Wirtschaft sei im letzten Jahr um stolze 7,3 Prozent gewachsen. Das ist die | |
weltweit höchste Wachstumsrate aller Industrie – und Schwellenländer und | |
übertrifft sogar China. Doch die sogenannten „internationalen Märkte“ | |
reagieren mit großer Skepsis auf diese Wachstumszahlen. | |
Schon im Herbst letzten Jahres, als der türkische Premier Binali Yıldırım | |
ein solches Wachstum bereits prognostiziert hatte, veröffentlichte Lutz | |
Karpowitz, Analyst der Commerzbank, eine Einschätzung, die weltweit Furore | |
machte und in der er behauptete, die Zahlen seien aus politischen Gründen | |
frisiert. | |
Karpowitz und andere Analysten, unter anderen Experten des | |
Finanzdienstleisters Bloomberg, sagen, angesichts der zunehmenden Isolation | |
der Türkei vom Westen kommt nicht mehr genug ausländisches Kapital ins Land | |
um das große Haushaltsdefizit der Türkei, dass vor allem durch die | |
Energieimporte entsteht, weiterhin zu decken. Dadurch, schreibt Bloomberg, | |
gerät die Auslandsschuldenlast der Türkei außer Kontrolle. | |
## Privatkonzerne haben große Probleme | |
Doch nicht nur der Staatshaushalt gerät ins Rutschen. Aktuell die größten | |
Probleme haben große Privatkonzerne, die im Ausland mit Milliarden Dollar | |
verschuldet sind und zu Hause „nur“ Lira verdienen. Ihre Schuldenlast hat | |
sich in den letzten fünf Jahren quasi verdoppelt. Der größte türkische | |
Lebensmittelkonzern Ülker, deren Besitzer lange Jahre eng mit Erdoğan | |
liiert waren, hat erst kürzlich Alarm geschlagen. | |
Er konnte seine Schulden nicht mehr bedienen und forderte deshalb von | |
türkischen Banken als „patriotische Pflicht“ Hilfe zur „Restrukturierung… | |
seiner Schulden. Auf Druck Erdoğans wurde ihm dies gewährt. Jetzt hat sich | |
die Dogus – Holding gemeldet, ein Konzern, der von Medien bis baulichen | |
Großprojekten alles Mögliche betreibt und dessen Besitzer Ferid Sahenk | |
ebenfalls zu den Freunden Erdogans zählt. Er kann seine 6 Milliarden | |
Dollarschulden ebenfalls nicht mehr bedienen und ihm soll nun auch der | |
türkische Steuerzahler helfen. | |
Doch der türkische Steuerzahler merkt schon lange nichts mehr vom angeblich | |
rasanten Wachstum der türkischen Wirtschaft. Den meisten wachsen ihre | |
Kreditkartenschulden über den Kopf und so wie sie ihre Schulden nicht | |
bezahlen, werden viele auch für ihre Leistungen nur mit großer Verzögerung | |
bezahlt. | |
Thomas Mühlbauer, Besitzer der Deutschen Buchhandlung in Istanbul erzählt | |
beispielsweise, dass er Monate auf sein Geld warten muss, wenn er | |
Schulbücher an andere Buchläden oder Institutionen verkauft. „Wenn das Geld | |
dann kommt, ist es außerdem auch noch erheblich weniger Wert“. Pessimisten | |
in der Finanzbranche gehen schon davon aus, dass die Türkei zum | |
Ausgangspunkt einer neuen internationalen Schuldenkrise werden könnte. | |
11 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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