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# taz.de -- Zweites Outing von Conchita Wurst: So beendet man Aids
> Thomas Neuwirth outet sich – als schwul und HIV positiv. Er ist ein
> Vorbild, um die Debatte über Homosexualität und Aids zu normalisieren.
Bild: Rausgehen, Mund aufmachen, die Welt über Aids aufklären: So hat es Conc…
„Rise like a Phoenix“, so hieß der Hit, mit dem Conchita Wurst 2014 den
Eurovision Song Contest gewann. Wie ein Phoenix aus der Asche: Eine
Kernkompetenz der Homosexuellen war und ist, sich trotz widriger Umstände
selbst zu ermächtigen und ein Leben zu führen, das – quasi als größte Rac…
an den Missgünstigen und als Triumph über die mehr oder weniger
feindseligen Verhältnisse – gelingt.
Das mag nun manchem Beobachter „cheesy“ vorkommen, kitschig, emotional
überspannt: Aber noch immer ist es kein Zuckerschlecken, als queerer Mensch
aufzuwachsen, schon gar nicht auf dem Land, so wie Thomas Neuwirth in
Österreich; und erst recht nicht in nichtwestlichen Ländern.
Mit seiner Kunstfigur „Conchita Wurst“, der Dragqueen mit dem Bart, hat
Thomas Neuwirth vielen jungen Menschen mit einer abweichenden sexuellen
Orientierung auf der ganzen Welt Mut gemacht, zu sich selbst zu stehen. Und
jene Gefühle von Schuld und Scham zu überwinden, die ihnen, sei es aus
Gründen der Tradition oder der Religion, von ihrer Familie (zuvorderst) und
der Gesellschaft eingepflanzt worden sind.
Nun ist der 29-Jährige noch einen Schritt weiter gegangen und hat der
[1][Öffentlichkeit via Instagram mitgeteilt], dass er bereits seit vielen
Jahren HIV-positiv ist, auch dies eine Angelegenheit, die mit Schuld und
Scham behaftet ist, mit einem Stigma der Sonderklasse: Trotz aller
Aufklärungsbemühungen, etwa der Aids-Hilfen, gilt eine Infektion mit dem
HI-Virus als schuldhaft erworbene Erkrankung. Wird schon im Fall von
Lungenkrebs sorgfältig-moralisch zwischen „Nichtraucherkarzinom“ und
„Raucherkrebs“ unterschieden, so ist eine HIV-Infektion zumeist auch noch
sexuell konnotiert und wird mit Grenzüberschreitungen (angst-)lustvoll in
Verbindung gebracht: Homosexualität, Analverkehr, ungeschützter Verkehr,
Promiskuität, Prostitution, Drogen – die Liste ließe sich fortführen.
## Eine soziale Katastrophe
So gut wie nie hingegen wird eine HIV-Infektion nur als das betrachtet, was
sie ist, nämlich eine mittlerweile sehr gut behandelbare Infektion mit
einem Virus, die keineswegs mehr zu einem zwangsläufigen und qualvollen Tod
führt. Und obwohl dieses Wissen nunmehr einigermaßen durchgedrungen ist –
aus der „Schwulenseuche“ und apokalyptischen Pest der 80er Jahre wurde eine
chronische Erkrankung, die nun gerne mit Diabetes verglichen wird –, ist
die Erkrankung noch immer eine soziale Katastrophe. Es handelt sich eben
doch nicht um Diabetes. Oder hat man schon mal davon gehört, dass jemand
damit erpresst wurde, dass man seine „Zuckerkrankheit“ öffentlich machen
werde?
Thomas Neuwirth ist genau dies widerfahren. Ein ehemaliger Freund drohte,
Neuwirths HIV-Infektion, die seinem Nahumfeld lange bekannt war, öffentlich
zu machen. Eine Drohung, die darauf abzielte, die öffentliche Person Thomas
Neuwirth zu diskreditieren, mindestens aber, den Sänger mit der Angst vor
einer solchen Diskreditierung unter fürchterlichen Druck zu setzen. In der
Tat ist die Angst vor Stigmatisierung so groß, dass die meisten
Betroffenen, in Deutschland sind es nach Angabe des Robert-Koch-Instituts
über 80.000, es vorziehen, nicht über ihre Infektion zu sprechen. Sie haben
Angst vor moralischer Verurteilung, aber auch konkrete Befürchtungen
hinsichtlich ihrer beruflichen Laufbahn. Und vor Kriminalisierung: Die
absichtliche oder fahrlässige Weitergabe von HIV wird nach deutschem Recht
als Körperverletzung eingestuft – und ob eine Viruslast unter der
Nachweisgrenze ein ausreichender Schutz für den Partner ist, wird von
deutschen Gerichten noch immer sehr unterschiedlich beantwortet.
## Nicht mehr ansteckend
„Unter der Nachweisgrenze“ ist längst auch Thomas Neuwirth, so hat er es in
seinem Instagram-Post verkündet. Er ist seit Jahren in Behandlung; das in
seinem Körper errichtete „chemische Regime“ sorgt dafür, dass sich das
HI-Virus nicht mehr fortpflanzen kann, es muss daher untätig in sogenannten
„Reservoirs“ verbleiben (etwa im Rückenmark) und kann so keinen Schaden
mehr anrichten. Das bedeutet, dass ein unter Behandlung stehender Positiver
niemanden mehr anstecken kann – weshalb die eigentlich nur zur Behandlung
gedachten Medikamente nun längst auch zu Zwecken der Prophylaxe eingesetzt
werden.
PrEP, die Präexpositionsprophylaxe, wird in den USA schon lange eingesetzt
und hat in Großbritannien eine beeindruckende Senkung der
Neuinfektionsraten unter schwulen Männern bewirkt. Mehrere Studien haben
bewiesen, dass eine Übertragung des Virus unter ordentlicher Behandlung so
gut wie unmöglich ist – auch in Deutschland ist PrEP nun endlich zugelassen
und kann aufgrund von Generika-Preissenkungen für circa 50 Euro im Monat
erworben werden.
Im Alltag junger schwuler Männer wandelt sich nun der Umgang mit HIV, auf
Dating-Apps wird der Serostatus vergleichsweise offenherzig angegeben
(positive, on PrEP; negative, indetectable, also „unter der
Nachweisgrenze“) – was die Dating-App Grindr dazu ermutigt hatte,
HIV-spezifische Daten an externe Unternehmen weiterzugeben, wenn auch nicht
zu kommerziellen Zwecken. Der Aufschrei in der Community war groß,
womöglich lag es auch an einem gewissen Schrecken: Ist es wirklich eine
gute Idee, seine diesbezüglichen Daten in eine Welt hinauszuposaunen, die
gerade wieder feindseliger wird gegenüber Minderheiten?
Auch Conchita Wurst, die strahlende Siegerin des ESC, wurde ja bereits ob
ihrer bloßen Existenz massiv angefeindet. Sicher waren da auch all die
Menschen, die ihr zum Sieg verholfen haben. Zugleich aber galt sie nun als
Symbolfigur von „Gayeurope“, einer Chiffre für all das, was die neue rechte
Internationale verabscheut, nämlich den Geist von Liberalität, Diversität
und individueller Freiheit.
## Die Krankheit der „anderen“
Nicht nur in dieser Logik ist Aids immer die Krankheit der „anderen“
gewesen, also der Homosexuellen, der Prostituierten, der Drogenabhängigen,
„der Afrikaner“. Doch während in Deutschland die Rate der Neuinfektionen
konstant bei ungefähr 3.000 im Jahr liegt, sinkt die Zahl der Schwulen und
steigt die Zahl der Heterosexuellen, die sich infizieren. Gerade sie werden
nun immer häufiger mit dem sogenannten „Vollbild“ ins Krankenhaus
eingeliefert, weil weder sie noch ihre behandelnden Ärzte auch nur auf die
Idee gekommen wären, dass ausgerechnet sie sich mit dieser Krankheit „der
anderen“ angesteckt haben könnten.
Nun sind gerade die Menschen, die nichts von ihrer Infektion wissen, das
Problem: Weil sie nicht unter Behandlung stehen, ist ihre Viruslast
besonders hoch und somit auch das Risiko, das Virus auf jemand anderen zu
übertragen (benutzen Heteros eigentlich noch Kondome?).
Thomas Neuwirth ist in dieser Hinsicht keine Gefahr. Eher ist seine
Öffentlichmachung des eigenen Serostatus in vielfacher Hinsicht eine
Chance: Noch einmal kann er Menschen Mut machen, sei es, seinem Beispiel zu
folgen und ein öffentliches „Coming-out“ als Positiver zu wagen, oder sei
es, mit dem eigenen Schicksal weniger zu hadern. Zeigt doch Neuwirths
Karriere einmal mehr, dass ein Leben sowohl als Homosexueller als auch als
Positiver sehr wohl gelingen kann.
Darüber hinaus hat Thomas Neuwirth als eine solch herausragende Person des
öffentlichen Lebens womöglich die Chance, mit seinem Schicksal Gehör zu
finden auch in der Hinsicht, dass mehr Menschen sich testen lassen. Denn
nur auf diese Weise lässt sich verwirklichen, was sich die UNO auf die
Fahnen geschrieben hat, nämlich das „Ende von Aids“ bis zum Jahr 2030. Das
mag nun einigen unrealistisch vorkommen – aber es gibt ja auch Frauen mit
Bart.
22 Apr 2018
## LINKS
[1] /Coming-Out-per-Instagram-Post/!5496131
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Conchita Wurst
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