# taz.de -- Conchita Wurst in der Philharmonie: Berühmtsein ist nicht nur lust… | |
> Sie gewann 2014 den Eurovision Song Contest. Am Dienstag tritt Conchita | |
> Wurst in Berlin auf. Ein Gespräch über persönlichen und künstlerischen | |
> Wandel. | |
Bild: Conchita Wurst ist mit ihrem Programm in Leipzig, Berlin und Hamburg zu G… | |
In einem Hotel am Bahnhof Zoo zieht sie eine Zwischenbilanz nach Jahren der | |
Dauerpräsenz in den internationalen Medien: [1][Conchita Wurst]. Wie es ihr | |
erging nach dem ESC, wie es um das Politische in ihrer Heimat bestellt ist | |
und ob es bald Zeit ist, die Perücken hinter sich zu lassen. | |
taz: Mit wem spreche ich: mit Conchita Wurst oder Tom? | |
Conchita Wurst: Ich glaube, ich war noch nie wirklich Conchita (lacht). Ich | |
habe mir so viele Regeln auferlegt, dem Konzept von Conchita zu | |
entsprechen. Ich bin Kompromisse eingegangen, die ich nicht mehr eingehen | |
würde. | |
Ein Beispiel, bitte? | |
Das erste Album. Die Songs habe ich on the road abgesegnet oder eben nicht. | |
Nicht falsch verstehen: Da sind gute Songs drauf. Einige davon wären sicher | |
ein Hit geworden, hätte ich sie nicht gesungen. Unterm Strich ist es aber | |
eigentlich nicht mein Album. | |
Alles Lüge? | |
Nein. Aber ich dachte damals, ich muss noch perfekter sein als alle | |
anderen. Ich habe eh schon Perücke und Bart und werde schnell mal nicht | |
ernst genommen. Deswegen muss ich noch mehr aus Gaspedal treten. Das macht | |
einen aber nicht glücklich. | |
„[2][Rise Like A Phoenix]“ war doch aber nicht fragwürdig? | |
Nein, ich singe es ja bis heute. Vermutlich bisher eine Million Mal. Es ist | |
nicht so, dass es mich von Anfang an immer catcht. Aber irgendwann hat es | |
mich einfach immer. Es auszuwählen war eine Bauchentscheidung. Aber nach | |
dem Sieg in Kopenhagen habe ich mich ein Stück verloren, weil ich es | |
zugelassen habe. | |
Was hättest du denn gerne anders gemacht? | |
Gar nichts! | |
Klingt paradox. Ein Jahr nach dem Eurovisionsieg hattest du alles ziemlich | |
satt? | |
Ich weiß nicht, ob ich mir das damals schon eingestanden hätte. Ich hatte | |
wegen der vielen Termine keine Zeit, darüber nachzudenken. Rückblickend | |
kann ich nicht sagen, ob mir das Spaß gemacht hat oder nicht, weil ich | |
nichts gefühlt habe. | |
Du hast funktioniert wie ein Rädchen in einer großen Maschine? | |
Genau. Wenn du in Sydney in der Oper stehst und Standing Ovations weder | |
siehst noch hörst, sondern nur darüber nachdenkst, was die nächste | |
Moderation ist, dann ist das nicht so toll. | |
Kannst du den Moment umschreiben, an dem du gesagt hast: So geht es nicht | |
weiter. | |
Als ich mir nach Monaten eingestanden habe, dass es nicht normal ist, wenn | |
man in der Früh aufsteht und grundlos unglücklich ist. Ich hatte eine | |
Phase, in der ich dachte: Was ist los mit mir? Ich saß am Flughafen und | |
habe nur auf meine Hände gestarrt. Wenn das Scheinwerferlicht an war, war | |
ich (schnipst). Da dachte ich, du schaffst das allein nicht, such dir | |
Hilfe. Das habe ich getan, bin in Therapie gegangen und bin froh, dass das | |
so viel bewegt hat in mir. | |
Die entscheidende Erkenntnis war? | |
Dass ich mich immer auch ein bisschen für mich geschämt und mir gedacht | |
habe, ich müsse bescheiden sein. Viele haben dieses Leben nicht, das ich | |
führe. Ich hab als Kind schon gewusst, dass ich auf die Bühne muss. Es ist | |
das Einzige, was ich kann. | |
Du trittst nun unter anderem in Berlin auf. Was unterscheidet diese | |
Performances von solchen, die wir aus der Zeit nach Kopenhagen kennen? | |
Ich habe jetzt eine Band. Ich kannte das nicht, Teamarbeit. Dass man sich | |
auch als Personen kennt, macht unheimlich viel Spaß. | |
Wie war es vorher? Playback? | |
Playback oder Bands und Orchester, die ich vorher nicht kannte, mit denen | |
ich nur für einen Abend gespielt habe. | |
Du wirst bei den Gigs aber schon noch „Rise Like A Phoenix“ singen? | |
Natürlich! Dieses Lied werde ich immer singen! | |
Hast du mal darüber nachgedacht, dass der ESC-Sieg 2014 der Zenit deiner | |
Karriere gewesen sein könnte? Dass es so rasant nicht immer weitergehen | |
wird? | |
Momentan hätte ich kein Problem damit, wenn es in diesem Tempo weitergeht. | |
Es geht mir gut, habe keine Sorgen. Ich bin schon draufgekommen, dass | |
Berühmtsein nicht nur lustig ist. Ich weiß , dass ich immer auf einer Bühne | |
sein und in diesem Genre arbeiten muss, denn es ist das Einzige, was ich | |
kann. Ich habe aber kein Problem damit, wenn es doch nicht die Weltkarriere | |
wird. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das in letzter Instanz gut tut. | |
In Österreich haben wir eine politische Situation, die nicht sehr libertär | |
ist. Stimmt es, dass dir die österreichischen Nationalen übelnehmen, dass | |
du und nicht Andreas Gabalier die Eurovision gewonnen hat? | |
(lacht laut) Ich bin davon überzeugt! Und das erfüllt mich ja mit Freude. | |
Ich finde es amüsant, dass die, die Menschen wie mich nicht mögen, mit mir | |
leben müssen bis in alle Ewigkeit. | |
Hattest du damals von Konservativen und Nationalen Glückwünsche bekommen? | |
Nein. Herr Strache (Spitzenpolitiker der rechtspopulistischen FPÖ, d. Red.) | |
sagte nur: Ich gratuliere dem Künstler Tom Neuwirth zum Sieg. | |
Viele Künstler scheuen ja politische Bekenntnisse. Sie glauben, dass sie | |
damit ihre Kundschaft verprellen. | |
Meine Kundschaft kann ich nicht verprellen, weil ich so eindeutig in eine | |
Richtung gehe. Ich würde nie ultrakonservativ wählen. Das wäre dumm. | |
Ist es denkbar, dass du ganz ohne Perücke auftrittst? | |
Ich weiß es nicht. Es würde mich reizen. Ich genieße es aber immer noch | |
sehr, nicht erkannt zu werden. | |
Und ist ein Album in Planung? | |
Ja. Seit Gezeiten. | |
Wie heißt es? | |
Ich weiß es nicht. Mein Arbeitstitel ist „Me, Myself and I“ (lacht). | |
Könntest du dir eine Performance vorstellen, bei der du auf der Bühne deine | |
Perücke vom Kopf nimmst? | |
Das haben schon so viele getan. Jede Drag-Revue endet mit „I Am What I Am“. | |
Diesen Gag kann man in den heutigen Zeiten, mit all den Handykameras, nur | |
einmal machen. Wenn es eine Demaskierung oder ein Ende gibt, dann ist es | |
die Kaiserin, die in ein Grab fällt. So in etwa. | |
Andererseits wirst du ja noch viele Jahre leben. | |
Absolut. Ich kann mir auch Dinge vorstellen, die nicht auf einer Bühne | |
stattfinden und keine Perücke erfordern. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
1 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://conchitawurst.com | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=QRUIava4WRM&feature=youtu.be | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Conchita Wurst | |
Dragqueen | |
Konzert | |
Conchita Wurst | |
Conchita Wurst | |
Conchita Wurst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zweites Outing von Conchita Wurst: So beendet man Aids | |
Thomas Neuwirth outet sich – als schwul und HIV positiv. Er ist ein | |
Vorbild, um die Debatte über Homosexualität und Aids zu normalisieren. | |
Österreichs Dragqueen Conchita Wurst: Selbstbestimmung durch Coming Out | |
Conchita Wurst hat auf Instagram öffentlich gemacht, HIV-positiv zu sein. | |
Ein Ex-Freund hatte gedroht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. | |
Conchita Wurst über das Unglücklichsein: „Ich habe nichts gefühlt“ | |
Conchita Wurst hat aufregende Jahre hinter sich und seit ihrem Sieg beim | |
Eurovision Song Contest 2014 vor allem funktioniert. Heute geht es ihr | |
besser. |