# taz.de -- Der Hausbesuch: Von Frauen und kopflosen Männern | |
> Lisa Mann und Hagar Rieger sind Modedesignerinnen. Sie sehen einen Reiz | |
> in Flüchtigkeit. Wenn es darauf ankommt, sind sie sehr standfest. | |
Bild: Hargar Rieger (links) und Lisa Mann in der Wohnung Manns in Berlin-Kreuzb… | |
Zu Besuch bei Lisa Mann, 33, in ihrer Vierer-WG in Berlin-Kreuzberg. Hagar | |
Rieger, 30, besucht sie an diesem sonnigen Nachmittag dort, seit drei | |
Jahren wohnt sie mit Freund und Tochter im Stadtteil Prenzlauer Berg. Lisa | |
und Hagar haben Modedesign an der Berliner Universität der Künste studiert, | |
sie standen im Finale des Euro Fashion Award, einer Auszeichnung für | |
Modedesignerinnen, die mit 25.000 Euro dotiert ist. Beide haben | |
entschieden, nicht weiter an dem Wettbewerb teilzunehmen, weil sie gegen | |
sexistische und rassistische Aussagen des Preisauslobers demonstrieren | |
wollten. Sie empfinden sich seither als Team, „auch wenn wir nicht zusammen | |
arbeiten“, sagen sie. | |
Draußen: Erster Frühlingstag. Am Landwehrkanal flanieren Pärchen, Gruppen, | |
Einzelgänger, mit Eis oder Bier in der Hand, mit Kinderwagen oder Hund, | |
manche schon im T-Shirt. In der Gegend wohnt Lisa Mann. Quergebäude, | |
Gerüste und Baustellen-Geruch. Sie winkt aus dem Fenster. | |
Drinnen: Den Schriftzug „Refugees welcome“ in Weiß auf Schwarz sieht man | |
als Erstes. „Berlin ist alleine, ich auch“ und andere Postkarten und | |
Erinnerungsstücke hängen mit Wäscheklammern an einer Küchenwand. Eine | |
Nick-Cave-Postkarte, Party-Einladungen, eine Sammlung | |
Entschuldigungsnotizen eines Mitbewohners („Immer wenn er Scheiße baut, | |
schreibt er“). Eine sogenannte „Wall of Fame und Pain“: Bilder von allen, | |
die dort wohnten oder gar übernachteten. Eine Balkontür mit Gitter vor der | |
Öffnung, ohne Balkon. Eine alte Anker-Nähmaschine, die Lisas Großtante | |
gehörte („Sie war Schneiderin“) und die sie noch benutzt. Am Kleiderständ… | |
buntgemischte gekaufte Klamotten und eigene Kreationen. Rot, Gold, Glitzer. | |
Von ihrer Geburtstagsparty am Vorabend keine Spur, sie habe aufgeräumt und | |
gelüftet. | |
Vergänglichkeit: Was Mode für sie bedeutet? Mit dem Begriff „Mode“ könne | |
Hagar Rieger nicht viel anfangen, denn er sei mit Oberflächlichkeit | |
aufgeladen. Ihnen gehe es um eine Kunstform und sie können sich mehr mit | |
den Schwerpunkten identifizieren, mit denen sie sich während des Studiums | |
auseinandersetzten: Recherche, Technik, Konzept. Für Lisa Mann hat auch die | |
Flüchtigkeit ihren Reiz („Man lernt sich schnell von Sachen zu | |
verabschieden. Ein Konzert, zum Beispiel ist etwas Flüchtiges und trotzdem | |
wunderschön“). Sie gucke sich gerne an, was die Menschen auf der Straße | |
tragen und achtet immer auf die Qualität der Kleidungsstücke („Eine | |
Berufskrankheit“). Bei ihr selbst ist sie nicht so kleinlich und zeigt den | |
kaputten Ärmel ihrer Jacke („Ich habe im Moment nicht einmal Zeit um meine | |
Sachen zu nähen“). | |
Träume: Beide Frauen träumten schon als Kind – Rieger in Stuttgart, Mann in | |
Köln – von einem handwerklichen, kreativen Beruf. Die Familien trugen dazu | |
bei: Riegers Vater war Ingenieur, konnte „supergut“ Zeichnen und liebte | |
Malerei („Er hat mir beigebracht, mit Proportionen umzugehen“). Ihr Freund | |
ist Produktdesigner, zusammen entwerfen sie Möbel und Objekte. Lisa Mann | |
arbeitet als Kostümbildassistentin für Filmproduktionen und liebt es zu | |
beobachten, wie die Charaktere vor ihr „in 3D zum Leben erwecken, wenn sie | |
Kleidung tragen“. Bei ihr war die Mutter diejenige, die Spaß am Basteln | |
hatte („Sie arbeitete als Kindergärtnerin und wir mussten immer etwas mit | |
Joghurtbechern machen“). Später absolvierte jede für sich eine Ausbildung | |
als „Bekleidungstechnische Assistentin“ – also „Schneiderin“ – und … | |
Praktika bei großen Marken, bevor sie nach Berlin kamen. | |
Inspirationen: Für die Abschlussarbeit der UdK fuhr Hagar Rieger nach | |
Äthiopien, wo ihre Familie ihre Wurzeln hat. Auf der Forschungsreise | |
konzentrierte sie sich auf vergessenes Handwerk und besuchte Köhlereien, | |
Färbereien, Porzellanmanufakturen. „Warum bedienen wir uns der | |
Schönheitsideale und Gestaltungsmethoden von Entwicklungsländern, ist es | |
die Sehnsucht nach Einfachheit und Ursprung?“, wollte sie wissen. Später | |
ließ sie sich von der Malerei der Neuen Moderne inspirieren („Bei ihnen | |
findet man das sogenannte Primitive wieder“). Lisa Mann fragte sich, warum | |
man in den Medien den Mann – metaphorisch – als Kopf und die Frau als | |
Körper sieht. „Mich interessiert der weibliche Blick auf den männlichen | |
Körper“, sagt sie. Sie wollte erfahren, wie die Männer in ihrem Umfeld ohne | |
Kleider aussehen und fotografierte sie „kopflos“. Der Körper ihres Vaters | |
erschien ihr als einer, der nicht der Norm entsprach – deshalb machte sie | |
ihn zum Model für dieses Projekt („Er sagte, er wäre nicht aufgeregt und | |
musste zwei Tagen später wegen Blinddarmentzündung ins Krankenhaus“). Sie | |
nannte ihre Arbeit „Freddie und Papa“, denn der Queen-Sänger Freddie | |
Mercury sei das Idol ihres Vaters „eine Art Alter Ego“. Beide | |
Abschlusskollektionen wurden für den Euro Fashion Award nominiert. | |
Widerstand: In der letzten Phase dieses Wettbewerbs erfuhren sie, dass der | |
Preisgeldgeber Winfried Stöcker war, bekannt als Investor und Eigentümer | |
des Kaufhauses Görlitz. Stöcker hatte sich mehrfach öffentlich rassistisch | |
und chauvinistisch geäußert, Flüchtlinge nannte er „reisefreudige | |
Afrikaner“. Rieger und Mann wollten nicht dabei bleiben. „In seinen Texten | |
und Reden offenbart sich eine Weltsicht, die allem widerspricht, wofür wir | |
persönlich und in unseren Arbeiten einstehen“, schrieben sie in ihrer | |
Stellungnahme. Aus moralischen Gründen sei es unmöglich, weiter mit ihm | |
zusammenzuarbeiten oder gar das Preisgeld entgegenzunehmen. | |
Resonanz: „Ich war frustriert“, sagt Rieger. „Ich musste mich von der Idee | |
verabschieden, nicht mehr nebenbei jobben zu müssen und mich einfach meiner | |
Leidenschaft zu widmen“. Doch es sei auch ihre persönliche Chance gewesen, | |
gegen die rechtspopulistische Stimmung zu steuern. Auch wenn Wettbewerbe | |
wie der Euro Fashion Award ein Katapult für junge DesignerInnen sei, hoffen | |
Mann und Rieger, dass diese sich nicht blenden lassen und besser | |
reflektieren, „was oder wer hinter solchen Preisen steht“. Die Resonanz, | |
die sie bekamen, bestätigte für sie, dass „die Message angekommen und die | |
Entscheidung genau richtig war“. Am schönsten fanden sie die E-Mail einer | |
Unbekannten: „Wenn Viele ein bisschen geben, vielleicht schaffen wir für | |
euch die 25“, schrieb sie. | |
Maschinerie: Alles andere als solidarisch sei die Modeindustrie, eine | |
„Maschinerie“, sagen sie. „Die Hierarchien sind sehr stark, man muss sich | |
durchkämpfen“, sagt Lisa Mann. „Oder als Berufseinsteigerin sich | |
unterwerfen und alles mit sich machen lassen“, fügt Hagar Rieger hinzu. | |
Sie besuchte Modeshows in Paris und habe dort geahnt, wie das | |
professioneller laufen könnte. Für die Beiden ist Kleidung etwas | |
Politisches, deshalb müsse sich in der Branche noch viel ändern. „Es gibt | |
viele verschiedenen Schönheitsideale. Mehr Vielfalt kann die Modewelt nicht | |
schaden“, sagt Rieger. | |
Wann sind sie glücklich? „Wenn ich an meine Tochter denke“, sagt Hagar | |
Rieger. „Und auch wenn ich daran denke, dass ich mich nicht verändert habe, | |
weil ich Mutter bin. Ich bin genau so ambitioniert wie früher.“ Lisa Mann | |
empfindet das Leben wie in schönen Filmen: „Egal was passiert, muss am Ende | |
immer alles wieder gut werden.“ | |
20 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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