# taz.de -- Pressefreiheit in Ungarn unter Druck: Orbán triumphiert, Medien le… | |
> Nach dem Wahlsieg des ungarischen Premiers stellt die wichtigste | |
> Tageszeitung ihren Betrieb ein. Und noch ein Medium ist bedroht. | |
Bild: Noch befragen viele Journalisten Premier Viktor Orbán, doch es werden we… | |
BUDAPEST taz | Gerade hat Ungarns Premier Viktor Orbán seinen dritten | |
Wahltriumph in Folge gefeiert, schon wird es eng für die wenigen Medien, | |
die noch nicht von der Regierung oder der Regierungspartei Fidesz | |
kontrolliert werden. Magyar Nemzet, mit einer Auflage von 70.000 Exemplaren | |
die wichtigste Tageszeitung, wird am 11. April ihr Erscheinen einstellen. | |
Auch der Onlineauftritt wird aus dem Netz verschwinden. Das meldete die | |
Zeitung selbst in ihrer Dienstagsausgabe. Als Ursache wurden ökonomische | |
Probleme genannt. Der Eigentümer Lajos Simicska wolle nicht länger ein | |
Verlustgeschäft finanzieren. | |
Die vor 80 Jahren gegründete Zeitung, die lange Jahre als Sprachrohr des | |
gemäßigten Konservatismus galt und auch während des Kommunismus mit | |
vorwiegend kulturellen Themen eine gewisse Unabhängigkeit bewahren konnte, | |
war vor 20 Jahren von Fidesz gekapert worden. Während seiner ersten | |
Regierungszeit (1998–2002) fusionierte Orbán sie mit dem rechtsextremen | |
Blatt Napi Magyarország (Tägliches Ungarn), um sie zur größten bürgerlichen | |
Tageszeitung zu machen. Zwar war sie nie Parteizeitung, sie berichtete aber | |
lange Zeit wie ein Sprachrohr von Fidesz. | |
Besitzer der Zeitung ist der Oligarch Simicska, ein Jugendfreund von Viktor | |
Orbán. Jahrelang genoss er die Gunst des Premiers, was sich in öffentlichen | |
Aufträgen für sein Bauimperium niederschlug. Vor drei Jahren verkrachten | |
sich die beiden, fortan herrschte Krieg. Simicska wandte sich der | |
rechtsextremen Jobbik zu und brachte seine Medien gegen Orbán in Stellung. | |
Spezialität: das Aufdecken von Korruptionsskandalen und peinlichen Affären | |
von Regierungsleuten. Neben Magyar Nemzet, die gemäßigt-konservativ | |
berichtet, zählen noch der Sender LanchidRádió, der Kanal Hír-TV und das | |
Onlineportal index.hu zum Medienimperium des Oligarchen. | |
„Magyar Nemzet überlebte das Faschistenregime und den Kommunismus. Unter | |
dem Orbán-Regime wird es jetzt gekillt“, schrieb der Journalist Ádám Tompos | |
auf Facebook. Auch Lanchid Rádió stellt ab sofort seinen Betrieb ein. Bei | |
Hír-TV wurden Entlassungen angekündigt. „Es kam nicht unerwartet, dass | |
etwas Drastisches geschehen würde bei Magyar Nemzet“, sagt Krisztian Simon, | |
Medienexperte an der Freien Universität Berlin. Ein Mitarbeiter der Zeitung | |
habe ihm noch vor einigen Tagen gesagt: „Es gibt zwei Szenarien: Entweder | |
macht Simicska den Laden dicht, oder Orbán macht uns die Arbeit unmöglich.“ | |
Wie alle kritischen Medien war die Zeitung mit einem Annoncenboykott von | |
öffentlichen Einrichtungen und regierungsnahen Unternehmen bestraft worden. | |
30 Stunden nach dem Wahlergebnis habe sich daher das erste Szenario | |
verwirklicht. „Simicska wollte mit der Zeitung Politik betreiben“, sagt | |
Simon. Die Zeitung habe seit Jahren massive Verluste gemacht. „Als er sah, | |
dass weder Jobbik noch andere Oppositionsparteien eine Möglichkeit haben, | |
eine größere Rolle in der ungarischen Politik zu spielen, entschied er | |
sich, die Zeitung nicht mehr zu finanzieren.“ Medienpluralismus und eine | |
kritische Öffentlichkeit hätten Simicka nie wirklich interessiert, glaubt | |
Simon. | |
Die ungarische Öffentlichkeit erleide einen schweren Verlust durch das | |
Schließen des Blattes, meint der Medienexperte. Es verschwinde ein | |
Qualitätsmedium, das gleichzeitig konservativ und Órban-kritisch sei. Mit | |
80 Beschäftigten hatte Magyar Nemzet eine große Redaktion, die immer wieder | |
exklusive Geschichten recherchieren konnte. | |
Auch die oppositionelle Wochenzeitung Magyar Narancs ist bedroht. Gerade | |
wurde bekannt, dass die Firma Appennin des Oligarchen und Orbán-Freundes | |
Lőrinc Mészáros letztes Jahr das Gebäude gekauft hat, in dem sich die | |
Redaktion der Zeitung befindet. Prompt wurde die Miete erhöht. Magyar | |
Narancs musste Stellen abbauen. | |
Eine Geste der Solidarität mit den bedrohten Medien leistet die | |
Wochenzeitung HVG, das ungarische Äquivalent zum Spiegel. Sie rief ein | |
Programm zur Erhaltung von unabhängigem Journalismus ins Leben. | |
10 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
Tibor Rácz | |
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