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# taz.de -- Radsportklassiker Paris – Roubaix: Das Marionettenrennen
> Peter Sagan triumphiert bei der „Hölle des Nordens“ auf untypische Weise.
> Überschattet wird sein Erfolg aber vom Tod des Profis Michael Goolaerts.
Bild: Peter Segan (vorne) auf der Kopfsteinpflasterstraße „Carrefour de l'Ab…
Peter Sagan strahlte im Velodrom von Roubaix. Denn er hatte sich einen
Kindheitstraum erfüllt. „Als Junge habe ich gern Paris–Roubaix geschaut.
Ich wollte dieses Rennen so gern gewinnen. Als ich jetzt auf das Velodrom
einbog und wusste, ich fahre erstmals tatsächlich um den Sieg hier, war das
ein unbeschreibliches Gefühl“, sagte er im Herzen des berühmten
Radsportstadions.
Sagan hatte sich den Sieg im ehrwürdigen Stil der ganz Großen seines Fachs
geholt. Er hatte nicht gelauert, nicht bis zum Ende gewartet, um dann seine
Spurtstärke auszuspielen. Nein, er war wie in den Vintagezeiten des Sports,
55 km vor dem Ziel selbst losgestiefelt. Er hatte damit die Quick
Step-Truppe, die bislang die Frühjahrsklassiker dominiert hatte,
ausgeknockt. „Wir können ja nicht immer vorn sein“, sagte, leicht maulig,
der große Favorit und Gewinner von 2014, Niki Terpstra, später auf der
Pressekonferenz.
Terpstra erfuhr jetzt, was in diesem Frühjahr oft Sagan wiederfahren war:
Uneinigkeit in der Verfolgergruppe. „Die Kooperation war gar nicht so
schlecht“, behauptete Terpstra, aber vorn konnte Sagan weitgehend allein
seinen Vorsprung immer weiter ausbauen. „Sie kamen zwar zeitweise näher an
mich heran, und ich blickte mich auch schon um. Aber dann attackierten sie
sich wieder gegenseitig, verloren viel Kraft und ich gewann wieder Zeit auf
sie“, sagte Sagan später. Und er fasste, schelmisch grinsend, die Situation
so zusammen: „Besser allein in konstantem Tempo vorne fahren, als hinten
mit fünf, sechs, sieben Fahrern stecken, die sich nicht einig sind.“
## Todesfall trübt Erfolg
Sagan hatte zuvor genau diese Uneinigkeit der Rivalen beklagt. „Wenn
niemand mit mir zusammenarbeitet, dann wird Quick Step weiter Sieg um Sieg
holen“, unkte er nach der Flandernrundfahrt in der Vorwoche, als genau das
geschehen war. Die Anklage des Slowaken an die Konkurrenz wurde da noch als
Weinerlichkeit gebrandmarkt. Als „Katze auf dem Baum“, die selbst immer nur
lauere und erst spät die Initiative ergreife, war Sagan von Altmeister Tom
Boonen angepflaumt worden. „Lauerkatze“ Sagan verwandelte sich prompt in
einen Löwen.
All das könnte man in Heldenprosa weiter ausmalen. Sagan war aber nicht
nach Lobeshymnen zumute, als er vom kritischen Gesundheitszustand des
23-jährigen Kollegen Michael Goolaerts erfuhr. Auf einer leicht
abschüssigen Rechtskurve auf dem erst zweiten von insgesamt 29
Pavé-Abschnitten hatte Goolaerts die Richtungsänderung verpasst und
geradeaus auf die Böschung gefahren. Seine Kollegen zogen in Einerreihe,
der klassischen Formation auf Kopfsteinpflaster, an ihm vorbei, und mochten
sich gewundert haben. Goolaerts blieb liegen. „Er hat einen Herzstillstand
erlitten und kurzzeitig das Bewusstsein verloren“, erklärte später Michiel
Elijzen, sportlicher Leiter von Goolaerts’ Team Veranda Willems Crelan. Zu
diesem Zeitpunkt kämpfte der im Krankenhaus von Lille reanimierte Sportler
noch gegen den Tod. Um 22.40 Uhr am Sonntagabend hatte er diesen Kampf
verloren.
Festzuhalten bleibt, dass Goolaerts eben nicht Opfer eines „Horrorsturzes“
wurde, wie manche Medien sofort schrieben. Die Strapazen der „Hölle des
Nordens“, wie Paris–Roubaix genannt wird, waren ebenfalls nicht Ursache. Es
schien die Sonne, das Rennen war noch ganz am Anfang und kein anderer
Fahrer in den Sturz verwickelt.
Warum Goolaerts Herz aussetzte, muss nun gründlich untersucht werden. Denn
2016 starb ein anderer Fahrer, der für ein Jahr im gleichen Team gefahren
war, ebenfalls an Herzstillstand. Es war der damals 22-jährige Daan
Myngheer.
Fragen kann man sich auch, warum bei einem derartigen schweren Vorfall –
Goolaerts’ kritische Situation war den am Sturzort Eintreffenden sofort
klar – nicht das Rennen neutralisiert wird, um kühlen Bluts eine Abwägung
über die weitere Verfahrensweise zu treffen. Viele Profis, die im Velodrom
von Roubaix ankamen, erfuhren erst dort von der Schwere des Vorfalls. Sie
sind damit nichts anderes als Marionetten, die in die Pedalen treten sollen
und denen man bewusst Informationen über den kritischen Zustand eines
Kollegen vorenthält.
9 Apr 2018
## AUTOREN
Tom Mustroph
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