# taz.de -- Medien des Bundeskanzleramtes: Freier Sender Bundesregierung | |
> Verstoßen die Internet-Aktivitäten der Bundesregierung gegen das Verbot | |
> des Staatsrundfunks? Noch entscheidet ein Play-Button, was „Rundfunk“ | |
> ist. | |
Bild: Wichtig ist vor allem das Merkmal „unkommentiert“ | |
„Unsere Bundesregierung verwandelt sich heimlich in eine Art | |
Internet-Rundfunksender“, raunte Satiriker Jan Böhmermann vorige Woche in | |
seinem „Neo Magazin Royale“. Und er präsentierte viele lustige Filmchen mit | |
Kanzlerin Angela Merkel. „Ob das alles legal ist, interessiert bis heute | |
niemanden“, behauptete Böhmermann. | |
Tatsächlich ist die Bundesregierung auf allen Kanälen aktiv: Im World Wide | |
Web als [1][bundeskanzlerin.de], auf Twitter als [2][„RegSprecher“ Steffen | |
Seibert] und natürlich auch bei Facebook, YouTube und Instagram. Überall | |
gibt es nette Videos zu sehen: Im Video-Podcast „Die Kanzlerin direkt“ | |
fragt eine brave Studentin nach dem „Aufbruch der EU“. Auf Instagram freut | |
sich Merkel über die Freilassung von Deniz Yücel. Und unter „Live aus dem | |
Kanzleramt“ wird die sympathische isländische Ministerpräsidentin Katrin | |
Jakobsdottir begrüßt. | |
Wenn das wirklich Rundfunk wäre, hätte die Bundesregierung ein Problem. | |
Denn 1961 untersagte das Bundesverfassungsgericht jeden Staatsrundfunk. Das | |
Grundgesetz verbiete, dass der Staat eine Rundfunkanstalt „unmittelbar oder | |
mittelbar beherrscht“. Damals wollte Kanzler Konrad Adenauer (CDU) einen | |
zweiten Fernsehsender schaffen, weil ihm die ARD zu kritisch war. Er | |
gründete die „Deutschland-Fernsehen GmbH“. | |
Dagegen klagten die SPD-regierten Länder Hamburg und Hessen und hatten in | |
Karlsruhe Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht kippte das | |
Adenauer-Fernsehen aus zwei Gründen: Zum einen seien die Länder für | |
Rundfunk zuständig, zum anderen dürfe der Staat nicht selbst Rundfunk | |
betreiben. Anschließend gründeten die Länder per Staatsvertrag das ZDF als | |
unabhängigen öffentlich-rechtlichen Sender. | |
## „Checkliste“ sollte „Rundfunk“ regeln | |
Dass der Staat keinen Rundfunk betreiben darf, gilt bis heute. Im | |
Rundfunk-Staatsvertrag ist klargestellt, dass eine Regierung keine | |
Rundfunklizenz bekommen könnte. Das gilt auch wenn der Rundfunk via | |
Internet verbreitet wird. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Ist es | |
schon Rundfunk, wenn die Regierung im Netz ihre Videos und Podcasts | |
veröffentlicht? | |
Für die Kontrolle der Internetaktivitäten der Bundesregierung ist die | |
Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) zuständig. Und dort hat man eine | |
„Checkliste“ mit vier Kriterien, die alle erfüllt sein müssen, damit die | |
Präsentation von Filmen als „Rundfunk“ gilt. | |
Erstens: Das Angebot muss sich an mehr als 500 potenzielle Nutzer richten. | |
Das ist im Internet natürlich immer der Fall. Auch wenn ein Podcast nur von | |
17 Leuten gehört oder angeschaut wird, die „potenziellen Nutzer“ sind | |
Millionen. | |
Zweitens: Das Programm muss journalistisch-redaktionell gestaltet sein. | |
Bloße unkommentierte Live-Übertragungen sind kein Rundfunk – es sei denn, | |
mehrere Kameras sind dabei im Einsatz und eine Regisseurin oder ein | |
Regisseur wählt redaktionell aus, was gerade gezeigt wird. | |
Drittens: Das Programm muss einem Sendeplan folgen. Das kann wie bei ZDF | |
oder RTL ein ausführliches Schema mit Anfangszeiten für ständig wechselnde | |
Sendungen sein. Es könne aber auch genügen, wenn einzelne YouTube-Streams | |
in den sozialen Netzwerken angekündigt werden. | |
Viertens, und das ist wohl der wichtigste Punkt: Die Ausstrahlung muss | |
„linear“ erfolgen und nicht „on demand“. Das heißt: Rundfunk läuft ei… | |
Wer zu spät kommt, hat den Anfang verpasst. Sobald der Nutzer einen | |
Startknopf drücken muss, ist es „on demand“ (auf Abruf) und damit kein | |
Rundfunk mehr. | |
## Videos auf Knopfdruck | |
Die MABB will keine abschließende Bewertung der Regierungs-Aktivitäten | |
geben, denn man befinde sich in „laufenden Prüfungen“. Viel zu befürchten | |
hat die Regierung aber nicht, denn MABB-Sprecherin Anneke Plaß stellt klar: | |
„Beim Facebook-Auftritt der Bundesregierung werden die Videobeiträge | |
überwiegend zum Download zur Verfügung gestellt, also nicht linear | |
ausgestrahlt.“ Damit sind sie also kein Rundfunk. Und soweit es doch | |
vereinzelte Live-Ausstrahlungen gibt („Live aus dem Kanzleramt“) ist dies | |
„unproblematisch, solange nicht von einem Sendeplan ausgegangen werden | |
kann“. | |
Und wirklich: Alle Videos der Regierung starten erst, wenn man auf den | |
dreieckigen Startpfeil drückt. Auch der Video-Podcast der Kanzlerin, der | |
immer samstags bereit gestellt wird, ist ein „on demand“-Angebot. Darauf | |
beruft sich auch die Bundesregierung: Ihre Videos stünden „nur auf Abruf zu | |
einem vom Nutzer selbstgewählten Zeitpunkt bereit“. | |
Die Diskussion um die Internet-Aktivitäten der Regierung ist nicht völlig | |
neu. 2013 wollte Merkel einen (im Netz übertragenen) Video-Chat via Google | |
Hangouts veranstalten. Im Vorfeld entschied die gemeinsame Kommission für | |
Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK), dass dies kein | |
Rundfunk sei, wenn solche Video-Chats nicht regelmäßig, also mit Sendeplan | |
stattfinden. | |
Die Bundeswehr startete 2016 auf ihrem YouTube-Kanal die Serie „Die | |
Rekruten“, um für Nachwuchs zu werben. 2017 folgte eine weitere Serie, | |
„Mali“, über einen Auslandseinsatz in Afrika. Auch hier hatte die | |
Medienaufsicht keine Bedenken. Schließlich waren alle Folgen „on | |
demand“-Angebote. | |
Nur das Parlamentsfernsehen des Bundestags bekam 2011 Ärger, als es | |
zunehmend redaktionell gestaltet wurde. Damals beschloss die ZAK: Das sei | |
nun doch ein „Rundfunkangebot“, das eigentlich eine Lizenz bräuchte. Diese | |
könne der Bundestag als Staatsorgan aber nicht bekommen. Trotzdem hat der | |
Bundestag heute noch ein „Parlamentsfernsehen“, das Debatten überträgt – | |
nun aber mit dem Slogan „live, unkommentiert und in voller Länge“. Wichtig | |
ist vor allem das Merkmal „unkommentiert“. | |
Das System ist also klar, es fehlt nur der tiefere Sinn. Denn das | |
Bundesverfassungsgericht hat 1961 den Staatsrundfunk nicht verboten, weil | |
lineare staatliche Angebote viel gefährlicher sind als „on demand“-Videos. | |
Diese Unterscheidung gab es damals noch nicht. 1961 war alles linear. Wer | |
nicht rechtzeitig einschaltete, hat die Sendung eben verpasst. Es ging | |
damals vielmehr generell um die Macht der Bilder. | |
## Kein Grundrechtseingriff | |
Dem Fernsehen als wichtigste Form des Rundfunks wird von den Richterinnen | |
und Richtern heute noch eine „Suggestivkraft“ zugeschrieben, die aus der | |
„Verbindung von Text, Ton und bewegten Bildern“ folge. Diese Wirkung kann | |
aber natürlich auch dann entstehen, wenn man ein Video zeitversetzt | |
ansieht. Die Wirkung kann sogar größer sein, weil man heute ein Video | |
teilen und weiterverbreiten kann. So entstehen virale Effekte, die nicht | |
nur Werbemachende interessieren. Es könnte also gut sein, dass das | |
Bundesverfassungsgericht, wenn es 1961 schon die YouTube- und | |
Instagram-Aktivitäten der Bundesregierung erahnt hätte, hier ebenfalls eine | |
ablehnende Haltung gezeigt hätte. | |
Es ist allerdings nicht so einfach das Thema zum Bundesverfassungsgericht | |
zu bringen. Schließlich greift ein Internet-Staatsrundfunk nicht in | |
Grundrechte ein und es gibt auch kein Gesetz, das mit einer abstrakten | |
Normenkontrolle angegriffen werden könnte. | |
Mit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung beschäftigt sich | |
Karlsruhe immer wieder. Wenn diese vermeintlich unsachlich oder | |
parteipolitisch nicht neutral ist, kann sich eine diffamierte oder | |
benachteiligte Partei mit einer Organklage ans Bundesverfassungsgericht | |
wenden. Wenn dann eine Äußerung im Podcast angegriffen wird, könnten die | |
Richter nebenbei auch klären wo die quantitativen und qualitativen Grenzen | |
der Regierungsaktivitäten im Netz liegen. | |
Dass die Praxis der Regierung heute beanstandet würde, ist aber eher | |
fraglich. Schließlich haben sich die Rahmenbedingungen von 1961 bis 2018 | |
stark verändert. Früher gab es für Rundfunk nur wenige Frequenzen, die | |
Technik war superteuer. Heute kann jeder mit wenig Equipment seinen eigenen | |
YouTube-Kanal starten. Die Bundesregierung ist heute auch nur eine Stimme | |
im unendlichen Meer des medialen Pluralismus. Dass sie die | |
Berichterstattung über sich selbst dominiert, ist aktuell nicht zu | |
befürchten. | |
7 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundeskanzlerin.de/Webs/BKin/DE/Startseite/startseite_node.html | |
[2] https://twitter.com/regsprecher?lang=de | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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