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# taz.de -- Prostitution in Leipzig: „Ohne Straßenstrich gibt’s keine Hilf…
> Sexarbeit findet in Leipzig vor allem hinter verschlossenen Türen statt.
> Sozialarbeiterin Viola Butzlaff kümmert sich um Prostituierte.
Bild: Hinter verschlossenen Türen: In Leipzig gibt's keinen Straßenstrich
taz: Frau Butzlaff, Sie beraten Sexarbeiter*innen anonym und ohne Vorlage
von Papieren zu Aids, HIV und sexuell übertragbaren Krankheiten. Dafür
suchen Sie die Frauen auch direkt an ihrem Arbeitsplatz auf – wo in Leipzig
ist das?
Viola Butzlaff: Sexarbeit findet hier zum Großteil hinter verschlossenen
Türen in Wohnungen statt. Es gibt keinen legalen Straßenstrich. Neben den
Wohnungen gibt es noch zwei FKK-Clubs, zwei Laufhäuser, zwei bis drei
BDSM-Clubs. Und käuflichen Sex an öffentlichen Plätzen.
Ein Thema, das Sie in den nächsten Monaten sicher beschäftigen wird, ist
das Prostituiertenschutzgesetz. Welche Veränderungen erwarten Sie?
Unsere Arbeitsgrundlage wird das sächsische Ausführungsgesetz sein. Das ist
noch nicht verabschiedet. Die Stadt bereitet derzeit alles vor, damit die
dann notwendig werdenden Anmeldungen und Gesundheitsberatungen rasch
passieren können.
Wie viele Frauen arbeiten in Leipzig als Sexarbeiter*innen?
Ich schätze es sind 600 bis 700 Frauen. Genauer lässt sich das nicht sagen,
denn manche Frauen wechseln teilweise wöchentlich die Stadt. Etwa 80
Prozent der Sexarbeiter*innen kommen aus dem Ausland, vor allem aus
Rumänien und Ungarn. Unter ihnen sind viele Roma-Frauen. Einige können
nicht lesen oder schreiben. Während die deutschen Frauen nicht selten über
50 Jahre alt sind, ist ein knappes Drittel der ausländischen
Sexarbeiter*innen jünger als 18 Jahre.
Warum wechseln gerade die Frauen aus dem Ausland so häufig die Stadt?
Die Betreiber*innen und Kund*innen der Wohnungen und Clubs wollen, dass in
den Städten immer wieder neue Frauen zur Verfügung stehen. Einige Frauen
wechseln aber auch auf eigene Initiative, weil sie sich davon höhere
Einnahmen versprechen. Im Ergebnis ist es so natürlich schwer, irgendwo Fuß
zu fassen. Viele Frauen sind den ganzen Tag in den Wohnungen und gehen
zwischendurch höchstens einkaufen.
Sie sprechen nicht von Zuhältern, sondern von „Betreibern“. Warum?
„Zuhälter“ ist ein Begriff mit strafrechtlicher Relevanz, deshalb darf ich
die Männer, die ich in den Wohnungen der Sexarbeiter*innen vorfinde, nicht
einfach so nennen. Mal wird mir gesagt, das sei der Ehemann, ein andermal
ist es der Freund oder der Cousin. Außerdem lässt sich für mich nicht
feststellen, ob diese Männer lediglich die Aufpasser sind oder die
Betreiber.
Wie offen sprechen die Frauen eigentlich mit Ihnen, wenn im Hintergrund
Männer sitzen?
Es ist überhaupt nicht so, dass mir dann permanent stark eingeschüchterte,
verprügelte Frauen gegenübersitzen. Die allergrößte Hürde ist die Sprache.
Ich spreche weder ungarisch noch rumänisch. Nur wenn es auf Deutsch oder
Englisch funktionieren kann, kommt ein richtiges Gespräch zustande.
Das heißt, eigentlich sind die Umstände für die Frauen gar nicht so
schlimm?
Nein, das will ich damit nicht sagen. Wie die Bedingungen jeweils wirklich
sind, ist schwer zu beurteilen, denn um hinter die Kulissen zu blicken,
bräuchte es mehr Kontakt. Das ist aber schwierig, weil viele Frauen nach
ein oder zwei Wochen schon in einer anderen Stadt sind und ich es mit
meiner Teilzeitstelle nicht schaffe, sie häufiger zu besuchen. In einem
Erst- oder Zweitgespräch erfahre ich nicht, wie ich die Frauen unterstützen
kann und ob sie sich in einer Zwangslage befinden.
Können Sie erkennen, ob Frauen ihrer Arbeit freiwillig nachgehen?
Sexarbeiter*innen sind eine sehr heterogene Gruppe. Ich möchte nicht, dass
der Eindruck entsteht, alle seien „Opfer“. So wissen etwa die meisten
Frauen, die aus dem Ausland kommen, worauf sie sich einlassen. Und trotzdem
ist der Begriff der Freiwilligkeit zweischneidig. Nicht nur physischer
Zwang, sondern auch Armut, wirtschaftliche Not und Perspektivlosigkeit sind
Gründe, warum Frauen ihren Körper verkaufen.
In der öffentlichen Diskussion um Prostitution stehen sich mittlerweile
zwei Meinungen unversöhnlich gegenüber. Die einen fordern, dass Frauen
selbst über ihren Körper bestimmen sollten, auch wenn sie ihn gegen Geld
verkaufen. Die anderen argumentieren, dass hinter Sexarbeit doch immer eine
Form von Zwang stecke.
Diese Polarisierung geht an der Lebensrealität der Frauen völlig vorbei.
Die Teilnehmer*innen dieser Debatte diskutieren letztlich nur über ihre
eigenen Moral- und Sexualvorstellungen. Natürlich gibt es die emanzipierte,
meist weiße Sexarbeiter*in, die selbstbestimmt arbeitet. Aber das ist die
Minderheit. Viele Sexarbeiter*innen aus dem Ausland würden andere Sachen
machen, wenn sie Chancen hätten.
Also befürworten Sie ein Verbot von Sexarbeit?
Ich weiß nicht, was das bringen soll. Die Sexarbeiter*innen verschwinden
dadurch doch nicht. Man zwingt sie lediglich in die Illegalität, wo sie für
Hilfsangebote noch schlechter zu erreichen sind. Und man darf auch nicht
vergessen: Manchen Frauen ermöglicht Sexarbeit, sich ein Haus zu bauen und
ihre Kinder in die Schule zu schicken. Ich maße mir nicht an, diesen Frauen
zu sagen, dass sie damit aufhören müssen.
Womit wäre den Frauen dann geholfen?
Es braucht mehr Hilfsangebote. Es mangelt an allem: Fachberatungsstellen,
Schutzräumen, Streetworker*innen. In ganz Sachsen existiert keine
Anlaufstelle für Sexarbeiter*innen. Nur Kobranet, ein Verein gegen
Menschenhandel, ist seit Ende letzten Jahres wieder in Leipzig. Dann gibt
es mich und noch ein offenes Ohr bei einigen Streetworker*innen. Und das
war’s. Das ist ein Problem, das nicht nur Sachsen betrifft: Während man im
Westen in jeder größeren Stadt etablierte Hilfsstrukturen vorfindet, hat
der Osten gerade einmal zwei Beratungsstellen in Rostock und Magdeburg.
Woran liegt das?
Zumindest in Leipzig ist Sexarbeit nahezu unsichtbar. Besonders im
Leipziger Westen befinden sich viele Wohnungen mit Sexarbeiter*innen – aber
niemand weiß das. Ich bin überzeugt: Gäbe es einen großen Straßenstrich,
gäbe es auch mehr Hilfsangebote.
Sie haben jetzt die Gründung des Arbeitskreises Sexarbeit initiiert, der
sich im April zum zweiten Mal trifft. Wie kam es dazu?
Mein Anspruch war von Anfang an, alle Sexarbeiter*innen Leipzigs mehrmals
im Jahr aufzusuchen. Als ich dann im Sommer 2017 aus der Elternzeit
zurückkam, wurde mir klar: Ich kann das alleine gar nicht schaffen. Das
muss auf mehrere Schultern verteilt werden. Jetzt ist das Ziel, einen Raum
für Sexarbeiter*innen zu schaffen, und das Thema in der Öffentlichkeit
präsenter zu machen. Alle interessierten Akteur*innen sollten miteinander
vernetzt sein.
12 Apr 2018
## AUTOREN
Nadja Mitzkat
## TAGS
Prostitution
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Stephan von Dassel
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