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# taz.de -- Protest in Zeiten von Social Media: Gewinnbringende Community
> Banksy hofft auf die Solidarität seiner follower für Zehra Dogan. Größere
> Unterstützung erfährt freilich die Klage eines Sprayers gegen H&M.
Bild: Banksys Solidaritätsadresse an Zehra Dogan
New York ist seit einigen Tagen in Aufruhr, nachdem die britische
Street-Art Legende Banksy, mit täglich neuen unautorisierten Werken im
Stadtbild, die Millionen-Metropole überrascht. Eines seiner Werke sorgt
dabei vor allem international für Aufmerksamkeit.
Es ist ein Mural an der „Houston Bowery Wall“ auf der sich bereits 1982 der
heute weltbekannte Künstler Keith Haring als Erster verewigt hat. In seinem
Werk hat Banksy auf die willkürliche Inhaftierung der kurdischen Künstlerin
Zehra Dogan aufmerksam gemacht, die für das Anfertigen einer
regierungskritischen Aquarellzeichnung zu gut drei Jahre Gefängnis
verurteilt wurde.
Der Aktivist hat das Mural mit Hilfe des aus Washington D.C. stammenden
ehemaligen Graffiti Sprayers John Tsombikos aka „Borf“ angefertigt, der in
der Vergangenheit selbst für seine Kunst inhaftiert worden war. Banksy der
sich bereits früh der Reichweite und Wirkung sozialer Medien bewusst war,
nutzt in diesem Zusammenhang auch seinen Instagram Account mit über 2
Millionen Abonnenten, um auf die von ihm empfundene Ungerechtigkeit
gegenüber Zehra Dogan aufmerksam zu machen und fordert seine Follower zur
Solidarität auf.
Er schreibt unter dem Hastag #freezehradogan: „One year ago Zehra Dogan was
jailed for painting this watercolour of a photograph she saw in the
newspaper. Protest against this injustice by re-gramming her painting and
tagging Turkey’s President Erdogan@rterdogan“.
## Die Relevanz der Kunstfreiheit
Mit dieser einfachen digitalen Geste erinnert uns der Künstler daran welche
gesellschaftliche Relevanz die Kunstfreiheit hat und wie fragil sie
heutiger Zeit zugleich ist. Er weist darauf hin, welche Möglichkeit uns die
neuen Medien bieten, global vereint gegen politische Willkür aufzubegehren
und zeigt im selben Moment auf, welche gesellschaftliche Verantwortung
Persönlichkeiten wie er mit ihrer Bekanntheit und Reichweite tragen.
Zur selben Zeit geht eine andere Aktion auf den Straßen New Yorks wie ein
Lauffeuer durch die Medien und die Social Media Kanäle und sorgt zur
Verwunderung mancher für deutlich größere Aufmerksamkeit und vor allem
Anteilnahme der „Kreativen“.
Das schwedische Modelabel Hennes & Mauritz hat für eines seiner
Fotoshootings – höchst wahrscheinlich aus Unwissenheit über den Urheber –
ein abstraktes Graffiti Tag des in Los Angeles lebenden Graffiti Writers
Jason ‚Revok‘ Williams genutzt. Dabei handelte es sich jedoch nicht um ein
klassisches Graffito dessen Gestalter klar zu erkennen war, sondern um acht
abstrakte, parallel übereinander angeordnete Linien, die vermutlich selbst
die meisten Kunstkenner nicht klar hätten zuordnen können.
Der Graffiti Künstler hat, als er im Nachhinein von der Nutzung seines
Werks erfahren hat, dem Unternehmen eine Unterlassungserklärung über seinen
Anwalt, zukommen lassen, in welchem er H&M auffordert, das von ihm illegal
geschaffene Kunstwerk nicht mehr als Hintergrund für die Kampagne der Firma
zu nutzen, da er u.a. befürchtet, dass es für den Betrachter nach einer
offiziellen Kooperation aussehen könnte.
## Gibt es Urheberrechte an einem vandalistischen Akt?
Das Unternehmen erwidert sein Schreiben mit einer Unterlassungsklage
verbunden mit der Frage „ob es überhaupt Urheberrechte an einem
vandalistischen Akt geben kann“. Der Anwalt von Revok, kritisiert
öffentlich, dass H&M sich auf der einen Seite durch die Kunst seines
Mandanten finanziell bereichern würde, auf der anderen Seite nun aber gegen
Urheberrechtsansprüche Klage einreiche und Graffiti als Vandalismus
bezeichne. Die internationale Graffiti Szene ist seither außer sich,
während sich Revok nun unerwartet internationaler Bekanntheit für seine
mittlerweile abstrakte Kunst erfreuen kann.
Ein für die Szene bis dahin außergewöhnlicher viraler Shitstorm unter dem
Hashtag #boycotthm gegen das Unternehmen breitet sich seitdem tausendfach
im Netz aus. Weltweit fliegen Farbbeutel auf H&M Schaufenster und ganze
Filialen werden mit überdimensionalen Fuck H&M Tags der durch das Internet
mobilisierten Sprayer Community überzogen.
Für viele sind solche Boykottaufrufe gegen multinationale Konzerne und ihre
Menschenrechtsverstöße in den von Subunternehmern betriebenen Sweatshops,
nichts Neues. Interessant in diesem Fall ist jedoch, dass dieser Shitstorm
vor allem von Menschen ausgeht, die selbst u.a. Nike Turnschuhe tragen,
vermutlich regelmäßig bei H&M und Co. einkaufen und denen die von
zahlreichen NGO's angeprangerten Probleme in der Regel eher gleichgültig
sind.
Viel mehr werden Kommentare wie „Pay REVOK“ öffentlich verbreitet und das
vor allem von Künstlern und Bloggern die, wenn man sich ihre künstlerische
Ausrichtung bzw. ihr Portfolio genauer ansieht, mit Sicherheit gerne ein
Graffiti als Hintergrund für eine solche Kampagne initiert bzw. gesprüht
hätten – wenn man sie danach gefragt hätte.
## Konträre Intentionvon Graffiti Szene und Street-Art Bewegung
Hier wird einmal wieder, auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen, die
konträre Intention zwischen der opportunistischen Graffiti Szene und der
von sozialpolitischen Themen angetriebenen Street-Art Bewegung auf
ernüchternde Weise deutlich.
Ganz klar ist das künstlerische Urheberrecht im 21. Jahrhundert, auch im
öffentlichen Raum ein wichtiges Thema das vom Gesetzgeber vor Missbrauch
durch Dritte geschützt werden muss. Zumal sowohl bunte Graffito als auch
kritische Street-Art, egal ob legal gefertigt oder unautorisiert
erschaffen, leider zunehmend durch die Werbeindustrie als auch in
sogenannten Street-Art Broschüren vereinnahmt werden und das nachweislich,
ohne dass die Kunst oder Künstler daraus einen nennenswerten, geschweige
denn nachhaltigen Mehrwert ziehen können.
Während Auftraggeber für das Nutzen einer künstlerischen Leistung den
Künstlern gegenüber der Künstlersozialkasse zu einer Abgabe verpflichtet
sind, die der Absicherung der Kunstschaffenden dient, dürfen im
öffentlichen Raum gefertigte Kunstwerke bislang ohne jegliche Einschränkung
genutzt werden – solange der Urheber nicht explizit dagegen klagt.
Der Modekonzern H&M hat die Klage mittlerweile auf Grund des immensen
öffentlichen Interesses an dem Vorfall offiziell zurückgezogen. Und während
sich die üblichen Idealisten wie so oft als Einzelkämpfer im Interesse der
Menschheit öffentlich gegen politische Willkür auflehnen, verschwenden
Illustratoren ihr kreatives Potential dafür, animierte Boykott H&M Grafiken
für Instagram zu kreieren, während einige Sprayer bereits „Fuck H&M“
T-Shirts im Graffiti Style gestaltet haben, um diese, gepusht vom Internet
Hype „gegen den Kommerz“, an ihre Community zu verkaufen.
25 Mar 2018
## AUTOREN
Sebastian Pohl
## TAGS
Street Art
Banksy
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Banksy
Textilbranche
Streetart
Blu
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