# taz.de -- Turbine Potsdam: Kampf gegen den Klassenunterschied | |
> Bis vor einigen Jahren war Turbine das Topteam im Frauenfußball. Doch der | |
> Verein hat den Anschluss an die Tabellenspitze verloren. Was nun? | |
Bild: „Wir wollen die Mannschaften auf den Plätzen eins bis drei ärgern“,… | |
Die gute Nachricht vom Ostersonntag: Fußball findet in Potsdam tatsächlich | |
noch statt. Turbine-Fans konnten den Glauben daran durchaus verlieren, denn | |
mit dem Frühlingswinter ist der Spielplan völlig aus dem Takt geraten. Das | |
Spitzenspiel gegen Tabellenführer Wolfsburg am Sonntag war dann auch erst | |
das zweite Heimspiel in der Rückrunde für die Potsdamerinnen. Davor: | |
Spielabsage gegen Duisburg und gegen Freiburg, Spielabsage beim erneuten | |
Versuch gegen Duisburg, schließlich Duisburg im dritten Anlauf bei | |
Schneefall am vergangenen Mittwoch irgendwie durchgezogen. | |
Es passte zum Glück der Potsdamerinnen, dass das Duell gegen Wolfsburg | |
ausgerechnet wieder auf den einzigen Schneetag des Osterwochenendes fiel. | |
Dennoch wurde gespielt auf dem zerfurchten und zermatschten Rasen: eine | |
temporeiche, offensive, attraktive Partie. Am Ende musste sich Turbine | |
Potsdam aber aufs Neue eingestehen, dass die nationale Spitze weit | |
entglitten ist. Das ist die schlechte Nachricht vom Ostersonntag. | |
Bei der mit 0:1 relativ annehmbaren Heimniederlage hatten die | |
Wolfsburgerinnen zwar Mühe gegen das kompakte Turbine-Mittelfeld. Sie waren | |
aber überlegen in Spielaufbau und Kombinationsspiel, im technischen Bereich | |
und in der individuellen Klasse. Die Potsdamerinnen, die mit ihren | |
Möglichkeiten ein sehr ordentliches Spiel ablieferten, haben sich mit der | |
Niederlage wohl aus dem Kampf um die Champions League verabschiedet. | |
„Wir wollen die Mannschaften auf den Plätzen eins bis drei ärgern“, hatte | |
Trainer Matthias Rudolph zu Beginn der Rückrunde angekündigt. „Und wir | |
sehen uns auch dazu in der Lage. Wir hätten in der Hinrunde mehr Punkte | |
holen können. Ich bin optimistisch, dass wir sie ärgern können.“ | |
Potsdam startete auf Platz vier in die Rückrunde, kam aber trotz zuvor | |
sechs Siegen in Serie nicht über den vierten Platz hinaus. Das hat vor | |
allem mit den Qualitätsgräben in der Liga zu tun. Immer noch ist die | |
deutsche Bundesliga sehr unausgeglichen: Das Führungstrio aus Wolfsburg, | |
Freiburg und Bayern verliert gegen den riesigen Bodensatz von Clubs kaum | |
Punkte. Die Potsdamerinnen hingegen vergaben viele dieser Partien in der | |
Hinrunde durch Unentschieden. In den direkten Duellen gegen die Großen | |
fehlt es Turbine dann an spielerischer Klasse und Kreativität. | |
Eine Lücke, die künftig eher größer werden dürfte. Zu Beginn der Rückrunde | |
wurde bekannt, dass Turbine seine Kapitänin Lia Wälti und Urgestein Tabea | |
Kemme verlieren wird. Beide wechseln zu Saisonende ins Ausland. „Es steht | |
außer Frage, dass das ein großer Verlust für die Mannschaft und den Verein | |
ist“, so Rudolph. | |
Vor allem aber ist es ein Zeichen der Zeit. Dem Verein fehlen die | |
finanziellen Möglichkeiten, Spitzenspielerinnen zu halten. Und die | |
Entwicklung im Ausland begünstigt das. In England wird zur neuen Saison die | |
erste reine Frauen-Profiliga im europäischen Fußball entstehen. In Spanien | |
und Italien investieren immer mehr Topvereine der Männerligen in den | |
Frauenbereich. „Die Konkurrenz durch das Ausland ist stärker geworden. Aber | |
das ist gut für den Frauenfußball“, kommentiert Rudolph. Die deutschen | |
Vereine seien gefordert, sich weiterzuentwickeln. „Der Pool an Spielerinnen | |
wird immer größer. Die deutschen Vereine wie Essen, Freiburg, Bremen oder | |
Potsdam bilden hervorragend aus.“ | |
Das ist die positive Deutung: Mehr Investition tut dem Sport gut. Für | |
Turbine aber wird es enger. Bisher profitierte man vom eher übersichtlichen | |
Interesse deutscher Männer-Profivereine am Frauenfußball. Selbst Bayern | |
München lässt seine Frauenmannschaft nur halbherzig laufen; viele Großclubs | |
engagieren sich gar nicht im Spitzenbereich. In Berlin kündigte Hertha BSC | |
dem Frauenfußball 2016 ganz. Union Berlin betreibt eher nebenbei ein Team | |
in der dritten Liga. | |
Deutschland verpasst damit eine internationale Entwicklung. Turbine-Trainer | |
Rudolph verneint derweil eine mögliche Kooperation mit einem | |
Männer-Spitzenverein vehement. „Die Überlegung existiert bei uns überhaupt | |
nicht. Erfolg muss nicht immer nur mit finanziellen Mitteln zu tun haben. | |
Man kann ihn auch mit einem Mix aus guter Jugendarbeit, Weiterentwicklung | |
externer Spielerinnen, viel Training und einem tollen Mannschaftsgeist | |
erreichen.“ | |
Ein guter Ansatz, der sich aber mit externer Förderung ja nicht | |
ausschließt. Im Gegenteil: Ohne die nötigen Mittel übergeht er die | |
Realitäten, wie sie mittlerweile auch im Frauenfußball herrschen. Die | |
letzte Meisterschaft der Potsdamerinnen datiert von 2012; die wichtigen | |
deutschen Nationalspielerinnen sind über die Jahre fast alle abgewandert. | |
Und auch gute Jugendarbeit braucht Geld. Eine Ausbildung ist – das wissen | |
sie in Potsdam – deutlich verlockender, wenn die erste Mannschaft um die | |
Meisterschaft spielt, nicht um Platz vier bis fünf. | |
Möglicherweise sind für Potsdam schlicht keine Optionen zur Kooperation da. | |
Und ein Risiko bestünde dabei natürlich: Wer mit einem großen Geldgeber | |
kooperiert, verliert Identität und macht sich abhängig. Und kann im | |
schlimmsten Fall, wie in Berlin das Team der Lübarserinnen, in die | |
Insolvenz rutschen. | |
Viele reine Frauenvereine aber fallen vor allem, weil sie diesen Geldgeber | |
nicht haben. Matthias Rudolph beharrt trotzdem: „Unsere Philosophie ist es, | |
eigene Spielerinnen auszubilden. Wir werden nicht der Verein sein, der | |
fertige Spielerinnen kauft. Eine Kooperation mit einem Männer-Proficlub | |
steht nicht zur Debatte.“ | |
## Es läuft auf Platz vier hinaus | |
Am Ostersonntag gewinnt wieder einmal das Geld. Der VfL Wolfsburg dürfte | |
wohl erneut deutscher Meister werden. Turbine zeigte eine kämpferisch | |
überzeugende erste Halbzeit und im Kombinationsspiel deutlich verbesserte | |
Ansätze. Offensiv aber bleibt zu vieles ungenau, mühsam und Zufallsprodukt. | |
Der Qualitätsunterschied war deutlich. In der Liga läuft jetzt alles auf | |
einen vierten Platz hinaus. Das ist irgendwie im Soll, aber auch nicht | |
wirklich befriedigend. | |
Ein Konzept für die Zukunft fehlt. Zumindest im DFB-Pokal besteht aber | |
zumindest die Chance auf den ersten Gewinn seit 2006: Turbine trifft im | |
Halbfinale auf Bayern München. Das ist die erste Hürde. Die zweite: Im | |
Finale ginge es wohl gegen Wolfsburg. | |
2 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
## TAGS | |
Turbine Potsdam | |
Frauenfußball | |
Profisport | |
Champions League | |
Frauenfußball | |
Union Berlin | |
Frauenfußball | |
Winterpause | |
Frauensport | |
FC Bayern München | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Personalien bei Turbine Potsdam: Krasse Widerstände | |
Tabea Kemme wäre fast Präsidentin von Turbine Potsdam geworden. Man wird | |
von ihr als Vertreterin einer neuen Frauengeneration gewiss noch hören. | |
Frauenfußball und die Finanzen: Aufstiegsträume für null Euro | |
Union will Spitzenfußball, auch bei den Frauen. Die spielen in der | |
Regionalliga – und der Verein gönnt ihnen nicht mal eine BVG-Karte. | |
DFB-Pokalfinale im Frauenfußball: Ein Highlight, aber kein Wembley | |
Das Finale um den DFB-Pokal der Frauen am Samstag soll Werbung für den | |
Sport sein. Der VfL Wolfsburg und Bayern München handeln danach. | |
Vorschau zur Rückrunde: Jetzt geht es wieder zurück auf den Platz | |
Am Wochenende wird wieder gegen den Ball getreten, die Winterpause ist | |
vorbei. Ein nicht nur fußballerischen Rundblick durch die Ligen. | |
Kolumne Press-Schlag: Der Platz für Frauen auf dem Platz | |
Die ARD-„Sportschau“ könnte die Leerstellen ihrer Sendung mit der | |
Fußball-Bundesliga der Frauen füllen. Warum tut sie es nicht? | |
Frauenfußball-Bundesliga: Wir wären gern die Stärksten | |
Am Samstag beginnt die neue Saison. Favoriten sind wieder Wolfsburg und | |
München. Doch der Ruf, beste Liga der Welt zu sein, hat gelitten. |