# taz.de -- Julia Kristeva angeblich Spionin: Intellektuelle – und Informantin | |
> Weit über Frankreich hinaus ist die Feministin und Schriftstellerin Julia | |
> Kristeva bekannt. Eine Akte legt nun nahe, dass sie eine Spionin war. | |
Bild: Führte Julia Kristeva ein Doppelleben? | |
Julia Kristeva zählt in Paris zweifelsfrei zu den brillantesten | |
Intellektuellen der Gegenwart. Sie ist vielseitig interessiert und | |
talentiert, sie ist [1][weit über Frankreichs Grenzen] hinaus als Sprach- | |
und Literaturwissenschaftlerin, Feministin, Psychoanalytikerin und | |
Schriftstellerin bekannt. Wer sie schon einmal dozieren oder debattieren | |
hörte, ist beeindruckt von dieser blitzgescheiten und redegewandten Frau. | |
Unter dem Titel „Le génie féminin“ publizierte sie die Biografien von drei | |
bedeutenden Frauen: Hannah Arendt, Colette und Melanie Klein. Ihr | |
Lebenslauf ist gespickt mit wissenschaftlichen Begegnungen und | |
Kooperationen – mit Roland Barthes, Michel Foucault, Jacques Derrida, | |
Umberto Eco. Verheiratet ist sie mit dem Erfolgsautor Philippe Sollers. | |
Dank eines Stipendiums durfte die Bulgarin 1965 nach Frankreich ausreisen. | |
Ihr Gatte Sollers erinnerte sich 1996 in einem Gespräch mit der Zeitung | |
Libération: „Sie kam aus Bulgarien, mit einem Koffer und fünf Dollar. Man | |
hat sie als Kommunistin und Spionin behandelt. Sie wollte mich interviewen, | |
ich habe sie nie lange verlassen. Sie war extrem hübsch und intelligent.“ | |
Wusste Sollers damals auch, dass seine Frau unter dem Decknamen „Sabina“ | |
eine Agentin war? Das zumindest legt eine bulgarischen Geheimdienstakte | |
nahe, die nun [2][dem Magazin Nouvel Obs zugespielt wurde.] | |
Die Akte lässt nicht viel Zweifel daran, dass die 1941 geborene Julia | |
Kristeva als Informantin angeworben worden war. „Jemand möchte mir | |
schaden“, meinte sie jetzt, kurz und knapp, zu diesen kompromittierenden | |
Grüßen aus einer vergessenen Heimat und Vergangenheit. Dieses Dementi | |
greift zu kurz – und hat nur dazu geführt, dass als Folge davon inzwischen | |
weitere Dokumente aus öffentlich zugänglichen bulgarischen Archiven | |
aufgetaucht sind. | |
## Strafrechtlich längst verjährt | |
Es ist durchaus vorstellbar, dass sich Kristeva zu einer solchen | |
Agententätigkeit verpflichten musste, um 1965 eine Ausreiseerlaubnis zu | |
bekommen. Doch war es nötig, der bulgarischen „Stasi“, der Dajarna | |
Sigurnost, effektiv Informationen über Intellektuelle und kommunistische | |
Weggefährten oder über Frankreichs Außenpolitik zu liefern, wie dies aus | |
den Enthüllungen im Obs hervorgeht? Angeblich hat sie diese Informationen | |
an einen Verbindungsoffizier nach Sofia geliefert. | |
Laut dem Archivmaterial soll sie namentlich über private Stellungnahmen des | |
damaligen Chefs der Kommunistischen Partei Frankreichs, Roland Leroy, | |
Berichte geliefert haben, oder auch über die Haltung des Dichters Louis | |
Aragon zur sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei. Kristeva | |
selbst begeisterte sich mit ihrem Partner Sollers damals für das | |
maoistische China. | |
Eine Spitzeltätigkeit wie die, derer man Kristeva verdächtigt, wäre | |
strafrechtlich längst verjährt – peinlich bliebe sie aber allemal. Kristeva | |
hat sich in ihrem intellektuellen Ehrgeiz den Eklat letztlich selber | |
eingehandelt: Sie wollte für ein bulgarisches Literaturmagazin schreiben, | |
ein Gesetz aber verlangt, dass für vor 1976 geborene Persönlichkeiten die | |
Vergangenheit geprüft werden muss. Die Archivfalle schnappte zu. | |
3 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Philosophin-Julia-Kristeva-in-Berlin/!5125242 | |
[2] https://bibliobs.nouvelobs.com/actualites/20180330.OBS4419/julia-kristeva-a… | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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