| # taz.de -- In Pirmasens tritt Zuzugsstopp in Kraft: Kein Platz für mehr Flüc… | |
| > Die pfälzische Stadt Pirmasens will ab Montag keine Asylbewerber mehr | |
| > aufnehmen. Was ist passiert? Die Geschichte einer gespaltenen Gemeinde. | |
| Bild: Viele sind gegen den Zuzugsstopp, konnten ihn aber nicht aufhalten. Ziehe… | |
| Pirmasens taz | Daniela Kroiß führt ihre Besucher*innen gern durch das | |
| verwinkelte Gebäude, in dem ihre Kindertagesstätte untergebracht ist. Die | |
| 30-Jährige leitet engagiert die Lutherkita. Das Haus liegt unterhalb der | |
| klassizistischen Lutherkirche, am Rande der Kernstadt von Primasens. Der | |
| Stadtbezirk ist als sozialer Brennpunkt anerkannt. „Wir haben hier 65 | |
| Kinder, 41 davon haben einen Migrationshintergrund. Sie stammen aus 18 | |
| unterschiedlichen Nationen“, kommt die Kitaleiterin schnell zur Sache, | |
| „manche sind von Kriegserlebnissen und Flucht traumatisiert. Die meisten | |
| Familien leben von Transferleistungen, viele Eltern haben keine Arbeit oder | |
| dürfen nicht arbeiten, weil sie als Flüchtlinge noch nicht anerkannt sind“. | |
| Pirmasens ist beliebt bei Flüchtlingen, weil es hier viele freie Wohnungen | |
| und günstige Mieten gibt. Ende Februar hat die Stadt jedoch einen | |
| Zuzugsstopp verhängt, das Medienecho war groß. „Das verschafft uns eine | |
| Verschnaufpause“, sagte der Pirmasenser Oberbürgermeister Bernhard Matheis | |
| (CDU) damals. Bereits im vergangenen Jahr 2017 habe es „Alarmsignale“ von | |
| ehrenamtlichen Helfern, Kindergärtnerinnen und Lehrern gegeben, dass die | |
| Integration nicht mehr möglich sei. Sender*innen des Alarmsignals waren | |
| unter anderem Daniela Kroiß und ihre KollegInnen aus der Lutherkita. | |
| Anfang 2017 hatte sich Kroiß zusammen mit anderen Kitaleiter*innen, | |
| Erzieher*innen und Lehrer*innen in einem dramatischen Appell an die | |
| Stadtverwaltung gewandt. „Wir schaffen es nicht!“ – das sei die Botschaft | |
| derer gewesen, die täglich mit den alltäglichen Problemen des | |
| Flüchtlingszuzugs konfrontiert waren, sagt sie der taz. „Es war ein | |
| Hilferuf, weil es so nicht mehr weiterging“, versichert sie. „Die Belastung | |
| war einfach zu groß.“ Schon das Aufnahmegespräch mit den Eltern sei eine | |
| Herausforderung, berichtet die Kitaleiterin. „Manchmal bringen die Eltern | |
| Bekannte mit, die übersetzen, sonst muss es mit Händen und Füßen gehen.“ | |
| Ohne sprachliche Verständigung ist der Alltag schwierig und all das, was | |
| sonst zügig möglich ist, braucht ungleich mehr Zeit“, stellt die | |
| Kita-Leiterin fest. „Da wir nur wenige deutsche Kinder haben, fehlen zudem | |
| die Sprachvorbilder.“ | |
| ## Zuzugsstopp zunächst für ein Jahr in Kraft | |
| „Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera – wir haben uns für die eine | |
| Krankheit entschieden“, sagt Wolfdietrich Rasp, der Pfarrer der | |
| Luthergemeinde, die die Kita trägt. Er ist nicht wirklich stolz darauf, | |
| dass die Verantwortlichen der Stadt die Notbremse gezogen haben. Aber auch | |
| er weiß, dass es so nicht weitergehen konnte. | |
| Die Stadt hat der rheinland-pfälzischen Integrationsministerin Anne Spiegel | |
| (Grüne) einen Zuzugsstopp für anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber | |
| abgerungen. „Wir sind bereit, Pirmasens kurzfristig zu helfen, da es dort | |
| eine besondere Situation gibt“ hatte die Ministerin nach zahlreichen | |
| Gesprächen im Februar dieses Jahres angekündigt. | |
| Die entsprechende Anweisung an die Ausländerbehörden wurden am vergangenen | |
| Dienstag verschickt. [1][Am Montag tritt er nun in Kraft, zunächst auf ein | |
| Jahr befristet.] Bis dahin soll die Stadt über ihre Fortschritte bei der | |
| Integration berichten. | |
| In der „Löwengruppe“ bastelt die Erzieherin mit drei Kindern. An einem | |
| anderen Tisch malen drei Mädchen bunte Bilder. Vier lebhafte Jungs, Joshua, | |
| Melek, Sajid und Elias, toben durch die Gegend. Im Nebenraum geht es | |
| ruhiger zu. Zwei „Löwenkinder“ sind bei Lisa Zäh in der Sprachförderung. | |
| Talya, 4, und Julia, 3, beide aus Syrien, schauen sich Vorlagen an und | |
| malen. Die Kinder erkennen die meisten der Gegenstände, finden die | |
| deutschen Worte. | |
| ## Pirmasens war mal blühender Standort der Schuhindustrie | |
| Manchmal rutscht Talya ein englisches Wort heraus. Auf ihrem langen Weg aus | |
| Syrien haben sie schon viele Sprachen gehört. Julia hat ein Haus gemalt. | |
| „Was ist mit dem Haus?“, fragt Lisa Zäh. „Es ist kaputt“, antwortet Ju… | |
| „Wer ist denn da drin?“, fragt ihre Betreuerin. „Mama“, sagt Julia. Der… | |
| zum Haus ist versperrt. „Da kann man nicht hin, da ist Baustelle“, sagt | |
| sie. Was sie wohl in Syrien erlebt hat? | |
| Ihre Sprachförderin berichtet der Kitaleiterin stolz: „Es ist erstaunlich, | |
| wie viele deutsche Wörter die beiden bereits beherrschen. In der Gruppe | |
| kommen diese Mädchen nämlich kaum zu Wort“, sagt sie. Die meisten Kinder in | |
| der Lutherkita hätten ein paar Stunden Betreuung in kleiner Runde nötig, | |
| nicht nur zur Sprachförderung, sagt die Kitaleiterin. „Es fehlt an | |
| Personal, wir müssten den Mitarbeiter*innen mehr Fortbildung anbieten und | |
| wir würden uns gern mehr um die einzelnen Kinder kümmern können,“ sagt sie. | |
| Pirmasens hat nicht nur durch die Schwierigkeiten bei der Integration von | |
| Flüchtlingen Probleme. Die Stadt war einst ein blühender Standort der | |
| Schuhindustrie. Der legendäre Fußballklub FKP spielte in den 60er und 70er | |
| Jahren mehrfach um den Einzug in die erste Bundesliga. Doch mit dem Ende | |
| der Schuhproduktion in Deutschland begann der Abstieg. Die Stadt hat | |
| seitdem ein Drittel ihrer Bevölkerung verloren. Die Arbeitslosigkeit ist | |
| mit 12,5 Prozent fast dreimal so hoch wie im übrigen Rheinland-Pfalz. Es | |
| gibt hier „verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit“. Ein Drittel aller Kinder | |
| lebt von Transferleistungen. | |
| „Wir kommen mit diesen Problemen zurecht, mit einem funktionierenden Netz | |
| aus Institutionen, Vereinen und Initiativen“, versichert Bürgermeister | |
| Markus Zwick, CDU. Als ehemaliger Jugend- und Sozialamtsleiter kennt er | |
| sich aus. Nicht die erste Flüchtlingswelle im Jahr 2015 habe die Stadt an | |
| ihre Grenzen gebracht. „Mit den gut funktionierenden Systemen haben wir | |
| diese Aufgabe bewältigen können,“ sagt er. Pirmasens musste nach dem | |
| geltenden Schlüssel rund 570 Flüchtlinge unterbringen. Doch es sind | |
| inzwischen 1.300 angekommen, mehr als doppelt so viele. „Damit sind wir | |
| überfordert“, sagt der Bürgermeister der hochverschuldeten Stadt. | |
| ## Leuchtturmprojekt der Flüchtlingshilfe in der Fußgängerzone | |
| Wenn Asylbewerber anerkannt sind oder ihnen offiziell ein Schutzstatus | |
| zugebilligt wird, können sie ihren Wohnort frei wählen. Gerade weil es in | |
| Pirmasens ein funktionierendes soziales Netz gebe, weil preiswerte | |
| Wohnungen angeboten würden, seien Flüchtlinge in großer Zahl nach Pirmasens | |
| gekommen, sagen die Verantwortlichen. Dieser Zuzug soll jetzt gestoppt | |
| werden. | |
| Doch weder die Offiziellen noch die Ehrenamtlichen geben die Hoffnung auf, | |
| dass Integration auch unter schwierigen Bedingungen möglich ist. | |
| Kitaleiterin Kroiß zeigt der taz stolz ein Leuchtturmprojekt der | |
| Flüchtlingshilfe. Es entsteht gerade in der Pirmasenser Fußgängerzone, und | |
| auch die Lutherkita soll davon profitieren. Hundert Meter Luftlinie von der | |
| Kita entfernt wird unter Federführung der Diakonie das Begegnungszentrum | |
| „Mittendrin“ eingerichtet. | |
| Der Platz vor dem Haus in der Hauptstraße 80 wirkt trostlos. Im Laden, in | |
| dem das „Mittendrin“ entsteht, herrscht aber bereits Aufbruchstimmung. Es | |
| wird gewerkelt, geschraubt und gestrichen. Projektleiter Albert Gomille | |
| berichtet von den vielen Unterstützern, Einzelpersonen, Vereinen und | |
| Institutionen. Ein „niederschwelliges“ Angebot für alle, Jung und Alt, | |
| Deutsche und Migranten soll hier entstehen. | |
| Es gibt ein Büro, in dem Einzelgespräche angeboten werden, etwa durch | |
| Fachberater des Jobcenter oder der Drogen- und Suchthilfe. In einem | |
| Gruppenraum könnte es Sprachkurse geben. Gomille hofft, das auch | |
| Langzeitarbeitslose diesen Treffpunkt annehmen. „Gerade für sie ist die | |
| Rückgewinnung des sozialen Raums wichtig“, sagt er. | |
| ## Das Mainzer Bildungsministerium weist die Kritik zurück | |
| Dass sich Deutsche und Zuwanderer „mittendrin“ treffen, miteinander reden, | |
| kochen, lachen, singen und tanzen, ist seine Vision. Den Vermieter, Bernd | |
| Ernst, hat er jedenfalls für sein Projekt gewinnen können. „Wir müssen was | |
| tun“, sagt Ernst, der seinen Laden für eine günstige Miete zur Verfügung | |
| stellt. „Die machen eine tolle Arbeit“, ist er überzeugt. | |
| Stadt und Land unterstützen „Mittendrin“. Ein solches Begegnungszentrum sei | |
| geeignet, kulturelle Missverständnisse auszuräumen, und wirke | |
| deeskalierend, sagt Bürgermeister Zwick. | |
| Eigentlich müsste aber noch mehr geschehen, findet man in Pirmasens. „Es | |
| geht nicht an, dass für Kitas mit hohen Integrationsaufgaben derselbe | |
| Personalschlüssel gilt wie für alle anderen“, sagt Bürgermeister Zwick. | |
| „Das Land zahlt nichts für die Sozialarbeit in den Grundschulen, die beiden | |
| Sozialarbeiter, die sich acht Schulen teilen müssen, bezahlen wir“, sagt | |
| er. | |
| Das Mainzer Bildungsministerium weist die Kritik zurück. Für die | |
| Schulsozialarbeit in Grundschulen seien die Kommunen zuständig. Die | |
| mögliche Förderung der Schulsozialarbeit für die weiterführenden Schulen | |
| schöpfe Pirmasens nicht einmal aus. Es stehe der Stadt außerdem frei, wegen | |
| der besonders schwierigen Integrationsaufgaben zusätzliche | |
| Kitamitarbeiter*innen einzustellen, deren Bezahlung das Land auf Antrag zu | |
| 60 Prozent übernehmen würde, erklärte das Ministerium der taz. Man habe die | |
| Stadt „unterstützt, wie sie die ihr zustehenden Möglichkeiten realisieren | |
| kann“. Dabei werde man Pirmasens gern auch in Zukunft beraten. | |
| 25 Mar 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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