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# taz.de -- Die Wahrheit: Nazis in Nadelstreifen
> Kann man über die AfD noch Satire schreiben? Auf jeden Fall kann man eine
> wenn auch unvollständige Chronik der Widerwärtigkeiten erstellen.
Kürzlich veröffentlichte das ARD-Politmagazin „Panorama“ Antworten von
Deutschen aus dem Jahr 1934 auf die Frage, warum sie Mitglieder der NSDAP
geworden waren. Wiederkehrende Motive waren: der Ärger über die Medien und
die alten Parteien, denen man nicht über den Weg trauen könne, die
Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung sowie die Angst vor den Fremden im Land,
„wo deutsche Frauen und Mädchen von schwarzen Bestien ungestraft geschändet
werden konnten“.
Das Frappierende: Die Äußerungen ähneln bis in den Wortlaut hinein jenen,
die wir von AfD-Wählern, Pegida-Gängern und aus Onlinekommentaren von
Wutbürgern kennen: „Es ist diesen Volksvergiftern leider nur zu gut
gelungen, einen großen Teil durchaus ehrbarer Volksgenossen durch Wort und
Schrift übelster Couleur zu verseuchen“, heißt es da; oder: „Jetzt wussten
wir, dass es mit der Macht der schwarzen und roten Bonzen vorbei war. Dass
ein neues Deutschland geschaffen werden würde.“
Der einzige Unterschied: Die wenigsten von denen, die sich heute so äußern,
wollen als Nazi bezeichnet werden. Denn die Nazis haben den Ruf der Nazis
so versaut, dass nicht mal mehr Nazis Nazis sein wollen.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch das „Dritte Reich“ nicht mit
der Endlösung begann und der Zweite Weltkrieg sechs Jahre nach der
Machtergreifung. Wer wird denn gleich mit dem Tor ins KZ fallen wollen?
Doch wohin die Reise auch diesmal gehen soll, darüber muss man sich
angesichts der Radikalität und Tonalität der Äußerungen einer Vielzahl von
AfD-Funktionären keinerlei Illusionen hingeben: Da ist der Berliner
AfD-Abgeordnete Kay Nerstheimer, der syrische Flüchtlinge als „widerliches
Gewürm“ und Homosexuelle als „degenerierte Spezies“ bezeichnet; da ist d…
Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, der Türken
„Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“ nennt und der „linksextreme Lump…
deutschen Hochschulen verbannen und praktischer Arbeit zuführen will.
## Partei mit Holocaustleugner
Da ist die vielzitierte Dresdner Rede des Thüringer AfD-Chefs Björn
„Landolf“ Höcke, der erklärt, Deutschland habe „sich ein Denkmal der
Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt“, und der eine
„erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert – kurz: der die
Entnazifizierung ungeschehen und die Lehren aus dem Nationalsozialismus
vergessen machen will. Geradeso wie es sein Bundesvorsitzender Alexander
Gauland bereits tut, der stolz sein möchte auf die Leistung deutscher
Soldaten im Zweiten Weltkrieg – also den Überfall auf Polen, Frankreich und
die Sowjetunion, das Massaker von Babyn Jar an mehr als 30.000 jüdischen
Männern, Frauen und Kindern, auf jene tapferen Kameraden, die an vorderster
Front selbstverständlich auch Auschwitz und Buchenwald verteidigt haben.
Da ist der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon, den
man gerichtsfest einen Holocaustleugner nennen darf und der die
Stolpersteine zum Gedenken an die Judenverfolgung abschaffen will. Da ist
der „kleine Höcke“ aus Dresden, der sächsische Bundestagsabgeordnete und
Richter Jens Maier, der von der „Herstellung von Mischvölkern“ in
Deutschland fabuliert und der Verständnis für den norwegischen
Rechtsterroristen Anders Breivik äußert, der nur „aus Verzweiflung heraus
zum Massenmörder geworden“ sei.
Sympathien für Rechtsterrorismus hegt auch der Rostocker AfD-Mann Hans
Arppe, der über den Terrorverdächtigen Jan Hendrik H. schreibt: „Der Typ
würde perfekt in unsere Reihen passen. Er hasst die Linken, hat einen gut
gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die
Linken irgendwann völlig verrückt spielen, bin ich vorbereitet.“ Fürderhin
ergeht sich Arppe in ausschweifenden Gewaltfantasien: „Das ganze rotgrüne
Geschmeiß“ solle man „aufs Schafott schicken. Und dann das Fallbeil hoch
und runter, dass die Schwarte kracht.“ Für die „widerlichen grünen
Bolschewisten“ solle man eine „Grube ausheben, alle rein und Löschkalk oben
rauf“.
## Partei mit Terrorhumor
Der Kreisverband Salzgitter feierte das Ergebnis der Bundestagswahl auf
Facebook mit den Worten: „Die nächste Phase im Krieg gegen dieses
widerwärtigste System, das je auf deutschem Boden existierte, nimmt nun
ihren Anfang.“ Rund 50 Landtags- und Bundestagsabgeordnete der AfD wiederum
waren laut Medienberichten Mitglieder der rechten Facebook-Gruppe „Die
Patrioten“, in der unter anderem eine Fotomontage geteilt wurde, bei der
das Gesicht Anne Franks auf eine Pizzaschachtel der Marke „Die Ofenfrische“
montiert worden war. Das ist der Humor des Terror-Trios NSU, der das an
Monopoly angelehnte Brettspiel „Pogromly“ vertrieb. Denn Obwohl die
AfD-Anhänger endlich einen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte
ziehen wollen, fangen sie doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit selbst
davon an, regelrecht besessen sind sie von ihr – psychologisch gesehen eine
typische Abspaltung.
Auf Entschuldigungen wartet man nach derartigen Vorfällen
selbstverständlich vergeblich – und die Erklärungen sind absichtsvoll so
gehalten, dass nicht mal die eigene degenerierte Anhängerschaft an sie
glaubt: Mal ist ein nicht genannter Mitarbeiter schuld, mal ist jemand mit
der Maus ausgerutscht! Zur Not wird die Lieblingsausrede aller Deutschen zu
allen Zeiten bemüht: Man habe von alledem nichts mitbekommen … Aus der
Partei wird deswegen niemand geworfen – viele Mitglieder blieben sonst auch
nicht übrig. Als ärgste Konsequenz ist üblicherweise eine Abmahnung zu
befürchten, was ungefähr so nachhaltig ist wie ein Eintrag ins Klassenbuch
in der dritten Klasse wegen Kaugummikauens oder Kippelns.
## Partei mit Kriminalitätsschwerpunkt
Klar, dass sich von so viel moralischer Verkommenheit und Niedertracht –
ebenso wie in der islamistischen Szene – auch gewöhnliche Kriminelle
angezogen fühlen: Da ist der Brandenburger Landtagsabgeordnete, der
kürzlich wegen Zigarettenschmuggels verurteilt wurde; da ist das
Bundestagsmitglied, das die Richter zu einer Bewährungsstrafe von sechs
Monaten verurteilten, weil es an einem Hooligan-Überfall auf andere
Fußballfans beteiligt war. Und gegen einen Landtagsabgeordneten in
Sachsen-Anhalt ermittelt die Erfurter Staatsanwaltschaft derzeit wegen
Vergewaltigung. Die Immunität von Mandatsträgern des
Kriminalitätsschwerpunkts AfD wird von den Parlamenten mittlerweile
schneller aufgehoben als Richter Maier das Wort „Halbneger“ buchstabieren
kann.
Diese Mischung aus Verherrlichung des Nationalsozialismus, krimineller
Energie, Gewaltfantasien und dem üblichen AfD-Tourette ließe sich noch
beliebig fortführen – doch wozu? Es kann kein Vertun mehr darüber geben,
was die AfD will und ist. Denn nur, weil Nazis keine Nazis sein wollen,
heißt das noch lange nicht, dass sie nicht welche sind.
Was das alles auf einer Satire-Seite verloren hat? Keine Ahnung – Satire
darf alles. Sogar vollkommen ernst gemeint sein.
17 Mar 2018
## AUTOREN
Philip Meinhold
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Björn Höcke
NSDAP
Israel
Extra 3
SPD
Zeitgeschichte
Jürgen Todenhöfer
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