# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Wollen wir so einen Fußball? | |
> Per Mertesackers Klage über das unmenschliche Business zeigt, wie wenig | |
> wir seit dem Suizid des Torwarts Robert Enke gelernt haben. | |
Bild: Hat die Faxen dicke: Per Mertesacker | |
Per Mertesacker hat dem aktuellen Spiegel ein wirklich [1][bemerkenswertes | |
Interview] gegeben. Es ist eines von der seltenen Sorte, das man jedem | |
Anhänger, Journalisten und Vereinsverantwortlichen zur Lektüre auf den | |
Tisch legen sollte. In einem der wenigen ehrlichen Momente des Geschäfts | |
hat er den Druck, das Leid und die Versagensangst als Fußballprofi | |
geschildert. Die Deutlichkeit ist erschreckend. Vor allem belegt sie, dass | |
sich seit dem Suizid von Robert Enke im Grunde überhaupt nichts geändert | |
hat. | |
Er habe „einfach keinen Bock mehr“, resümiert Mertesacker. Er spricht von | |
totaler Erschöpfung in einem Geschäft, wo es „null mehr um Spaß geht, | |
sondern dass du abliefern musst, ohne Wenn und Aber. Selbst wenn du | |
verletzt bist.“ Mertesacker beschreibt, wie er vor jedem Spiel unter | |
Brechreiz und Durchfall gelitten habe, wie er im Bett vor Versagensangst | |
zitterte; den Druck durch Fans und Medien nennt er „unmenschlich“. | |
Beim WM-Aus 2006 gegen Italien habe er nur gedacht: „Endlich ist es | |
vorbei.“ Und Verletzungen schildert er als Erleichterung. „Es ist der | |
einzige legitimierte Weg, eine Auszeit zu bekommen.“ | |
Kaum je ist ein aktiver deutscher Profi so deutlich geworden. Auch der | |
kritische Geist Mertesacker tut die Äußerungen erst zum Ende seiner | |
Karriere. Erstaunlich ist das nicht. Ein junger Spieler, der es wagen | |
würde, derart das System infrage zu stellen, würde wochenlang durch die | |
Medien gereicht werden. Als „echter Typ“ gefeiert werden und gleichzeitig | |
als zu weich gelten, als psychisch labil möglicherweise. | |
Und welcher Manager verpflichtet jemanden, der vor Spielen nur noch kotzen | |
will? Journalisten habe er oft „als Aasgeier empfunden“, sagt Mertesacker | |
wörtlich. Auch er erinnert sich an den Tod von Robert Enke, wo nach einer | |
Woche schönen Geredes von mehr Menschlichkeit „alles war wie zuvor“. Wir | |
haben wenig aus Enke gelernt. | |
## „Ich will das System angreifen“ | |
Welcher Medienschaffende macht sich ernsthaft Gedanken darüber, was der | |
Druck und die öffentliche Sezierung mit 20-Jährigen anstellen? Wie wenig | |
wir reflektieren. Wie wenig auch Fans sich hinterfragen, was es bedeutet, | |
wie jetzt in Hamburg die Spieler mit Grabkreuzen zu bedrohen. Und das | |
Problem ist systemisch. Der Verteidiger beschreibt eine Generation von | |
Spielern, die sich „der Mühle“ hingibt und durchzieht, weil es anders nicht | |
auszuhalten ist. Die wenig Solidarität untereinander kennt, sondern vor | |
allem die Furcht, vor dem anderen keine Schwäche zuzugeben. Ein | |
erbarmungsloses „Survival of the fittest“. Darwin deluxe. | |
Womöglich ist das ein Grund, warum auch der Arsenal-Profi erst jetzt die | |
Worte findet, darüber zu sprechen. Im rücksichtslosen Profigeschäft bleibt | |
keine Minute, nachzudenken. Warum er trotzdem weitermachte? Die Liebe zum | |
Fußball, sagt er, die Begeisterung der Menschen, und, ja, auch das Geld. | |
„Es ist wie ein Strudel, aus dem du nicht herauskommst.“ | |
Am Geschäft werden seine Worte absehbar wenig ändern. Was heute Klicks | |
bringt wegen der guten Zitate, ist morgen vergessen. Auch die | |
Team-Psychologen, die als einer der wenigen Effekte nach Enke vermehrt in | |
die Bundesliga kamen, scheinen kaum zu helfen: Laut Mertesacker meiden | |
Spieler sie, aus Angst vor Gesichtsverlust im Team. Und was ist das | |
überhaupt für ein Sport, in dem Spieler von Psychologen gepäppelt werden | |
müssen, weil sie es sonst nicht ertragen? Wollen wir wirklich so einen | |
Sport? | |
Die offenen Worte eines scheidenden Profis sollten uns allen eine Warnung | |
sein, das eigene Verhalten zu reflektieren; sich nicht mit dem Argument der | |
ach so verwöhnten reichen Profis aus der Verantwortung zu stehlen. Wenn | |
Körper und Seele kaputt sind, hilft ein Millionengehalt nicht mehr viel. | |
Per Mertesacker wird im Sommer die Nachwuchsakademie von Arsenal | |
übernehmen. Er hat gesagt: „Ich will das System angreifen.“ Es ist ihm zu | |
wünschen, dass er Mitstreiter findet. | |
11 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/spiegel/per-mertesacker-von-arsenal-london-ueber-die-… | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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