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# taz.de -- Der Hausbesuch: Gegen schräge Maschen
> Der Liedermacher Ludwig Domrös wohnt in einer WG in Cottbus. Er tut viel
> dafür, dass das ausländerfeindliche Image der Stadt nicht das einzige
> ist.
Bild: Ludwig Domrös in der WG-Küche. Dort, wo Ideen ausgeckt werden
Cottbus, die Stadt unweit der polnischen Grenze, machte im Januar
Schlagzeilen: Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Ausländerfeinden und
Geflüchteten befeuerten die Hetze der Rechten. Einige halten dagegen, wie
der 26-jährige Ludwig Domrös von der Zelle79, einem linken Wohnprojekt.
Draußen: Zwischen Ingenieurbüros, Arztpraxen und frisch verputzten Häusern
liegt die Zelle79. Unten lila gestrichen, so hoch die Leiter eben ging,
darüber rußig. Auf dem Nachbargrundstück sucht der Kampfmittelräumdienst
nach Sprengstoff im Untergrund. Auch an der Oberfläche liegt explosives
Potenzial: Die Tischlerei an der Ecke gehört dem stellvertretenden
AfD-Kreisvorsitzenden von Cottbus. Vor zwei Jahren gab es auf die Zelle79
einen Brandanschlag, Nazischmierereien kommen häufiger vor. Vom Dach aus
sieht man die Spree.
Drinnen: Die Wände sind voller Plakate: Konzerte (dafür), Feminismus
(dafür), Umwelt (dafür), Nazis (dagegen). Die Treppenstufen sind
durchgelaufen, in der Küche riecht es nach Gemüsesuppe und Kaffee. An der
Wand ein Sofa, davor der große WG-Tisch. Wer nachts noch eine zündende Idee
hat, schreibt sie auf die Tischplatte.
7. Oktober: Domrös hat am selben Tag Geburtstag wie die DDR. Beeindruckt
indes hat ihn mehr der Widerstand gegen das System. Sein Vater wurde von
der Straße weg verhaftet, weil er Westjeans und lange Haare trug. Auch bei
seinem Opa, der sich als brandenburgischer Landesjugendpfarrer bei
„Schwerter zu Pflugscharen“ engagierte, „stand irgendwann jemand vor der
Tür und sagte: ‚Die Zahnbürste dürfen Sie mitnehmen.‘
Was er sonst noch mitbringt: Als „gebildete Arbeiterschicht“ beschreibt er
seine Herkunft. Die Mutter ist Krankenschwester und Kirchenmusikerin. Auch
der Vater macht Musik, Blues und Rock’n’ Roll. Die Eltern pushen ihn
musikalisch – „was Besseres hätte mir überhaupt nicht passieren können�…
Sonst aber lassen sie ihrem Sohn die Freiheit, seinen eigenen Weg zu
finden. Zum 50. Geburtstag des Vaters spielte er mit ihm zusammen das Lied
„Ich will nicht werden, was mein Alter ist“ von Ton Steine Scherben.
Kirche: Bis er achtzehn war, war er praktizierender Christ, „also auch mit
bunten Haaren und Lederjacke nach’nem durchzechten Abend sonntagmorgens
wieder im Gottesdienst“. Die gewohnheitsmäßige Gläubigkeit in der Kirche
kam ihm mit der Zeit immer bedeutungsloser vor. „Das wurde alles immer
absurder, ich kann mit Religion heute nicht mehr viel anfangen.“
Dörfer: Als Ludwig Domrös fünf Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm
aus Berlin in die brandenburgische Provinz. In Dörfer mit wenigen Straßen:
Niewisch, Zaue, Lieberose. Dann jedoch trennten sich die Eltern; er zog mit
seiner Mutter auf den Bauernhof ihres neuen Freundes. In der Grundschule
war er Außenseiter, er sagt: „Ich war immer schon extrem groß, schlaksig,
ein bisschen langsam und verschlossen.“ Nur mit wenigen von dort hat er
heute noch Kontakt. „Als ich mit sechzehn noch mal zu Besuch da war, war
die Hälfte meiner Klasse Nazis geworden“.
Gartennazis: In Cottbus traf er Leute, die „auch ein bisschen anders
ticken“. Im Gymnasium machte er in den Pausen mit den Schulpunks Musik.
Auch hier zeichneten sich bei den Jugendlichen bald die politischen Gräben
ab. „Wir hatten unsere Ecke, und die Nazis haben sich einen kleinen Garten
eingerichtet, wo sie nur ihre Leute reingelassen haben.“ Man weiß, wer
wohin gehört, Cottbus ist eine Kleinstadt. Bei seiner Arbeit in einer Bar
redet er mit Menschen verschiedenster Überzeugungen. „Das Leben hier macht
es einem schwer, in der Blase zu leben“, sagt er.
Babička: Nach der Schule machte er einen Freiwilligendienst in Tschechien.
Die Aktion Sühnezeichen schickte ihn zu der Organisation Živá paměť –
„lebende Erinnerung“. Er besuchte ehemalige ZwangsarbeiterInnen, ging mit
ihnen spazieren, einkaufen, die meisten hatten einfach das Bedürfnis, zu
reden. Eine alte Frau, hatte ihre Familie im KZ verloren, als „Babička“
stellte sie sich vor, er war vorübergehend ihr Ersatzenkel. „Die war
richtig abgefahren“, sie nahm ihn zu Konzerten mit, auf den jüdischen
Friedhof, zum Chanukka-Fest. Für ihn war der Sinn des Freiwilligendienstes,
„dass Jugendliche auch drei Generationen später zeigen, dass sie gegen das
stehen, was damals passiert ist“.
Die Zelle: Einer der Freiräume für Andersdenkende in Cottbus ist die
Zelle79, hier fand Domrös nach seiner Rückkehr aus Tschechien ein Zuhause.
Zwei WGs, acht Menschen, man teilt, was man hat, respektiert aber die
Privatsphäre der anderen. Die „Zelle“ ist Wohnprojekt, Bibliothek,
Basislager, hier werden Demos und Veranstaltungen geplant, abends trifft
man sich zum Musikmachen und Feiern.
Freiräume: Der Verein für ein multikulturelles Europa steht hinter dem
Wohnprojekt, zusammen mit anderen linken Gruppen setzen sie eigene Akzente
gegen die Rechten in Cottbus. Bei der Nachttanzdemo zum Beispiel, einer
politischen Straßenparty, bei der Flüchtlingsdemo und bei den
Aktionswochen zum Kriegsende in Cottbus. Da der Mietvertrag bald ausläuft,
will das Kollektiv das Haus kaufen, dafür [1][sammeln sie nun Geld]. Für
Domrös steht aber fest: „Egal was passiert, hier ausziehen ist keine
Option.“
Blauschimmel: „Und wir stelln uns / in den Weg / damit der Wind irgendwann
aus der andren Richtung weht“ – um eigene Utopien gegen rechte Ideologie
und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft geht es Domrös auch in seinen
Liedtexten. Unter dem Namen „Yuppiescheuche“ tritt er als Singer-Songwriter
auf, spielt dazu Gitarre in der Punkband „Käptn Blauschimmel“. Inzwischen
gibt es dank des Engagements von Domrös und vielen Mitstreitern und
Mitstreiterinnen eine vielfältige Subkultur in Cottbus. Das Jugendzentrum
Chekov als Treffpunkt für Bands aus der Umgebung etwa, und das selbst
organisierte Festival [2][„Stuss am Fluss“,] das am Ufer der Spree
stattfindet.
Aufstand: Anderthalb Monate reiste Domrös 2016 zusammen mit anderen
StraßenkünstlerInnen durch Deutschland und die Schweiz. Sie spielten
Konzerte vor Gefängnissen, sie wollten ein System kritisieren, das Knäste
braucht. Kontakt zu den Häftlingen zu bekommen war schwierig, in
Stuttgart-Stammheim aber kamen sie nah genug ran, dass der Funke
übersprang. „Wir hatten das Gefühl, wir lösen einen Riot aus“, erzählt …
aus den Gefängnisfenstern seien „Antifa“-Rufe geschrien worden, „und die
Gefangenen rüttelten an den Gitterstäben“. Als die Polizei den
StraßenkünstlerInnen Platzverweise erteilt, „bekamen die zwanzig Minuten
lang einen Beleidigungshagel von drinnen ab.
Mikrokosmos: Ob eine Gesellschaft ohne Knäste auskommen kann? Einfach
stellt er sich das nicht vor. Aber zumindest möchte er Alternativen zu
einer Gesellschaft und einer Wirtschaftsform suchen, „in der man mit Druck
und Zwang bekloppt gemacht wird“. Im linken Mikrokosmos, sagt er,
funktioniert das schon. Man unterstützt sich, auch finanziell, engagiert
sich für gemeinsame Ziele. „Wenn so eine Solidarität gesellschaftlich mehr
verbreitet wäre, könnte man viel Druck aus den Verhältnissen nehmen, dann
hätte Besitz nicht so einen Wert, wie er es heute hat.“
Zukunft: Als Nächstes kommen der Hauskauf, die geplanten Konzerte, „Stuss
am Fluss“. Danach will er noch mal weg, für ein, zwei Jahre. Die
zapatistische Bewegung in Mexiko interessiert ihn. Dann jedoch will er
wieder zurückkommen. Er mag das Kleinstädtische, die Leute, mit denen er
aufgewachsen ist. Lieber nämlich will er „hier was aufbauen als sich
beschweren, dass es nichts gibt“.
… und was hält er von Merkel? Den Spruch „Merkel muss weg“ findet er
unsinnig, als sei sie für alle Flüchtlinge verantwortlich. Ihre
Willkommensrhetorik verschleiere aber die konservative Politik mit
ständigen Asylrechtseinschränkungen. „Eine schräge Masche“, findet er.
16 Mar 2018
## LINKS
[1] http://zelle79.blogsport.eu/?page_id=2
[2] https://stussamfluss.de/
## AUTOREN
Niklas Vogel
## TAGS
Der Hausbesuch
Cottbus
Schwerpunkt Antifa
Popmusik
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