# taz.de -- SyrerInnen in der Türkei: „Warum kämpft ihr nicht?“ | |
> Viele sind vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Türkei geflüchtet. Die | |
> Militäroperation „Olivenzweig“ macht ihnen nun das Leben schwer. | |
Bild: Ständig erklären müssen, warum sie gekommen sind: SyrerInnen in der T�… | |
Der 32-jährige Mehmud Heso* flüchtete vor fünf Jahren mit seiner Familie | |
vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Türkei. Sein Leben gestaltete sich | |
seither so schwierig wie für viele andere syrische Flüchtlinge. Es gab aber | |
immer auch Fortschritte. Vor drei Jahren konnte er bei einer syrischen | |
Fernsehproduktionsfirma in Istanbul anfangen zu arbeiten. Anfangs lebten | |
Heso und seine Familie in einem Haus mit Verwandten, später konnten sie | |
eine eigene Wohnung anmieten und diese mit gebrauchten Möbeln einrichten. | |
Dann fand er eine Schule für seine Kinder. Das Leben normalisierte sich | |
nach und nach für Heso und seine Familie. | |
Was ihn nun aber besorgt, sind Ansagen des türkischen Staatspräsidenten | |
Erdogan. Der sprach nach dem Beginn der türkischen Militäroperation im | |
nordsyrischen Afrin immer wieder davon, die syrischen Flüchtlinge | |
zurückzuschicken. Aussagen, die einen bestimmten Teil der türkischen | |
Gesellschaft ermutigt, dem die über drei Millionen syrischen Geflüchteten | |
im Land ohnehin ein Dorn im Auge sind. | |
## Die Fragen sind wieder da | |
Schon am Anfang seiner Zeit in der Türkei waren es alltägliche Begegnungen | |
und Dialoge, die Heso das Leben schwer machten:„Wir wurden damals immer | |
gefragt: Warum seid ihr in die Türkei gekommen, warum habt ihr nicht | |
gekämpft?“ Es sind Fragen, die mit den Jahren abnahmen. Um durchzuhalten, | |
gründeten sie mit ihren Familien ein neues Leben in der Türkei, erzählt | |
Heso. | |
Jetzt aber ist die rassistische Rhetorik wieder omnipräsent: auf den | |
Straßen, im Supermarkt, in öffentlichen Verkehrsmitteln: „Seit der | |
Afrin-Offensive sind wir wieder mit diskriminierenden Äußerungen wie am | |
Anfang konfrontiert. Jetzt heißt es: 'An eurer Stelle kämpfen wir.’“, sagt | |
Heso. Sie, die geflüchteten SyrerInnen, stünden nun wieder ganz am Anfang. | |
Denn der Diskurs ändere sich, doch angesprochen seien immer dieselben: die | |
SyrerInnen. | |
Dabei sei er noch nicht bereit, nach Syrien zurückzukehren, sagt Heso. Oder | |
besser: Seine Heimat ist nicht bereit. „Erst wenn Syrien wieder ein Land | |
ist, in dem man leben kann, will ich dahin zurück“, sagt er. | |
## Neue Nervosität | |
Volkan Görendağ, Koordinator für die Rechte von Geflüchteten bei Amnesty | |
International, findet es emotional und juristisch problematisch, dass | |
syrische Flüchtlinge zur Verhandlungsmasse der Politik gemacht werden. | |
Er weist darauf hin, dass rassistische Diskurse dieser Art bereits mit der | |
Operation „Schutzschild Euphrat“ von 2016 bis 2017 eingesetzt hätten, mit | |
Afrin verschärfe sich die diskriminierende Rhetorik weiter. Die Sprache der | |
Medien habe erheblichen Einfluss. | |
Laut einer Studie des Forschungszentrums für Migration an der Bilgi | |
Universität ist das Thema, auf das sich die polarisierte Gesellschaft in | |
der Türkei am ehesten einigen kann, die Frage, was mit den geflüchteten | |
SyrerInnen geschehen soll. Dem Satz „Die SyrerInnen sollten zurückgeschickt | |
werden“, stimmten 83 Prozent der AKP-AnhängerInnen, 93 Prozent der | |
CHP-WählerInnen, 88 Prozent der MHP-AnhängerInnen und 75 Prozent der | |
HDP-WählerInnen zu. | |
Wegen der Afrin-Offensive, sagt Görendağ, steige das Risiko, dass | |
SyrerInnen als Sündenböcke dargestellt werden: „Wir glauben, dass die Syrer | |
ein bequemes Leben haben. Dabei arbeitet ein großer Teil der Syrer in der | |
Türkei unter sklavischen Verhältnissen für das tägliche Brot. Viele | |
Arbeitgeber beuten sie aus.“ | |
## Gekommen, um zu gehen? | |
Seit ihrer Ankunft seien die SyrerInnen stets daran erinnert worden, dass | |
sie nur „vorübergehend“ in der Türkei seien: „Wir waren nicht in der La… | |
den Syrern zu sagen: Ihr seid ein Teil dieses Landes. Und leider wurden | |
auch keine entsprechenden Integrationspolitiken aufgelegt.“ | |
Statt dauerhaften Aufenthalt habe die Türkei den SyrerInnen lediglich einen | |
provisorischen Status zuerkannt. Laut Görendağ hänge es immer auch von der | |
jeweiligen Konjunktur und aktuellen Politik ab, wie die Stimmung gegenüber | |
den SyrerInnen ausfällt. | |
Jüngst gab die Migrationsbehörde bekannt, dass Istanbul offiziell keine | |
syrischen Geflüchteten mehr aufnehmen werde. Laut Görendağ wird der | |
Aufnahmestopp aber nicht dazu führen, dass keine SyrerInnen mehr kommen. | |
Arbeit gibt es vor allem in Istanbul. Deshalb werden Millionen Geflüchtete | |
hier inoffiziell weiterleben. Mit dem Beschluss würden Millionen | |
Geflüchtete aus dem System katapultiert, sagt Görendağ. | |
## Warum kämpft ihr nicht? | |
Ömer Bozan*, 45 Jahre alt und eng mit Mehmud Heso befreundet, verlor im | |
Krieg erst Angehörige, dann Verwandte. Vor sechs Jahren sah er sich | |
gezwungen, in die Türkei zu migrieren. | |
Bozan erzählt, viele in der Türkei dächten, dass die SyrerInnen an dem | |
Krieg in Afrin Schuld seien. Er klagt darüber, dass er immer wieder daran | |
scheitere, Mitmenschen davon zu überzeugen, dass er und andere SyrerInnen | |
kein Teil dieses Krieges sein wollen. | |
Der Syrer berichtet von einer Begegnung. Neulich sei ein Kunde in das | |
Reisebüro gekommen, in dem er arbeitet. Im Verkaufsgespräch über einen | |
Pauschalurlaub habe der Kunde ihn nebenbei gefragt, warum er aus Syrien | |
gekommen sei. „Ich habe ihm erzählt, was wir erlebt haben, habe von unseren | |
Verlusten berichtet, doch er war nicht überzeugt. Wie viele andere auch | |
meinte er, wir müssten kämpfen.“ Dass er nicht zur Waffe greifen und töten | |
wolle und überdies herzkrank sei, habe den Kunden auch nicht überzeugt. Der | |
habe nur gesagt: „Für euch kämpft die Türkei in Syrien.“ | |
## Es wird noch eine Weile dauern | |
Volkan Görendağ von Amnesty International sorgt sich um die SyrerInnen in | |
der Türkei. Bozans Erzählung macht die Sorge verständlicher. „Wenn du diese | |
Menschen einmal als Gäste aufgenommen hast, dann musst du sie aus deiner | |
Syrien-Politik heraushalten. Denn diese Millionen von Menschen haben sich | |
in deine Obhut geflüchtet“, sagt Görendağ. | |
Bozan sagt, vor der Afrin-Operation habe er gedacht, die SyrerInnen und die | |
türkische Bevölkerung hätten sich aneinander gewöhnt. Nach Beginn der | |
Militäroperation in Afrin sieht es anders aus. „Es wird wohl noch eine | |
Weile dauern, bis wir hier akzeptiert sind“, sagt Bozan. | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
Aus Sicherheitsgründen wurden die Namen von der Redaktion geändert. | |
23 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Mehmet Hakkı Yılmaz | |
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