# taz.de -- Wegweisender Prozess in London: Sierra Leones Bergbau vor Gericht | |
> Ist das Bergbauunternehmen „African Minerals Ltd“ für Übergriffe der | |
> Polizei Sierra Leones gegen Arbeiter einer Eisenerzmine verantwortlich? | |
Bild: Kadiatu Kauma, mit Schusswunden nach dem Polizeieinsatz in der Bergbausta… | |
LONDON taz | Es ist ein außergewöhnliches Verfahren, das seit sechs Wochen | |
im Gerichtssaal 38 des Londoner High Court läuft. Ehemalige Angestellte | |
eines internationalen Unternehmens, das es nicht mehr gibt, sagen über den | |
Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen in einem der ärmsten Länder der Welt | |
aus. | |
Die Firma African Minerals (AML) betrieb über eine Tochterfirma | |
Eisenerzminen in Tonkolili im westafrikanischen Sierra Leone. 142 Kläger | |
behaupten, dass sie bei Protestaktionen gegen Vertreibung und schlechte | |
Bezahlung im November 2010 und im April 2012 unrechtmäßig und schwer von | |
Sierra Leones Polizei angegriffen wurden. | |
Es geht um Gewaltanwendung, schwere Verletzungen und Schusswunden. Die | |
damals 28-jährige Musu Conteh, Angestellte eines AML-Subunternehmers, wurde | |
bei einer Demonstration von der Polizei erschossen. Einem Bericht nach | |
tanzte sie in der Menge, als sie mit Schüssen im Oberkörper zu Boden fiel. | |
Auch sexuelle Gewalt soll angewandt worden sein. | |
Ist das Unternehmen AML dafür verantwortlich, wie die Kläger sagen? Hat die | |
Polizei im Auftrag des Unternehmens Menschenrechte verletzt? Beim | |
Tonkolili-Prozess, sagt einer der Anwälte der Anklage Martyn Day, geht es | |
um die Einhaltung der im Jahr 2000 von der UNO verabschiedeten | |
„Freiwilligen Grundsätze zur Wahrung der Sicherheit und Menschenrechte“, | |
die private Unternehmen im Rohstoffbereich einhalten sollen. | |
## Firmenwagen für die Polizei | |
Viele der Zeugen in London sind die ehemaligen Sicherheitsbeauftragten von | |
AML, oft Australier und Südafrikaner, die über ihre Beziehung zur | |
sierraleonischen Polizei aussagen. Viele versuchen vor Gericht, ihre | |
Anwesenheit an den fraglichen Tagen zu vertuschen. Immer wieder muss mit | |
Fotos, Videos und weiteren Zeugen nachgeholfen werden. | |
Laut dem ehemaligen AML-Polizeibeauftragten Mohammed Toure subventionierte | |
das Unternehmen Polizeibeamte direkt, zahlte „Geschenke“ oder stellte | |
Unterkünfte und Fahrzeuge zur Verfügung. Glaubt man der Anklage, haben | |
Fahrer von AML die Polizei sogar während der schlimmsten Vorfälle gefahren. | |
Der Richter muss nun entscheiden, inwiefern dies rechtswidrig war. Sollten | |
die Kläger gewinnen, stehen ihnen Entschädigungszahlungen in noch | |
ungewisser Höhe zu. | |
Der Protest im November 2010 entwickelte sich, nachdem ein Dorf und sein | |
Ackerland für den Bergbau geräumt wurden. Das Ersatzland für die Bewohner | |
war landwirtschaftlich unbrauchbar und hatte keinen Zugang zu Schulen und | |
anderen Einrichtungen. Als die Betroffenen protestierten, wurden sie von | |
der Polizei brutal niedergeschlagen. Einige Zeugen behaupten, AML habe die | |
Polizei direkt aufgefordert, „mit den Protestierenden besonders hart | |
umzugehen.“ | |
Nach den Worten des ehemaligen AML-Gemeinschaftsmanagers Musa Bangura – | |
zuständig für Verhandlungen mit Anwohnern und sogar Ministern, wie er vor | |
Gericht prahlt – „wäre ja alles für die Gemeinschaft gewesen, da der | |
Bergbau Arbeitsplätze für viele schaffte“. Vor Gericht sah man ihm wenig | |
Reue an. | |
AML wuchs durch Tonkolili tatsächlich zum größten Arbeitgeber des Landes | |
an. Im Jahr 2013 hatte es an die 7.000 Angestellte. | |
Bei einem dreitägigen Streik im April 2012 ging es um Gewerkschaftsrechte | |
und Gehälter. Der ehemalige AML-Finanzchef Miguel Perry bestätigt vor | |
Gericht, dass ein hoher Druck herrschte, endlich mit der Mine Geld zu | |
verdienen. Er selbst habe eine Lohnerhöhung abgelehnt, „weil die | |
Arbeitnehmer ohnehin über dem Durchschnitt verdienten und weil wir zu viele | |
Leute anstellten“, sagt er defensiv. | |
In einem Vorstandsbericht, den AML versucht hatte geheim zu halten, ist die | |
Rede von einer „Stalingrad-Phase.“ | |
Die Polizei rückte mit Militärverstärkung gegen die Demonstrierenden an und | |
eröffnete sofort das Feuer. Dabei wurde von Zeugen auch AML-Personal | |
gesichtet. Die meisten von der Polizei benutzten Fahrzeuge waren | |
Firmenwagen. Ein Markt wurde von der Polizei demoliert, ein Radiojournalist | |
festgenommen. | |
Nach den Protesten reagierte AML mit 16-prozentiger Lohnerhöhung, | |
verbesserten Gewerkschaftsrechten und dem Versprechen der Einhaltung der | |
Menschenrechte. Damals glaubte das Unternehmen noch an eine leuchtende | |
Zukunft in Sierra Leone. | |
## Symbol des Aufbruchs nach dem Krieg | |
Denn eigentlich sollte AML eines der ertragreichsten Projekte des | |
rumänischstämmigen Londoner Millionärinvestors Frank Timis werden – der | |
übrigens nicht vor Gericht steht, was dem Verfahren einen Hauch von „Die | |
Großen lässt man laufen“ gibt. Timis gründete AML im Jahr 2000 mit einer | |
25-Prozent-Beteiligung der chinesischen Gruppe Shandong Iron and Steel | |
Group (SISG). | |
Die zu entwickelnde Bergbauregion war mit 12,3 Milliarden Tonnen | |
Eisenerzvorkommen die drittgrößte Eisenerzquelle der Welt. Über 2 | |
Milliarden US-Dollar steckte AML hinein, samt einer neuen Eisenbahn zum | |
Atlantik. Tonkolili wurde zum Symbol des Aufbruchs in Sierra Leone nach dem | |
brutalen Bürgerkrieg. | |
Das Investorenglück hielt jedoch nicht lange, Folge des Doppeleffekts von | |
Ebola und fallenden Rohstoffpreisen. 2015 stand AML vor dem Ruin. Die | |
Chinesen von Shandong nutzten die Chance und kauften die restlichen Anteile | |
zum Tiefstpreis. | |
## Britisches Gericht tagte auch in Sierra Leone | |
In Sierra Leone selbst ist eine Aufarbeitung der Vorwürfe gegen AML kaum | |
möglich. Mindestens eine Person, die über die Vorfälle von 2012 vor Sierra | |
Leones Menschenrechtskommission ausgesagt hatten, kam danach bei einem | |
angeblichen Motorradunfall ums Leben. Eine Mitarbeiterin von „Human Rights | |
Watch“ wurde bedrängt, ein Anwalt gewarnt. | |
Zu Prozessanfang in London baten mehrere Zeugen um Identitätsschutz. Der | |
oft humorvoll auftretende Vorsitzende Richter, Justice Mark Turner, | |
erklärte aber auch, dass er nicht den Grundsatzfragen von Landenteignung | |
und des Abbauprojekts selbst nachgehen werde. | |
Zwei Wochen lang tagte das Gericht, samt Richter, Anklage und Verteidigung, | |
in einem Hotel in Sierra Leones Hauptstadt Freetown. Hier wurden 32 Zeugen | |
beider Seiten gehört. Richter Turner wollte damit Einreiseschwierigkeiten | |
in London und unnötigen Kosten zuvorkommen und so den Fall vorantreiben. | |
Sollte das spätere Urteil selber nicht Schlagzeilen machen, könnte | |
zumindest dies ein Beispiel setzen, über welche Mittel die Justiz in | |
solchen Fällen verfügt. | |
Am Montag endeten die Zeugenanhörungen. Die Schlussplädoyers werden | |
kommende Woche erwartet. | |
7 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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