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# taz.de -- Schimpansen-Refugium in Sierra Leone: Gebt den Affen Bäume!
> Die Wälder in Sierra Leone schrumpfen und damit auch der Lebensraum der
> Schimpansen. Der Schutz der Bäume nutzt am Ende aber auch den Menschen.
Bild: Schimpansen in Sierra Leone
Freetown taz | Santos Kalloh sitzt unter einer offenen Dachstrohhütte auf
dem Boden und schlägt in kleinen Stößen mit einem Meißel in ein fast
fertiges Holzobjekt, um noch die letzten Feinheiten herauszuarbeiten. Das
Holzstück ist eine ovalförmige Maske mit dem Abbild eines Schimpansen. Der
33-jährige Santos arbeitet beständig mit seinem linken Arm, während er mit
dem rechten Arm das Holzstück stabilisiert. Neben ihm liegen auf dem Boden
fertige Masken.
Erst dann fällt auf, dass Santos’ rechte Hand fehlt. Über dem Ende des
Unterarms liegt ein dünner schwarzer Strumpf. „Nein, kein Arbeitsunfall“,
sagt er: „Wegen den Rebellen.“
Es ist eine permanente Erinnerung an den Angriff der RUF-Rebellen auf
Freetown zum Höhepunkt des sierraleonischen Bürgerkrieges im Jahr 2000. Die
RUF hackte vielen Menschen die Hände ab, damit sie, ohne Möglichkeit eines
Fingerabdrucks, nicht mehr wählen gehen könnten. Santos konnte das noch gar
nicht: Als ihm dies widerfuhr, war er erst 15 Jahre alt. Seit vielen Jahren
arbeitet Santos in Tacugama, eine halbe Stunde westlich von Freetown auf
einem Hügel, umgeben vom dichten tropischen Regenwald. Die Masken werden
verkauft.
Tacugama ist Sierra Leones einziges Refugium für Schimpansen, gegründet
1995 von Bala Amarasekeran, und nicht unter idealen Umständen. Sierra
Leone stand damals unter Militärherrschaft. Zum Projekt kam es, als Bala
und seine Frau Sharmila sieben Jahre vorher auf einem Markt einen
hilflosen, kränklichen Babyschimpansen zum Verkauf entdeckten. „Wir konnten
das nicht mitansehen. So kauften wir das Tier für 20 US-Dollar, während die
Verkäufer sich zynisch gaben: Wieder ein Ausländer, der meint, er könne
damit Afrika helfen“, erzählt Bala auf der Veranda eines der sechs
Ökogasthäuser. Aus der Ferne ist Wasserrauschen zu hören, dazu das
Gegluckse von Vögeln, ab und zu Affengebrüll.
## Der Beginn eines neuen Lebensinhalts
Bala stammt aus Sri Lanka. Nach Sierra Leone kam er als Teenager, weil
seine Mutter in dem westafrikanischen Land einen Posten als Lehrerin
aufgenommen hatte. Sie nahm ihre Kinder mit, weil die politische Lage in
Sri Lanka instabil war. Dass Sierra Leone selber ein paar Jahrzehnte später
in einen blutigen Bürgerkrieg rutschen würde, das konnte damals noch
niemand ahnen. Bala wuchs in Sierra Leone auf, wurde Buchhalter und wollte
eine Familie gründen – doch das Affenbaby änderte zunächst alles.
Bruno tauften sie das Affenbaby, weil am Tag danach ein Boxkampf zwischen
Mike Tyson und Frank Bruno stattfand, erzählt Bala weiter. Für den
ausgebildeten Buchhalter war es der Beginn eines neuen Lebensinhalts.
„Nicht wir haben Tacugama gegründet, sondern Bruno“, glaubt Bala.
Nach der Aufnahme eines weiteren Schimpansen bat Bala die weltbekannte
Primatologin Jane Goodall um Rat. Sie kam nach Freetown und empfahl ein
Refugium – in Sambia, 5.000 Kilometer entfernt im südlichen Afrika. So
wurde es dann auch beschlossen, doch kurz vor der geplanten Ausreise, „wir
hatten bereits alle Papiere“, bekam Bala weitere gerettete Tiere. Was
sollte er mit denen machen? „In meiner Verzweiflung wandte ich mich an die
EU, damals größter ausländischer Projektträger in Sierra Leone, um zu
fragen, ob sie mir eventuell ein Projekt zur Rettung von Schimpansen
finanzieren würden.“ Mit 40.000 Euro EU-Geldern, drei Angestellten und 40
Hektar von Sierra Leones Regierung wurde das Refugium Tacugama Realität.
Schon nach zwei Jahren lebten hier 24 gerettete Tiere in einem elektrisch
umzäunten, bewachten Naturschutzgelände, getrennt nach Gruppen und Alter
auf verschiedenen Stationen.
Heute zählt Tacugama an die 80 Tiere und über 30 Angestellte. Bala meint,
dass der Schutz durch die Bewachungspatrouillen sogar bis zu fünf Kilometer
über das eigene Gelände hinausgehe, und durch die Arbeit in vielen Teilen
Sierra Leones sogar noch weiter. „Unsere Schimpansen kann man als
Botschafter für die 6.000 in Sierra Leone noch wild lebenden Tiere sehen.“
Die Anzahl der in Freiheit lebenden Schimpansen in Afrika ist in den
letzten drei Jahrzehnten um 80 Prozent geschrumpft. Sierra Leone
exportierte noch in den 70ern Primaten für klinische Versuche. Der Schwund
der Wälder, meist zur Holzkohleherstellung, ließ den Lebensraum der
Schimpansen weiter schrumpfen. Nicht zuletzt dienen sie als Nahrungsmittel.
## Zu 80 Prozent selbstversorgend
Irgendwann stürmten die RUF-Rebellen auch Tacugama. „Ich sagte, auch wenn
ihr an der Macht seid, werdet ihr Orte wie diesen brauchen.“ Die Rebellen
plünderten die Ausstattung und verschonten die Affen und die Angestellten,
während sie in der Stadt Menschen töteten und verstümmelten. Gerade deshalb
hat Bala das Verstümmelungsopfer Santos für den Park angeworben, als er ihn
vor vielen Jahren bei der Holzarbeit ohne rechte Hand beobachtete.
Doch auch das beste natürliche Gehege ist verglichen mit der Freiheit zu
klein. 2006 brach Bruno mit anderen Affen aus dem Gelände aus. Obwohl viele
der Tiere wieder zurückkehrten, blieb Bruno mit ein paar anderen
verschollen. „Ich beschäftigte mich lange mit der Frage, was das bedeutet.
Schließlich sah ich in seinen Ausbruch eine Botschaft an mich. Bruno wollte
mir zeigen, dass wir aus dem Projekt herausgehen sollten, denn das Problem
war draußen, dort, wo Wälder zerstört und Tiere gejagt werden.“
Seit Brunos Ausbruch schuf Bala mit seinem Team viele externe Programme.
„Dörfer, die unmittelbar an Waldgebiete grenzen, erhalten von uns
Unterstützung“, sagt Bala: Lehrkräfte, Brunnen, zementierte
Gemeinschaftsräume. Als Gegenleistung fordert er den Schutz der Affen.
Verschwinden die Affen, dann enden die Projekte. Bala setzt auf
Bewusstseinsveränderung: „In einem Gebiet bat ich die Gemeinschaftsführer,
den bei ihnen immer wieder gesichteten wilden Schimpansen Namen zu geben.
Namen personifizieren Tiere, und das schützt. Ein traditioneller Chef
benannte ein Tier überraschend nach sich selbst. Keiner wird sich je
trauen, diesem Affen etwas zu tun.“
Santos ist jetzt 58 Jahre alt, und er ist zuversichtlich. Mit Kunstobjekten
und Tourismus ist das Refugium zu 80 Prozent selbstversorgend. Finanzierung
erreiche jetzt vor allem die Arbeit außerhalb der Grenzen des Refugiums. In
der Erziehungsarbeit behandelt sein Projekt Themen weit über den
Artenschutz hinaus. „Wir erklären zum Beispiel, dass, wenn Wälder
verschwinden, das Wasser schlecht werden oder ganz verschwinden kann.
Hinter dem Schutz der Schimpansen versteckt sich der Schutz vieler anderer
Tier- und Pflanzenarten und letztendlich auch der Schutz von
Menschenleben“, so sieht es Bala.
## Vorbild für den Schutz der Wälder
Im Frühjahr letzten Jahres war das Thema in den umliegenden Partnerschulen
zufällig die Gefahr von Erdrutschen durch Abholzung. Als vor einem Jahr im
August 2017 ein benachbarter Hügel, Sugar Loaf Mountain, aufgrund von
massiver Abholzung in der Regenzeit einstürzte und wegen falsch oder gar
nicht geplanter Besiedelung dieser und zwei andere Erdrutsche über 1.000
Menschenleben forderten, nahm das Bala sehr mit.
„Unter den Toten waren 40 Kinder, von denen wir viele kannten, weil wir
immer wieder mit ihnen gearbeitet hatten.“ Tacugama beteiligte sich sofort
an der Versorgung der Überlebenden und trägt bis heute mehrere Stipendien
für Betroffene.
Inzwischen haben internationale Organisationen die Wasserwege am Hügel
gebessert, die gesamten übrigen gefährdeten Häuser wurden evakuiert.
Dennoch muss man nicht lange suchen, um in Freetowns Umland anderen
potenziell gefährdete abgeholzte und stark bebaute Hügel zu finden.
Seit März amtiert in Sierra Leone eine neue, gewählte Regierung –
ausgerechnet unter einem ehemaligen Militärherrscher, Julius Maada Bio.
Eine Chance für positive Veränderungen? „Sierra Leone hat die richtigen
Gesetze und Initiativen, doch oft sind neu gepflanzte Bäume nach einem Jahr
wieder abgeholzt. Arten- und Naturschutz ist in einem armen Land eine
Herausforderung“, analysiert Bala. Seine Lösung: der Schutz der Schimpansen
als Vorbild für den Schutz der Wälder. Die von ihm in verschiedenen
Gemeinschaften gepflanzten Bäume erhalten inzwischen Namen. „Wenn ein Baum
den Namen einer verstorbenen Mutter trägt, dann kümmern sich Leute um ihn,
statt ihn nur als Holz anzusehen. Ob Menschen Bäume oder Affen schützen,
ist am Ende egal. Es ist Teil desselben natürlichen Kreislaufs.“
15 Aug 2018
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Sierra Leone
Affen
Tierschutz
Lesestück Recherche und Reportage
Kenia
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Asylpolitik
Unternehmen
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