# taz.de -- Die innerkoreanische Grenze: Schauer und Schönheit | |
> Während der Spiele ist der Hochsicherheitsgrenzbereich zugänglich. Die | |
> idyllischen Trugbilder können die Spannungen nicht kaschieren. | |
Bild: Insbesondere für ältere Südkoreaner ein Sehnsuchtsort: der Norden des … | |
Daegang-Ri | taz | Da hinten, schemenhaft, sieht man drei Nordkoreaner, | |
Soldaten der KPA, der Korean People’s Army. Sie dienen in Kim Jong Uns | |
Volksarmee. Die Bilder, eingefangen von einer klobigen Fuji-Fernsehkamera, | |
werden im Beobachtungsposten 707 auf zwei Bildschirme übertragen. Der | |
Kameramann, ein junger Soldat der südkoreanischen Armee, versucht noch | |
einmal näher heranzuzoomen, aber er kriegt „the enemy“, den Feind, nicht | |
schärfer gestellt. Die Soldaten aus dem Norden stehen wie Statisten in | |
einem Kriegsspiel herum, und wahrscheinlich gucken sie nach Süden, wo für | |
sie ebenfalls der Feind auf der Bergkuppe sitzt und herüberglotzt. | |
Beobachtungsposten 707 befindet sich in der entmilitarisierten Zone, dem | |
Hochsicherheitsgrenzbereich zwischen Nord- und Südkorea. Vier Kilometer ist | |
er breit, er zieht sich ungefähr entlang des 38. Breitengrades und teilt | |
die Koreanische Halbinsel seit dem Ende des Koreakrieges in zwei Hälften. | |
Normalerweise kommen Zivilisten hier nicht hin, aber während der Spiele, | |
die laut Moon Jae In, dem südkoreanischen Präsidenten, „Friedensspiele“ | |
sind, ist das für eine kurze Zeit möglich. Auf der Bergkuppe haben sie eine | |
Art Kinosaal eingerichtet. Da, wo normalerweise die Leinwand steht, | |
befinden sich Panoramafenster, und man hat die allerschönste Aussicht auf | |
den kommunistischen Norden. | |
Adler kreisen über den Hügeln, rechts liegt das Meer, das an ein | |
zerklüftetes Felsmassiv brandet. Ein See liegt idyllisch in der Landschaft. | |
Man denkt beim Anblick dieser Szenerie an Urlaub am Strand, ans Mittelmeer | |
und eine Zeit der Entspannung. Aber das sind Trugbilder. Hier herrscht | |
Anspannung pur, denn wir befinden uns an einer der bestgesicherten Grenzen | |
der Welt, mitten in einem Konflikt, der jederzeit wieder aufflackern | |
könnte. Daran ändert auch der wunderschöne Ausblick auf das felsige Massiv | |
des Geumgangsan-Gebirges im Hintergrund nichts. Es befindet sich im | |
Mount-Kumgang-Nationalpark und ist für Koreaner ein Sehnsuchtsort. | |
Sie verehren diesen Berg, vielleicht nicht ganz so wie die Japaner den | |
Fuji, aber schon im 11. Jahrhundert hat der chinesische Dichter Su Dong Po | |
ein Loblied auf die Diamantberge verfasst, dem zumindest die ältere | |
Generation in Korea wohl beipflichten würde: „Wenn ich, einen Tag nachdem | |
ich den Geumgangsan in Korea gesehen habe, stürbe, würde ich es nicht | |
bedauern.“ Die britische Forschungsreisende Isabella Bird Bishop schrieb | |
1890, kein Gebirge der Welt könne es mit der Schönheit der Diamantenberge | |
aufnehmen. | |
## Raketen-Kims Führerfahne | |
Der Presse-Soldat in diesem merkwürdigen Kino, das immer wieder nur diese | |
eine ziemlich bizarre Realität im Programm hat, lässt den Kameramann dann | |
auch auf andere Sehenswürdigkeiten schwenken. Drüben auf dem Hügel steht | |
ein weißes Häuschen, eigentlich nicht mehr als ein Unterstand, den auch | |
schon Kim Jong Un besucht hat. Privilegierte nordkoreanische Touristen | |
dürfen wohl auch auf den Guckposten. Neuer Schwenk: Wir sehen verschiedene | |
nordkoreanische Kontrollposten. Daneben wehen jeweils zwei Fahnen, die | |
nordkoreanische und eine rote Flagge, bei der es sich um Raketen-Kims | |
Führerfahne handeln soll, wie ein Soldat erklärt. | |
Wir sehen dann noch ein MG-Nest, das an einem Felsen klebt, und andere | |
Anlagen – und so manchem im Kinosaal läuft ein kalter Schauer über den | |
Rücken, weil all dies nicht zur Schönheit der Umgebung passen will. | |
Außerdem: Kennt man das nicht irgendwie aus dem eigenen Land, wo eine | |
Demarkationslinie den Ostblock vom Westen trennte, wo sich auch zwei so | |
unterschiedliche Systeme belauerten? Gut, diese Grenze ist seit 28 Jahren | |
weg, aber hier gibt es sie noch, mit allem Drum und Dran: Bunkern, | |
Landminen, zwei Sicherheitschecks, die man passieren muss, bis man | |
überhaupt in das heiße Gebiet kommt, wo dann zumeist blutjunge | |
südkoreanische Rekrutinnen und Rekruten Dienst tun. | |
Irgendwie hofft man, dass es hier nicht zu einem Zwischenfall kommt, denn | |
trotz der Panzersperren an der Straße, des kilometerlangen | |
Stacheldrahtzauns am Strand wirken die südkoreanischen Soldaten allenfalls | |
so einschüchternd wie die Volunteers der Olympischen Winterspiele. | |
Immerhin: Die Südkoreaner müssen nicht so lange dienen wie die auf der | |
anderen Seite; dort müssen Frauen sieben Jahre Uniform tragen und Männer | |
sogar zehn. | |
## Tödlicher Zwischenfall | |
Es gibt an der Grenze auch eine Straße und eine Bahnstrecke, die den Norden | |
und den Süden miteinander verbinden. Ein Zug fuhr 2007. Einmal. Und dann | |
nicht mehr. Auch das Besuchsprogramm, das viele Tausend südkoreanische | |
Touristen in die Diamantberge gebracht hat, ist ausgesetzt, nachdem 2008 | |
eine 50-jährige Südkoreanerin von einem nordkoreanischen Soldaten | |
erschossen worden war. Sie habe unerlaubt eine militärische Sperrzone | |
betreten, nicht auf Rufe und einen Warnschuss reagiert, hieß es aus dem | |
Norden. Der Süden wollte den Fall untersuchen, was man im Norden zu | |
verhindern wusste. Seitdem herrscht so ein bisschen Eiszeit. Auch die | |
gemeinsame Sonderwirtschaftszone Kaesong liegt im Grunde brach. Sie war, | |
wie auch das Touri-Programm, auf Betreiben des Hyundai-Bosses zustande | |
gekommen. | |
Der Gründer des Konzerns, Chung Ju Yung, hatte, wie auch der aktuelle | |
Präsident Moon, nordkoreanische Wurzeln. Chung, dessen Eltern Bauern waren, | |
beschenkte den Norden einst nicht nur mit 1.001 Kühen („Ein Symbol von | |
Fleiß und Ehrlichkeit“), er schickte auch viele Millionen Dollar in den | |
Norden, um das Regime etwas gefügiger zu machen. Hyundai ließ Straßen bauen | |
und war die treibende Kraft hinter dem Aufbau der Sonderwirtschaftszone | |
Kaesong. „Ohne stabile Verhältnisse auf der Koreanischen Halbinsel und | |
ohne friedliche Wiedervereinigung ist eine stetige Entwicklung unseres | |
Landes nicht denkbar“, hat der 2001 verstorbene Chung einmal dem Spiegel | |
verraten. | |
Und was bedeutet das nun alles? Shin Maeng Ju, unser Guide, erzählt von | |
einem Gespräch mit ihrem Sohn über das Thema Wiedervereinigung. Sie | |
schildert einen Dialog, der auch die Zerrissenheit des Südens erahnen | |
lässt: Der Sohn habe ein Zusammengehen kategorisch abgelehnt. Seine | |
Generation wolle nicht mit den hohen Kosten der Vereinigung belastet | |
werden. Deutschland sei doch fast bankrottgegangen wegen der | |
Transferleistungen in den Osten, argumentierte er. „Ich habe die Welt nicht | |
mehr verstanden. Wie kann man nur so egoistisch sein?“, sagt Shin. Man | |
müsse das „big picture“ betrachten. Das große Ganze. | |
Vom Beobachtungsposten 707 sieht das große Ganze aus wie ein | |
Postkartenmotiv. | |
21 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
## TAGS | |
Olympische Winterspiele 2022 | |
Winterspiele | |
Pyeongchang | |
Grenze | |
Korea | |
Nordkorea | |
Südkorea | |
Winterspiele | |
Nordkorea | |
Südkorea | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sanktionen bremsen Tourismusprojekt: Keine Ferien mehr in Nordkorea | |
Nordkoreas Machthaber möchte das einzige innerkoreanische Tourismusresort | |
abreißen lassen. Ein Rückschlag für Südkoreas Präsidenten. | |
Südkorea stoppt Beschallung Nordkoreas: Keine Lautsprecher-Propaganda mehr | |
Kurz vor dem Gipfeltreffen der beiden verfeindeten Koreas hat der Süden | |
seine Lautsprecher abgedreht. Das Ziel? Ein friedliches Gesprächsklima, | |
sagt Seoul. | |
Eishockeyteam aus Süd- und Nordkorea: Tränenreiches Ende eines Rührstücks | |
Das vereinigte koreanische Eishockeyteam verabschiedet sich von Olympia. | |
Ein denkwürdiges Experiment, das wohl kaum politische Folgen haben wird. | |
Koreanische Eishockeyspielerin: Sie nannten sie Verräterin | |
Hwangbo Young floh von Nord- nach Südkorea. Das gemeinsame Olympiateam für | |
Pyeongchang betrachtet die Eishockeyspielerin skeptisch. | |
Vor Olympia in Südkorea: Trennungsgrund Eishockey | |
Die Winterspiele in Pyeongchang stehen kurz vor der Eröffnung. Dass es | |
gemeinsame Teams mit Nordkorea gibt, ärgert im Süden viele. |