# taz.de -- Kolumne Mittelalter: Danke, Osolemirnix! | |
> Wer eine Reise macht, der hat was zu erzählen – leider sogar oft zu viel. | |
> Wenn dann die große Schreibblockade einsetzt, hilft nur Asterix. | |
Bild: In Neapel ist immer was los – manchmal fast zu viel | |
Letzte Woche war ich beruflich in Neapel. Der Text der Reportage, die dabei | |
herausgekommen ist, ist so weit fertig. Das ist einerseits ein schönes | |
Gefühl und nicht zuletzt eines der Erleichterung: Denn auch nach Jahren als | |
Redakteur bin ich als Reporter nicht routiniert; und wenn ich mit | |
routinierten Reporter-Kolleginnen spreche, dann habe ich den Eindruck: Sie | |
wollen es gar nicht sein. | |
Zurück am Schreibtisch, sitzt man vor stundenlangen Interviewaufnahmen, | |
einer Tasche voller Zeitungsausschnitte, das Handy hat vor lauter Fotos | |
keinen Speicherplatz mehr. Bei mir ist es dann so, dass ich mich erst mal | |
in eine dunkle Ecke verkriechen will: Wie soll ich vier Tage! in Neapel! | |
mit einem Dutzend toller Begegnungen mit engagierten Menschen auf 8.000 | |
Zeichen pressen? Das ist doch Lüge! | |
In dieser fatalen Situation hilft mir eine Szene aus einem in meiner | |
Generation noch viel konsumierten Kunstwerk: „Asterix auf Korsika“. Als | |
Asterix und Obelix auf der Insel ankommen, fragt Asterix – ich zitiere aus | |
dem Gedächtnis – den korsischen Anführer Osolemirnix, wie denn so die | |
Wahlen auf Korsika ablaufen. | |
Osolemirnix erklärt, das sei ganz einfach: Die Wahlen werden angesetzt, die | |
Stimmzettel in die Urnen gesteckt. Wenn alle Stimmen abgegeben sind, werden | |
die Urnen ungeöffnet ins Meer geworfen und der Stärkste gewinnt die Wahl. | |
## Und die Camorra? | |
Nun, so ähnlich muss ich auch vorgehen, wenn ich von einer Recherche | |
zurückkomme. Ich habe eine panische Angst, all das Material, das ich doch | |
mit nicht minder panischer Umtriebigkeit gesammelt habe, zu sichten. Ich | |
sitze katatonisch rum, bis ich es dann endlich schaffe, den Computer | |
einzuschalten, alle Artefakte ins Meer des Vergessens zu werfen und damit | |
beginne, die stärksten Eindrücke aufzuschreiben. Erst, wenn ich das | |
fertiggebracht habe, kann ich zum Material zurückkehren und kontrollieren, | |
ob mich meine Erinnerung auch nicht getrogen hat; und das ist als Gefühl | |
wie gesagt schön und erleichternd. | |
Es gibt dann aber immer Szenen oder Sätze, die ich so, wie ich sie | |
hingeschrieben habe, nicht belegen kann; schmerzhafter sind solche, die in | |
der gestalteten Realität des Artikels schlicht keinen Platz haben. | |
Obwohl ich mich zum Beispiel seit Jahren mit der [1][Mafia] beschäftige, | |
kommt das Thema „Camorra“ – also das organisierte Verbrechen in Neapel �… | |
meinem aktuellen Artikel nicht vor. Dabei erzählte mir etwa meine | |
Gastgeberin von der Einweihungsparty ihrer Studi-WG am Rande der Altstadt | |
folgendes: Sie hätten bis halb vier Uhr morgens gefeiert, mit offenen | |
Fenstern und lauter Musik. Kein Problem, keine Beschwerden. | |
Am nächsten Nachmittag habe sie beim Bäcker die Nachbarin getroffen, nett | |
geratscht. Dann, beim Abschied, habe die Nachbarin sie fixiert und gesagt: | |
„Sai, in questo quartiere non chiamiamo la polizia.“ (Weißt du, in diesem | |
Viertel rufen wir nicht die Polizei.) | |
Seitdem hätten sie keine lauten Feste mehr gefeiert. | |
22 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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